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In einem hautfarbenen Bodysuit mit dem Aufdruck der Mutter Gottes im Schritt liegt sie da, auf dem kalten Steinboden in den Gemäuern der Franzensfeste. Die Füße übereinander geschlagen, die Arme weit von sich gestreckt. Wie gekreuzigt. Als die Musik erklingt, streut sie sich langsam Glitzer über den nackten Körper. Wie ein Kreuzzeichen. Dann lacht sie wie verrückt los und steht auf. „Lieber Jüngling mein, lass mich dir empfohlen sein, steh in jeder Not mir bei und halte mich von Sünden frei. Bei Tag und Nacht, ich bitte dich, beschütze und bewahre mich”, leiert sie herunter.
Den Jüngling, gespielt von Julian Angerer, sieht man indes im Bildschirm des Fernsehers auf der Bühne. Dann nimmt das Stück „Salvation“ seinen Lauf. Hauptdarstellerin Nora Pider switcht von einem kleinen Mädchen, das immer wieder zum Telefonhörer greift und auf die Tasten haut, um ihren Jüngling zu erreichen, zu einer besessenen Frau, die vergeblich um seine Gunst buhlt. Immer frustrierter, weil sie kein Zeichen von ihm erhält. Ihre Kleidung wechselt, bis sie schließlich nur noch ihre Unterhose trägt – und Klebestreifen über ihren Nippeln. Kunst und Theater verschmelzen mehr und mehr zu einer verwirrenden Installation, die schmunzeln, nachdenken und staunen lässt. Gegen Ende hin steigert sich das Stück, wird masochistischer, verrückter, fesselnder.
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Zwei Stunden vor der Aufführung. Regisseurin Anna Heiss und Schauspielerin Nora Pider, beide 27, beide aus Brixen, sitzen im Innenhof der Festung Franzensfeste bei Kaffee, einer Flasche Wasser und einem Teller Salat. „Ich kann nicht viel essen, nicht, dass ich dann bei der Aufführung kotzen muss“, sagt Pider und lacht (wer das Stück gesehen hat, weiß warum). Sie klingt ein wenig erkältet. Später stellt sich der Grund dafür heraus: Der viele Glitzer, den sie bei jeder Aufführung in die Nase bekommt. Pider sei angespannt, sagt sie. Heiss ist gelassener. Sie wird später auch nicht halbnackt vor dem Publikum stehen, ihre Arbeit spielt sich im Hintergrund ab: Sie zeichnet sich für Konzept, Dramaturgie und inszenatorische Mitarbeit verantwortlich.
Salvation ist ihr erstes Performance-Projekt, das fast ohne Sprache auskommt. Was genau sie mit dem Stück sagen wollen, verraten sie nicht. Das sei dem Zuschauer überlassen. Jeder solle selbst etwas hinein interpretieren.
Einige Publikumsstimmen sprechen von Dornröschen, das auf ihren Prinzen wartet und zunehmend in Wahn gerät, als er nicht kommt. Das Stück könnte aber ebenso die unerhörte Liebe zu Jesus darstellen, zumal einige Szenen stark an den Kreuzgang Christi erinnern. Klar ist, dass es um Religion geht. Pider war dieses Thema wichtig. Sie selbst wuchs in einem sehr katholischen Haus auf. Immer wieder fallen ihr auch heute noch kurze Gebetsfetzen, Litaneien aus der Kirche ein. „Obwohl ich schon länger nicht mehr in die Kirche gehe. Aber die Kirche hat mich beeinflusst“, sagt sie.
Pider und Heiss sind schon als Kinder dem Theater verfallen. Im Theaterpädagogischen Zentrum in Brixen haben sich die beiden kennengelernt und 2009 das Theaterensemble „VonPiderZuHeiss“ gegründet. Heute machen sie gemeinsam mindestens eine Inszenierung im Jahr in Südtirol, neben Regie- und Schauspielstudium und Arbeit in Wien. „Südtirol ist einfach geil. Hier sind die Leute nicht übersättigt“, sagt Heiss. Als junge Regisseurin sei es aber auch schwierig, sich zu etablieren. „Ich vermisse hier, dass es wenig alternative und experimentelle Inszenierungen gibt“, sagt Pider. Beide wünschen sich für Südtirol Förderungen für freie Gruppen und Räume, die man für Proben und Aufführungen günstig mieten kann.
„Mich wunderts, dass Worte wie Blasphemie noch nicht gefallen sind – wie damals beim Frosch.”
Nach der einstündigen Aufführung sprechen Pider und Heiss mit dem Publikum, darunter junge Leute und einige ältere Damen. „Mich wunderts, dass Worte wie Blasphemie noch nicht gefallen sind – wie damals beim Frosch”, sagt Heiss nach dem Auftritt zu einer älteren Dame. Ihr habe es gefallen, immer wieder hätte sie lachen müssen während der Aufführung, sagt die. Alle Beteiligten sind erleichtert. „Es ist total schön, wenn einige Zuschauer nach einer Aufführung total aufgelöst sind“, sagt Heiss. „Manchmal wird aber auch gespöttelt. Es gibt Leute, denen es nicht gefällt. Das ist auch gut, man will ja auch ein bisschen anecken.”
Die Stücke von Pider und Heiss entstehen auf Papier. Frei und antiautoritär. Mal bei einem Abendessen, mal bei einem lockeren Treffen. Dann werden die Laptops aufgeklappt, Bilder und Musikvideos gezeigt und Lieder vorgespielt. „Wir sind fast immer der gleichen Meinung“, so Heiss. Steht das Konzept, wird drum herum die Performance gebaut. Das Duo PiderHeiss funktioniert. Schwieriger wird es, wenn eine dritte Person ins Spiel kommt, dann treten manchmal Konflikte auf, grinsen sie.
Zurzeit arbeiten sie zu viert an dem neuen Stück L_st, das am 11. September Premiere feiert. Darin zeigen sie die Musiker Julian Angerer und Raphael Lanthaler, die elektronische Musik machen, in einer Clubsituation. Kombiniert wird das Ganze mit Performancekunst von Pider.
Monatelange Vorarbeit steckt hinter dem Projekt, denn die Gruppe sucht und diskutiert so lange, bis sich etwas entwickelt, das zusammenhängend aufgeführt werden kann. „Bei L_st gab es den Schlüsselmoment, als wir auf Noras Dach gelegen sind“, sagt Heiss.
Die Theater-Duo will noch lange weitermachen mit ihrer Kunst. „In zehn Jahren werden wir ein eigenes Haus leiten, drei Inszenierungen im Jahr machen und in der restlichen Zeit werden Gäste spielen“, sagt Heiss scherzhaft und lacht: „Nein, wir haben kein klares Ziel.“ Pider will ihre Schauspielausbildung beenden und weiter in ihrer Band „The Artificial Harbor“ singen. Heiss widmet sich der Regie. Beide wollen das machen, was ihnen Spaß macht und hoffen, eines Tages von ihrer Kunst leben zu können.
Das Stück L_st wird am 11., 12. und 13. September in Südtirol aufgeführt.
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