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Ein Jahr in einem fremden Land mit fremden Leuten wohnen. Verena Oberlechner aus Bruneck hat diesen Schritt gewagt und ging nach Abschluss des Pädagogischen Gymnasiums als Au Pair in die USA. Ein Jahr wohnte sie im Haus ihrer Gastfamilie in einem kleinen Vorort in Boston und betreute den dreijährigen Jasper und die sechsjährige Maisie. Im Gegensatz zu einem Babysitter war die 22-Jährige rund um die Uhr für die Kinder da und gestaltete auch die Erziehung mit. Auch an den freien Wochenenden unternahm sie viel mit den Kindern.
Ich treffe die junge Frau in der Bar gegenüber des Zugbahnhofs in Bozen. Verena ist mit dem Zug gekommen, setzt sich an den kleinen Tisch und bestellt ein Glas Mineralwasser. „Irgendwann wurden sie für mich wie kleine Geschwister und ich ihre Ansprechperson, ihre große Schwester“, sagt Verena und lächelt, als sie an ihre Zeit in den USA zurückdenkt. Bald fängt sie ihr Studium an – entweder in Brixen oder in Wien – sie möchte Grundschullehrerin werden. „Nach dem Jahr als Au Pair weiß ich, dass ich im sozialen Bereich bleiben will“, sagt sie.
Warum hast du dich dafür entschieden, Au Pair zu werden?
Ich mag es, mit Kindern zu arbeiten und zu reisen. Wenn man in ein anderes Land kommt, fühlt man sich immer als Tourist. Als Au Pair hatte ich die Möglichkeit, in einer Familie zu leben, zu sehen, wie die Kinder aufwachsen und mich ein bisschen heimischer zu fühlen. Außerdem konnte ich so besser Englisch lernen, weil das Programm vorsieht, dass man ein College besucht.
Wie ist es an einem College?
Eigentlich genau so wie man es in Filmen sieht. (lacht) Die Studenten gehen von einem Kurs in den nächsten, es gibt alles, was man sich vorstellen kann: Kunst, Fotografie, Theater … Der Campus ist riesig, manchmal sitzen alle im Kreis auf der Wiese.
Wie bist du zu deiner Gastfamilie gekommen?
Durch Culture Care. Die Organisation hat die Aufgabe, die Interessen von Familie und Au Pair zu vergleichen. Sie schaut, ob die Erwartungen übereinstimmen und ob das Au Pair genug Erfahrungen gemacht hat. Die zwei Parteien werden gematcht – so nennt man das. Man bekommt in seinem Account Familien vorgeschlagen. Wenn man kein gutes Gefühl hat, muss man nicht gleich die erste nehmen. Von der Organisation bekommt dann jedes Au Pair pro Woche Taschengeld in Höhe von 195,75 Dollar und zusätzlich 500 Dollar im Jahr, um an einem College Kurse belegen zu können.
Kann jeder Au Pair werden oder muss man bestimmte Voraussetzungen mitbringen?
Man muss zwischen 18 und 26 Jahre alt und Nichtraucher sein. Matura oder eine Berufsausbildung sind Voraussetzung, ebenso der Führerschein. Man muss mindestens 200 Stunden Erfahrung im Bereich Kinderbetreuung haben. Neben guten Englischkenntnissen müssen auch ein Gesundheitszeugnis und sogar ein einwandfreier Strafregisterauszug vorliegen (lacht). Das Wichtigste ist aber die eigene Motivation. Wenn man es wirklich will und das der Agentur und der Gastfamilie zeigt, ist man schon im Vorteil.
Wie war das erste Zusammentreffen?
Es war komisch und neu. Sie waren aber extrem herzlich und haben mich gleich in die Familie aufgenommen, mir die Nachbarschaft gezeigt, Freunde vorgestellt und mich integriert. Auch die Kinder waren unglaublich hilfsbereit.
Und wie war es dann in der Familie, haben sie eine andere Mentalität?
Sie haben andere Gewohnheiten, machen in der Freizeit andere Sachen. Wenn man offen ist und zulässt, dass auch etwas anderes richtig sein kann, dann geht es. Die Amerikaner sind aber schon anders. Sie sind extrem offen. Es waren immer Leute da, die mir von sich aus geholfen haben. Sie sind auch enthusiastisch und übertreiben viel. Etwas ist nicht nur toll, sondern großartig. Die Lebensweise hat mir gefallen, es ist eine offene Art. Sie zeigen jedem, was sie wählen, indem sie im Garten Schilder aufstellen, ob sie für die Republikaner oder die Demokraten sind. (lacht)
Welche Aufgaben musstest du erledigen?
Meine Hauptaufgabe war es, auf die Kinder aufzupassen. Ich habe den Nachmittag mit ihnen kreativ gestaltet, habe sie von A nach B gefahren, das war am Anfang eine Herausforderung. Wir gingen mal ins Museum oder in die Bibliothek. Den größten Teil vom Tag habe ich mit ihnen verbracht, weil die Eltern beide berufstätig waren. Ich war auch für ihre Wäsche zuständig und brachte sie am Abend ins Bett.
Wurdest du ein Teil der Familie?
Von Anfang an haben sie sich angestrengt, dass ich ein Teil der Familie werde. Wir haben viel unternommen, fuhren am Wochenende oft nach New York, gingen klettern oder Skifahren und besuchten Disney World. Das war wirklich cool. Meine Gasteltern sagten mir, ich muss nicht traurig sein, wenn ich wieder abreise. Sie sagten: „Du hast etwas dazugewonnen und hast jetzt auch in Amerika eine Familie.“ Das hat mich beruhigt.
Was war das schönste Erlebnis in dem Jahr?
Es gab viele. Ich hab meinem kleinen Gastkind das Radfahren beigebracht, die Größere wurde eingeschult. Als ich zum ersten Mal in New York war, war das für mich auch ein großer Augenblick, denn als Kind habe ich ein Poster der Stadt bekommen und immer gesagt, ich will dort hin, wenn ich groß bin. (lächelt)
Hattest du vor Beginn des Jahres bestimmte Erwartungen?
Ich habe es ziemlich realistisch gesehen und ich glaube, das sollte man auch. Wenn man ein Leben wie in Hollywood erwartet, das erfüllt sich eh nicht.
Es gehört auch Mut dazu, für ein Jahr in eine andere Familie zu gehen …
Wenn man die Bewerbung ausfüllt und wartet, ist es ganz unrealistisch. Realistisch wird es erst, wenn man ein paar Wochen drüben ist und sich eingelebt hat. Vorher ist es wie ein Traum. Ich glaube schon, dass ein bisschen Mut dazugehört.
Einmal hatte ich drei Wochen frei, weil meine Gasteltern mit den Kindern verreist waren. Ich buchte also einen Flug nach L.A. Dort habe ich im Hostel neue Leute kennengelernt und mich einem Road Trip angeschlossen. Hier hätte ich das nie gemacht. Drüben wird man ins kalte Wasser geworfen, man muss aus sich herauskommen, um Sachen zu schaffen. Man kommt zurück und ist wie ein anderer Mensch. Ich wurde selbstsicherer und traue mir mehr zu. Es hat mir gut getan und ich würde es jedem empfehlen.
Hattest du Heimweh oder mal den Gedanken : „Warum mach ich das?“
Ich hatte Heimweh, aber ich glaube das ist normal. Vor allem zu Weihnachten. Dann ist meine Oma gestorben. Das war eine schwere Zeit für mich. Alle waren zu Hause und ich war ganz alleine auf mich gestellt. Zum Glück hatte ich ein super Verhältnis mit meinen Gasteltern und den Kindern. Ich konnte mit ihnen auch über Probleme reden. Der Kontakt über Skype und WhatsApp hat mir auch geholfen. Aber man muss auch selbstständig sein, rausgehen, Leute kennenlernen, Sport machen – etwas was einen ablenkt.
Was ist, wenn man überhaupt nicht mit der Familie klarkommt?
Culture Care schaut, dass die Familie und das Au Pair das auf ihre Art regeln, wenn man wirklich nicht zusammenarbeiten will, gibt es das Rematch – das Au Pair bekommt eine andere Familie im Account und kann innerhalb zwei Wochen wechseln. Wenn man keine Familie findet, geht man halt nach Hause.
Es gibt immer einige, die abbrechen, aber es ist immer auch Sache der eigenen Motivation. Es wird sicher nicht immer leicht sein, aber man sollte nicht gleich abbrechen, wenn es schwer ist. Man muss immer durch schwierige Situationen gehen. Ich kenne viele, die sind immer noch in den USA, weil sie einen Freund gefunden haben und jetzt drüben arbeiten. (lächelt)
Wie war der Abschied nach einem Jahr in der „neuen Familie“? Ist es dir schwergefallen zu gehen?
Es war ein Gefühlschaos. Ich habe mich auf meine Leute gefreut, war aber auch total traurig, dass ich gehen muss. Ich habe mich super wohlgefühlt und viel gesehen, viele Leute kennengelernt. Für mich war es schwer, weil ich mich gut eingelebt hatte. Was mich beruhigt hat, ist, dass meine Gastfamilie versprochen hat, mich zu besuchen und wir den Kontakt immer noch halten. Ich frage sie auch oft um Rat. Sie sind wirklich eine zweite Familie. Ich könnte es mir nicht vorstellen, wie es ohne sie wäre.
Am 18. Oktober findet im Kolpinghaus in Bozen von 11:30 bis 14:00 Uhr ein Infotreffen mit der Au Pair Agentur Cultural Care CCAP statt. Dort können sich Interessierte informieren. Verena Oberlechner wird von ihren persönlichen Erfahrungen erzählen.
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