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Veröffentlicht
am 10.06.2016
LeuteStraßenzeitung zebra.

Liebe und Leben im Lunapark

Veröffentlicht
am 10.06.2016
Tiziana Filiputti und Maurizio Orlando leben wie ihre Vorfahren im Lunapark. Die Straßenzeitung zebra. hat die Schausteller in ihrer Spielhalle besucht.
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Tiziana Filiputti und Maurizio Orlando sind im Lunapark großgeworden, seit 33 Jahren verheiratet und haben dort zwei Töchter aufgezogen. In den Achtziger- und Neunzigerjahren hat das Ehepaar gutes Geld verdient, inzwischen macht ihm die Konkurrenz aus Internet und Spielkonsolen zu schaffen. Im Mai waren Tiziana und Maurizio mit ihrer Spielhalle in Brixen zu Gast, in wenigen Tagen brechen sie die Zelte in Sterzing ab, um sie im Lunapark in Jesolo wieder aufzubauen. Die beiden bezeichnen sich als „Nomaden“ – mit vielen Freundschaften an vielen Orten, aber auch dem Wunsch nach alltäglichen Freuden eines sesshaften Lebens.

Auf dem Asphalt in der Brixner Industriezone liegen Wasserpfützen. Die nahegelegene Diskothek Max ist an diesem Nachmittag verdächtig ruhig. Auch aus dem Lunapark dringen kaum Geräusche. Das regnerische Wetter hält die Menschen von Tagada, Autoscooter, Trampolin und Zuckerwatte fern. Dass neue Konzepte gefragt sind, ist auch jenseits des schlechten Wetters zu spüren. Es fühlt sich an, als sei die Zeit stehengeblieben: Aufbau, Farben, Geräusche, Werbeplakate, selbst der Geruch ist noch derselbe wie im Lunapark der Achtziger- und Neunzigerjahre.

„Früher? Ja, da war richtig viel los. Da gaben die Menschen im Lunapark gerne ihr Geld aus“, sagt Maurizio Orlando drei Tage bevor er und seine Frau ihre Spielhalle im Lunapark in Brixen zusammenklappen und mittels Sondertransport nach Sterzing liefern werden. Zum Abbau brauchen sie vier bis fünf Stunden. Beim Aufbau hingegen wird alles geputzt, es dauert einen Tag, bis die Halle startklar ist. Der Lunapark ist täglich geöffnet, allerdings nur mehr bis zum Abend, früher ging es bis Mitternacht durch.

Die Stimme des Schaustellers klingt manchmal wehmütig, seine Augen hingegen schauen wach und interessiert. Er ist ein guter Erzähler. Vor 20 Jahren, sagt er, fieberten Südtirols Städte dem Kommen des Lunaparks noch entgegen, täglich stürmten hunderte und an den Wochenenden tausende Schau- und Spiellustige den Rummelplatz. Männer und Frauen kamen, alte und junge Menschen, Angehörige aller Schichten und – Maurizio lächelt – „viele Liebespaare“.

Heute geht es im Lunapark vor allem um Kinderunterhaltung. Entsprechend zählen hauptsächlich Familien zu den Gästen. „Die jungen Leute ab 20 sind uns abhandengekommen“, sagt Maurizio. PlayStation, Xbox, Nintendo, Handys, Schwimmbäder, Tennisplätze, Reitställe und Einkaufszentren hätten das Lunapark-Angebot eingeholt und teilweise überholt. In der Spielhalle sieht er den Vorteil des gemeinsamen Erlebens, das Läuten und Kreischen der Maschinen, das Rollen der Münzen, das Werfen der Bälle und das Sich-Übertönen der Geräusche.

Maurizio Orlando und Tiziana Filiputti betreiben die Spielhalle seit 1975. Ihrer ist einer der zehn Lunapark-Stände, die im Mai Jahr für Jahr in der Brixner Industriezone haltmachen. Neuerungen sind notwendig, das wissen die beiden: „Wir müssen den Event-Charakter im Lunapark stärken.“ Es brauche unterschiedliche Angebote für unterschiedliche Gruppen: Neben Autoscooter, Karussell, Spielhalle, Schieß- und Würfelbuden müsse auf das Kulinarische mehr Wert gelegt werden. Allein eine große Tradition, auffallende Werbeplakate, bunte Faltblätter und vergünstigte Angebote genügten nicht mehr, sagen sie. An diesem regnerischen Nachmittag sind kaum Leute da, ein paar Jugendliche schauen bei der offenen Tür herein, kaufen Münzen und hoffen bei den Maschinen auf gleiche Zahlen oder Symbole.

„Lunapark ist eine Lebensart, die man mögen muss.“

Der 56-Jährige Maurizio ist für die Organisation des Lunapark-Betriebs zuständig. Er hält die Kontakte zu Gemeinden, Polizei, Carabinieri und zu den Ausstellerfamilien. Langjährige Betreiber*innen haben Vorrecht gegenüber neuen Interessent*innen. „Man kann sich nicht einfach nur melden und sagen: ich möchte heuer beim Lunapark dabei sein“, erklärt er. Die Schausteller*innen im Lunapark kennen sich seit Generationen. Fast überall arbeiten Paare mit ihren Kindern und binden bei Bedarf Onkels, Tanten oder Cousins mit ein. Tiziana Filiputti sieht das pragmatisch: „Man trifft sich und geht, und nächstes Jahr trifft man sich wieder in der vorjährigen Besetzung.“ Die Freundschaften seien solide. Ihr Mann ergänzt: „Wir tun das alle so, man arbeitet eine Zeitlang zusammen und zieht weiter.“ Schon sein Vater und Großvater machten es vor.

„Lunapark ist eine Lebensart, die man mögen muss“, unterstreicht Tiziana. Sie glaubt nicht an Lunapark-Gene, aber an Gewohnheit. „Wir sind unabhängig, können uns bei der Arbeit abwechseln oder einander zu arbeiten.“ Man brauche niemandem Rechenschaft abzulegen und lebe ein freies Leben. Das schätzen beide. Aber seit sie 50 sind, mehren sich Zweifel. Vor allem rund um Weihnachten spüren sie Sehnsucht nach Stabilität, wären gern mehr daheim, möchten kochen und backen und Leute zu sich nach Hause einladen. Auf dem Handy zeigt Tiziana Fotos vom Weihnachtsbaum im Wohnwagen. Von Mitte Dezember bis Mitte Februar arbeitet das Paar in Venedig, nicht weit entfernt von der Biennale. Die fixen Aufenthalts- und Öffnungszeiten bleiben, die Standorte aber wechseln: „Wir sind Nomaden, und sind es doch nicht“, erklärt Tiziana.

„Manche Leute glauben, wir arbeiteten im rechtsfreien Raum. Aber wir zahlen Steuern wie alle anderen.”

100 Quadratmeter Grund besetzen Maurizio und Tiziana mit ihrer Spielhalle und einem kleinen Wohnwagen in Brixen. Dafür zahlen sie eine Summe, die mit der Miete eines kleineren Geschäftslokales vergleichbar ist. Dazu kommen noch die Kosten für Strom. Maurizio ist zwar der Ansprechpartner nach außen, doch jeder Betreiber arbeitet für sich und zahlt unabhängig von den anderen Abgaben an die Gemeinde und Steuern an den Staat. „Manche Leute glauben, wir arbeiteten im rechtsfreien Raum“, benennt Maurizio ein Vorurteil, „aber wir zahlen Steuern wie alle anderen“. Früher haben er und seine Frau die Buchhaltung selbst geführt und die Steuererklärung eigenständig gemacht. Vor mehr als 15 Jahren haben sie diese Aufgabe einem Wirtschaftsberater überantwortet. Es sei alles komplizierter geworden. Etwas allerdings habe sich zum Positiven verändert: Durfte das Gewerbe früher nur vererbt und vom Vater auf den Sohn übertragen werden, so ist seit einiger Zeit auch der Verkauf erlaubt.

Maurizio und Tiziana sind Kinder des Lunaparks. Tizianas Vorfahren haben mehr als ein Jahrhundert lang auf Jahrmärkten, Festen und Lunaparks für Spiel und Zeitvertreib gesorgt. Sie, ihr Bruder und ihre drei Schwestern haben die Eltern nur im Urlaub gesehen; die restliche Zeit verbrachten sie bei den Großeltern in Borgo Valsugana. Auch Tizianas Geschwister waren im Lunapark-Geschäft tätig, haben das Gewerbe aber aufgegeben.

Maurizio hingegen ist in Varese geboren. Auch er hat das Lunapark-Leben bereits als Kind kennengelernt. Er erinnert sich gern an seine Schulzeit in Sterzing. Jährlich drückte er dort für einige Wochen die Schulbank und hat Freunde gewonnen, die ihn bis heute besuchen. Sein Bruder ist mit einer Sterzingerin verheiratet, war auch lange im Gewerbe tätig, hat es aber inzwischen verkauft und lebt in Treviso.

Neben der Spielhalle von Tiziana und Maurizio steht ein Wohnwagen. Dort leben die beiden auf kleinem Raum. Ein zweiter, größerer Wohnwagen steht in Treviso, wo sich auch ihr Haus befindet. Ihre inzwischen erwachsenen Töchter leben dort. Kennengelernt haben sich Tiziana und Maurizio bereits als Jugendliche. Ihre Töchter haben sie im Lunapark großgezogen. Bei ihren Südtirol-Aufenthalten haben die Mädchen jedes Jahr eineinhalb Monate lang die italienischsprachige Schule in Brixen besucht. „In den Wochen, in denen wir in Sterzing waren, habe ich die Mädchen täglich nach Brixen zur Schule gefahren“, sagt Tiziana. Sie wollte die Freundschaften, die die Mädchen aufgebaut hatten, nicht zu schnell abbrechen. So haben ihre Töchter das Schuljahr jeweils in Brixen beendet. Fünf Schulwechsel pro Jahr seien für sie üblich gewesen. Die Kinder hatten ein Bewertungsheft, das sie von Schulstelle zu Schulstelle, von Lehrperson zu Lehrperson weiterreichten. „In Brixen haben sich ihre Mitschüler*innen immer auf unsere Töchter gefreut“, sagt Tiziana. Mit ihnen kam ja auch der Lunapark in die Stadt. „Wir haben Wert auf ihre Ausbildung gelegt“, sagt Maurizio. „Wir wollten, dass unsere Kinder lernen und sich ein Leben außerhalb des Lunaparks aufbauen können.“ Beide hätten kein Interesse, die Tätigkeit der Eltern fortzuführen und möchten eigene Wege gehen. Die Eltern sind froh darüber. Die Mehrheit der Nachkommen von Lunapark-Betreiber*innen besucht keine Oberschule oder Universität. Die meisten arbeiten wie schon ihre Vorfahren am Stand der Eltern mit.

Maurizio und Tiziana wissen, dass die Menschen vom Lunapark sich etwas Neues einfallen lassen müssen, wenn sie nicht nur in eine erfolgreiche Vergangenheit, sondern auch in eine solche Zukunft blicken wollen. Sie beide werden dann vermutlich nicht mehr dabei sein. Sechs, sieben Jahre wollen sie das Geschäft noch weiterführen, dann wollen sie verkaufen. Einige zehntausend Euro, hoffen sie, können sie aus ihrem Stand dann noch herausholen. Maurizio freut sich darauf, fischen zu gehen und Tiziana möchte endlich in ihrer großen Küche in Treviso backen und Menschen einladen: So einfach sind die Träume von Nomaden, die sesshaft werden wollen.

Von Maria Lobis

Der Text erschien erstmals in der 18. Ausgabe von „zebra.”, Juni 2016.

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