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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 30.03.2015
LeuteSüdtirolerin in Guatemala

Leben im unsichtbaren Krieg

Veröffentlicht
am 30.03.2015
Evi Kostner arbeitet mit den gefährlichsten Bandenmitgliedern der Welt in Guatemala Stadt. Jetzt will sie dort ein Jugend- und Kulturzentrum bauen.
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Es ist das Jahr 2012. Evi Kostner sitzt im Bus Richtung Zone Eins. Gerade hat sie ihren ersten Tag hinter sich, im „Zentrum der Rehabilitation“, wie das Gefängnis in Guatemala Stadt genannt wird. Zwei Stunden Fahrt hat sie vor sich, gefühlte 25 Mal muss sie umsteigen. Der Bus hält, weil ein Auto die Straße blockiert. Ein Mann sitzt auf dem Fahrersitz. Erschossen.

Kostner wird ab jetzt dreimal pro Woche diese Strecke zurücklegen. Sie arbeitet für sieben Monate im Gefängnis. Als Sozialarbeiterin und Anthropologin. Dann gründet sie zusammen mit drei weiteren engagierten Klausnern und Klausnerinnen die Organisation „AMIKARO“. Damit arbeitet sie in Guatemala in den Bereichen Gewaltprävention, Rehabilitation von Bandenmitgliedern im Gefängnis und Reintegration von straffälligen Jugendlichen in die Gesellschaft und die Arbeitswelt. Die 28-Jährige arbeitet dabei unter anderem mit einigen der gefährlichsten kriminellen Banden weltweit: der „Mara Salvatrucha“ (MS13), dem „Barrio 18“ und „White Fence“. Während ihres Aufenthalts wird sie drei erschossene Busfahrer und einen erschossenen Gefängnisdirektor sehen. Alltag in Guatemala, einem der gewalttätigsten Länder der Welt, wo täglich um die 17 Menschen erschossen werden.

Pandilleros sind Kindersoldaten

Mit 19 war Kostner das erste Mal in Guatemala. Damals für drei Monate als Touristin und Freiwillige im ländlichen Guatemala, heute arbeitet sie in Zone 12 der Hauptstadt. Hier fühlt sich keine Gemeinde zuständig für die 50.000 bis 100.000 Einwohner – die genauen Zahlen kennt niemand. Während die Mittel- und Oberschicht in reichen Vierteln wohnt, mit Wächtern und Zäunen wie im Gefängnis, leben viele Menschen hier in Hütten aus Wellblech, häufig ohne Wasser und Strom. „Wenn es regnet, schwemmt es Häuser, die auf den Hängen gebaut sind, oft einfach weg“, sagt die Kultur- und Sozialanthropologin. Das gesamte Gebiet ist militarisiert. Wird jemand von der Polizei gesucht, werden die Häuser mit geladenen Maschinengewehren gestürmt, egal wie viele kleine Kinder darin wohnen. „So können sie nicht normal aufwachsen. Die Gewalt ist nicht nur die Schuld der Drogenkartelle oder Gangs, sondern vor allem auch die Schuld der Regierung“, beklagt Kostner. „Sie macht keine Prävention sondern militarisiert ganze Viertel mit ihrer Politik der ‘Harten Faust’ und haut somit einfach drauf. So wird es anstatt besser, immer schlimmer.“

Gleich am Anfang sucht sie sich im Gefängnis zwei Häftlinge, die auf sie aufpassen. Den Wächtern zu vertrauen, sei nicht sicher genug, sagt sie. Bei über 2.000 Insassen, die sich den ganzen Tag frei bewegen können, habe die Gefängnisleitung keine richtige Kontrolle. Angst hat sie dennoch kaum. Sie hat sogar Freundschaften geschlossen, wie mit Miguel*, Mitglied der Bande Mara Salvatrucha. Er ist 24, im Gesicht die typischen Tätowierungen. Miguel erlebte schon früh Gewalt in der Familie, bereits mit zehn Jahren wurde er von der Bande rekrutiert. So wie die meisten hier. Dafür bekam er Schutz, Geld und Macht. „Viele fangen in diesem Alter bereits an zu morden“, sagt Kostner. Die pandilleros – Bandenmitlglieder – seien wie Kindersoldaten. Sie können in dem Alter oft noch nicht unterscheiden, was gut und was böse ist. Miguel hat seine sechs Jahre mittlerweile abgesessen und lässt sich heute seine Tattoos entfernen. Ein langwieriger und schmerzhafter Prozess, ohne den man ihn immer als ehemaliges Bandenmitglied erkennen würde. Manchmal könne er sich nicht im Spiegel ansehen, sagt er. „Die Frauen schauen mich an, als ob ich ein Monster wäre, aber sie kennen mich gar nicht.“ Miguel hat Angst, nie ein normales Leben mit einer Familie führen zu können, aber er ist bereits auf dem richtigen Weg dorthin. „Es ist eine Minderheit, die den Ausstieg aus dem Kreislauf der Gewalt schaff“, sagt Kostner. „Aber wenn es auch nur einer schafft, hat sich meine Arbeit schon gelohnt.“

Der Traum vom Jugend- und Kulturzentrum

Seit ihrer anfänglichen Arbeit vor drei Jahren hat sich im Gefängnis viel getan. Mittlerweile gibt es ein AMIKARO-Komitee im Gefängnis, bestehend aus drei Jungs im Alter von 21 und 24 Jahren. Zwei von ihnen gehören verschiedenen Gangs an, einer ist ein sogenannter paisa, jemand der keiner Gang angehört. „Normalerweise hätten die drei nichts miteinander zu tun, aber wenn sie bei unseren Projekten mitarbeiten wollen, geht es auch darum, mit Menschen zusammenzuarbeiten, mit denen man normalerweise nichts zu tun haben möchte. Das ist ja im normalen Leben auch oft so. Hier wollen wir zeigen, was Teamarbeit alles vollbringen kann“, sagt Kostner, die seit Anfang März in Holland wohnt. Dort ist sie vier Jahre lang als Ph.D-Kandidatin für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Utrecht mit dem Thema „(Il)legale Gangkultur in Guatemala Stadt“ tätig. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit wird sie immer wieder für längere Zeit nach Guatemala reisen und sich weiter für Gewaltprävention einsetzen. Der Grund, warum Kostner verstehen will, wie es ist, in einem so extrem gewalttätigen Umfeld aufzuwachsen, ist ein trauriger: Bei einem früheren Aufenthalt wurde ihr guter Freund und Jugendarbeiter Victor erschossen. „Egal was in der Vergangenheit war, jeder kann ein neues Leben anfangen. Wenn ich das nicht glauben würde, könnte ich nicht diese Arbeit machen“, sagt die starke Frau, die mit AMIKARO an zahlreichen Projekten arbeitet.

„Die pandilleros leben in einem ständigen Krieg“, sagt Kostner. Am 1. August begibt auch sie sich wieder für ein Jahr in diesen Krieg und das obwohl im September die Wahlen anstehen und damit eine traditionelle Steigerung der Gewalt bevorsteht. Einige Parteien würden die Gewalt anstacheln, um der Vorgängerpartei vorzuwerfen, dass sie die Gewalt nicht unter Kontrolle hätten. „Es gibt viele Verhaftungen von Menschenrechtsaktivisten, wichtige Persönlichkeiten verschwinden. Die Situation bei den Wahlen ist schon sehr delikat“, sagt Kostner. Kostner ist es wichtig zu betonen, dass sie nicht nur im Gefängnis arbeitet, sondern vor allem auch in den Armenvierteln der Zone 12. Jetzt möchte sie dort mit AMIKARO ein Jugend- und Kulturzentrum aufbauen, das die Jugendlichen irgendwann selbstständig und unabhängig führen können. Damit sollen die Jugendarbeiter endlich einen sicheren Arbeitsplatz haben. Noch sind sie dabei, ein geeignetes Haus zu finden. Dafür ist die Organisation aber auf Spenden angewiesen.

Ihre gesamte Familie ist stolz auf sie, vor allem ihr Vater. „Er wollte immer, dass wir das machen, was uns Freude macht und wovon wir denken, dass es das Richtige für uns ist“, sagt Kostner und lächelt. Ihrer Oma muss sie erst beibringen, dass sie wieder nach Guatemala geht, um Jugendlichen und Bandenmitgliedern zu helfen.

*Name von der Redaktion geändert. Auch Fotos der Aussteiger dürfen zu deren Schutz nicht veröffentlicht werden.

Dieses Video ist im Dezember 2014 im Gefängnis entstanden:

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