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Matthias Schwarz
Veröffentlicht
am 20.10.2023
LebenDirekte Demokratie

„Mehr Mitsprache ist immer ein Thema im Wahlkampf“

Veröffentlicht
am 20.10.2023
Die repräsentative Demokratie ist in der Krise, die Wahlbeteiligung geht kontinuierlich zurück. Sind Mittel der partizipativen Demokratie dazu geeignet, diesem Trend entgegenzuwirken? Politikwissenschaftlerin Elisabeth Alber im Interview.
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Elisabeth Alber

Partizipative Demokratie umfasst all jene Prozesse, bei denen Bürger:innen mit in die politische Entscheidungsfindung eingebunden werden. Elisabeth Alber forscht dazu und zu Themen der demokratischen Innovation am Institut für komparativen Föderalismus der EURAC in Bozen. Kurz vor den Landtagswahlen spricht sie im Interview über die Möglichkeiten der partizipativen Demokratie und die aktuelle Situation in Südtirol.

BARFUSS: Die Landtagswahlen stehen kurz vor der Tür. Ähnlich wie in anderen Ländern ist auch in Südtirol ein weiterer Rückgang der Wahlbeteiligung zu befürchten. Das parteipolitische Engagement der Bürger:nnen lässt auch nicht. Sie selbst schreiben, dass sich die repräsentative Demokratie seit geraumer Zeit in einer Krise befindet. Kann der Einsatz von partizipativen Mitteln in der Demokratie diesem Trend entgegenwirken?
Elisabeth Alber: Genau gesagt ist es nicht die repräsentative Demokratie, welche sich in einer Krise befindet, sondern ihre Institutionen, zum Beispiel die Parteien, welche Schwierigkeiten haben, eine Bindung zu den Wähler:innen aufzubauen. Der Rückgang der Wahlbeteiligung ist in Südtirol deutlich, wenngleich nicht so stark wie in anderen Regionen Italiens. Bei den letzten Regionalwahlen im Latium, in der Lombardei und in Friaul-Julisch Venetien sind weit weniger als 50 Prozent der Bevölkerung wählen gegangen. Bei einer Wahlbeteiligung von unter 50% stellt sich natürlich die Frage der politischen Legitimation und diese Entwicklung sollte uns zu denken geben. Laut der Forschung sind Elemente der partizipativen Demokratie eine mögliche Antwort auf diesen Negativtrend. Die herkömmliche Art der Entscheidungsfindung in der repräsentativen Demokratie räumt der Bevölkerung zu wenig Mitsprache ein. Es bleibt offen, inwiefern neue Beteiligungsmöglichkeiten genutzt werden und wie man sie in die herkömmliche Entscheidungsfindung einbindet. Das hängt damit zusammen, wie es um die politische Kultur allgemein im jeweiligen Gebiet steht.

Welche Möglichkeiten hat Südtirol im Bereich der partizipativen Demokratie?
Vorweg muss man sagen, dass Südtirol eine sehr gut organisierte Zivilgesellschaft hat. Die Bürger:innen organisieren sich in Vereinen und das Ehrenamt hat einen hohen Stellenwert. Bezüglich demokratischer Innovationen muss man unterscheiden zwischen Gemeinde- und Landesebene und der Europaregion. In den Gemeinden Mals und Eppan wurde zum Beispiel ein Bürger:innenhaushalt durchgeführt. In Schenna gab es 2022 einen Bürger:innenrat zum Dorfentwicklungskonzept „Schenna.Weiter.Denken“. Diese Beispiele sind aber nicht alle verankert. Viel hängt von der aktuellen Regierung und der politischen Kultur vor Ort ab. Auf Landesebene sieht das Raumordnungsgesetz (Landesgesetz vom 10. Juli 2018 Nr. 9 Raum und Landschaft, Anm. d. Red.) die Nutzung von partizipativen Elementen beim Erarbeiten des Gemeindeentwicklungsplans vor. Zudem gibt es das Landesgesetz vom 3. Dezember 2018: „Direkte Demokratie, Partizipation und politische Bildung“.

Einige Teilnehmer:innen erleben Politik als etwas Vorgegebenes, Unbeeinflussbares.

Was beinhaltet das Gesetz?
Dieses Landesgesetz sieht ein Büro für politische Bildung vor und auch die Möglichkeit, einen Bürger:innenrat einzuberufen. Es fehlen aber noch die ausführenden Regelungen zur Einberufung eines Bürger:innenrats und auch das Büro für politische Bildung ist noch nicht Realität. Es wäre wichtig, dass die Landesregierung hier handelt, um diese Instrumente nutzen zu können. Auf Ebene der Europaregion gab es vor Kurzem einen Bürger:innenrat zur Sichtbarkeit der Euregio. Bürger:innen der Gemeinden Hall in Tirol, Brixen und Arco diskutierten wie die Euregio erlebbarer gestaltet werden kann.

Wie werden partizipative Instrumente in der Bevölkerung angenommen?
Die Beispiele, die ich genannt habe, wurden gut angenommen. Massenansturm gab es jedoch auch keinen. Man könnte versuchen das Modell des Bürger:innenhaushalts auf andere Gemeinden auszudehnen und zu verstetigen. Es könnte zum Beispiel ein Prozentsatz des Haushalts der Gemeinden als Bürger:innenhaushalt verwaltet werden. In diesem Moment läuft am Institut für Vergleichende Föderalismusforschung ein Projekt, bei dem die Möglichkeiten der Bürger:innenbeteiligung in den Gemeinden der Region Trentino-Südtirol in Theorie und Praxis erfasst werden. Wir würden gern verstehen, was es laut den unterschiedlichen Gemeindestatuten gibt und wie Mitwirkung und demokratische Innovationen in den Gemeinden effektiv in der Praxis aussieht.

Vor Kurzem hat Eurac Research auch ein Forschungsprojekt zu Demokratie im Grenzgebiet Pustertal, Osttirol und Alto Bellunese ausgeführt. Was waren dort die Ergebnisse?
Das Projekt hatte die Fragestellung: „Was bedeutet für mich Demokratie?“. Wir haben dazu Gesprächsrunden organisiert. Eine weitverbreitete Rückmeldung, unabhängig von den lokalen Gegebenheiten, war, dass Demokratie mehr als Wählen sein sollte. Ein gemeinsamer Nenner der untersuchten Gebiete war das Fehlen von politischer Bildung, so an Schulen, und die Unkenntnis über die Möglichkeiten, sich bei der Entscheidungsfindung zu beteiligen. Einige Teilnehmer:innen erleben Politik als etwas Vorgegebenes, Unbeeinflussbares. Am Ende der Runden wurden von den Teilnehmer:innen auch Empfehlungen ausgesprochen. Es wurde immer wieder gesagt, dass Politik mehr Pluralität zulassen, mehr politische Bildung anbieten und Mitspracherechte ausdehnen sollte. Auch auf die Wichtigkeit von Medienpluralismus wurde hingewiesen.

Die Teilnehmer:innen waren aber dankbar für die Gelegenheit des Austauschs mit Menschen aus ganz Südtirol: über Themen, in diesem Fall das Autonomiestatut, die normalerweise nur von Berufspolitiker:innen oder Expert:innen behandelt werden.

Gibt es in Südtirol Erkenntnisse zur unterschiedlichen Wahrnehmung von partizipativer Demokratie zwischen den Sprachgruppen?
Dazu gibt es leider noch keine Daten, da das Fachgebiet noch relativ neu ist. Beim Autonomiekonvent konnten wir jedoch eine sprachgruppenübergreifende Zufriedenheit beobachten. Die Diskussionen waren nicht immer einfach. Die Teilnehmer:innen waren aber dankbar für die Gelegenheit des Austauschs mit Menschen aus ganz Südtirol: über Themen, in diesem Fall das Autonomiestatut, die normalerweise nur von Berufspolitiker:innen oder Expert:innen behandelt werden.

Stichwort Autonomiekonvent. Die Ergebnisse sind 2017 präsentiert worden, aber es ist nichts weiter damit passiert. Die Bürger:innen könnten den Eindruck gewinnen, dass partizipative Demokratie nur Augenwischerei ist.
Das ist sicherlich eine Gefahr bei partizipativen Instrumenten. Die partizipative Demokratie muss mit genügend Zeit, Ernsthaftigkeit und Ressourcen ausgestattet werden. Wichtig bei der Initiierung von partizipativen Prozessen ist eine klare Kommunikation. Es muss kommuniziert werden, wofür die Bürger*innen ihre Zeit einsetzen und was die Zielsetzung des Beteiligungsprozesses ist. Ansonsten besteht Frustrationspotential. Zum Autonomiekonvent ist zu sagen, dass einzelne Sachen umgesetzt wurden, zum Beispiel die Vertretung der Ladiner in den Institutionen wurde verbessert. Bei der Abänderung des Autonomiestatuts insgesamt handelt es sich um einen längeren Prozess, der die Zustimmung des Regionalrats und ein besonderes Revisionsverfahren der Verfassung vorsieht. Es wurde auch versucht, die Idee hinter dem Autonomiekonvent – Bürger:innen eine Plattform zu bieten, um Themen der Autonomie zum ersten Mal sprachgruppenübergreifend zu diskutieren – zu kommunizieren, aber nicht alle involvierten Akteure haben diese Kommunikation mitgetragen.

Jetzt gibt es den Klimabürger*innenrat. Wurde dieser mit genug Ressourcen ausgestattet?Ich bin nicht im Detail mit dem Klimabürger:innenrat vertraut. Es ist wichtig klarzustellen, dass er angekoppelt ist an den Klimaplan Südtirol 2040, und seinen Ursprung nicht im Landesgesetz von 2018 hat. Er ist „Top-down” und wurde von der Landesregierung als Teilelement des Klimaplans initiiert. Beim Landesgesetz von 2018 bestünde jedoch die Möglichkeit, einen Bürger:innenrat „bottom-up”, also aus der Bevölkerung, zu initiieren.

Ist partizipative Demokratie ein Thema im derzeitigen Wahlkampf?
Einzelne Parteien berufen sich gern auf die partizipative Demokratie, da mehr Mitsprache eigentlich immer ein Thema im Wahlkampf ist. Die konkreten Mechanismen der partizipativen Demokratie, zum Beispiel Bürger:innenhaushalt, Umsetzung des Büros für politische Bildung, werden aber nicht diskutiert.

Die Regierungsbildung wird auf jeden Fall sehr schwierig.

Was erwarten sie sich für die nächste Legislaturperiode im Hinblick auf partizipative Demokratie?
Die Regierungsbildung wird auf jeden Fall sehr schwierig. Zur Stärkung und Förderung der Autonomie sollte sich die Politik fragen, wie in Zukunft Demokratie aussehen soll. Es gibt immer mehr und kleinteiligere Interessensgruppen und wir müssen Methoden finden, um diese in allgemeine Entscheidungsprozesse einzubinden und die unterschiedlichen Interessen zu balancieren. Auf Gemeinde- und Landesebene gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, die zum Teil schon erprobt und auch verfestigt wurden. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Inwiefern die Bürger:innen die Beteiligungsinstrumente gerne und regelmäßig annehmen, das muss sich erst zeigen. Für die Parteien wäre es wichtig, sich zu öffnen für Beteiligungsprozesse und diese nicht an fehlenden Parteikärtchen scheitern zu lassen. Politische Bildung ist der Schlüssel zur Erneuerung demokratischer Partizipation, in Südtirol und anderswo.

Im deutschsprachigen Belgien gibt es einen ständigen, vom Parlament ins Leben gerufenen, Bürger:innendialog. Wie bewerten Sie dieses Modell der Bürger:innenbeteiligung?
Der Bürger:innendialog ist das bisher einzige subnationale Bürgerbeteiligungsverfahren, das mit einem Gesetz verabschiedet wurde und direkt eingebunden ist in den Politikgestaltungsprozess. Die Bürger*innen können dabei selbst Themen vorgeben, welche dann diskutiert werden. Es kommen insbesondere Themen zur Diskussion für die die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens zuständig ist zum Beispiel Pflege oder Fachkräftemangel. Die Ergebnisse der Diskussion müssen im ostbelgischen Parlament besprochen werden. Wenn das Parlament Empfehlungen des Bürger:innenrats nicht aufgreift, muss das gerechtfertigt werden. Ich bewerte es aufgrund der oben genannten Gründe als sehr positiv.

Könnte dieses Modell auch für Südtirol interessant sein?
Wie erwähnt, gibt es in Südtirol die Möglichkeit der Einrichtung eines Bürger:innenrats auf Landesebene. Bei der Ausgestaltung dieses Bürger:innenrats könnte man sich natürlich das Modell der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens als Beispiel nehmen.

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