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Lena Wopfner denkt drei Mal so schnell wie sie sprechen kann. Deshalb fängt ihre Stimme manchmal an, leicht zu zittern und die Sätze überschlagen sich, wenn sie aus ihrem Mund kommen. „Dann produziert mein Gehirn drei verschiedene Varianten eines Satzes gleichzeitig“, erklärt Lena – „ziemlich verwirrend.“ Die 17-Jährige sitzt in ihrem Wohnzimmer in Marling, direkt am warmen Ofen. Der Blick schweift durch das Fenster auf die Bergspitzen von Ifinger und Hirzer, die von der Abendsonne hellrot beleuchtet werden. Hier entstehen ihre Texte. „Wenn ich den ganzen Tag nicht schreiben kann, bin ich frustriert“, meint der Lockenkopf, „dann muss ich eben abends noch etwas in mein Tagebuch kritzeln.“
Wie kommst du überhaupt zum Schreiben, Lena?
Ich habe mir immer schon gerne Geschichten ausgedacht. In der dritten Volksschule habe ich dann einfach angefangen, diese auch aufzuschreiben.
Dein erster fertiger Roman trägt den Titel „Amanda – Das mysteriöse Mädchen“. Du hast ihn mit zwölf Jahren fertiggestellt.
Genau. Damals habe ich mir auf dem Heimweg von der Schule oft Gespräche ausgedacht. Irgendwann hat sich daraus ein Konflikt und schließlich eine ganze Handlung ergeben. Diese habe ich so ausgebaut, dass eine vollständige Geschichte drum herum entstanden ist.
Wenn Lena eine Schreib-Idee im Kopf hat, erzählt sie diese immer zuerst ihrer jüngeren Schwester, ihrer Beraterin. Ob aus der Idee dann ein Roman oder eine Kurzgeschichte wird, entscheidet Lena anhand der Komplexität ihrer Geschichten. Während Romane durch das Zusammenstückeln von aufgeschriebenen Textstellen entstünden, forme sich die Handlung bei Kurzgeschichten eher während des Schreibens.
Was gefällt dir denn am Schreiben?
Dass ich die Geschichten aus meinem Kopf erzählen kann. Und natürlich die Macht des Autors. Oft sitze ich ganz schadenfroh da und denke mir: „Haha, der Leser weiß noch nicht, was los ist, aber ich schon“. (lacht aufgeregt) Ich kann den Leser lenken, absichtlich falsche Hinweise streuen und auch Probleme kann nur ich als Autorin auflösen.
Glaubst du, dass das Schreiben ein Talent oder gar vererbbar ist?
Also weder meine Mutter noch mein Vater schreiben so viel wie ich, deshalb denke ich nicht, dass es vererbbar ist. Gelernt habe ich es aber auch nicht. Meine Deutschbildung in der Grundschule war nämlich nicht gut. Ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, woher diese Liebe zum Schreiben kommt. Obwohl ich mir schon oft darüber Gedanken gemacht habe.
In ihrem Alltag besucht Lena das Sprachenlyzeum in Meran. Außerdem ist sie die Leiterin der Ministranten in Marling und spielt Klarinette in der Musikschule und der Musikkapelle. In ihrer Freizeit lernt die 17-Jährige gerne fremde Sprachen wie Chinesisch und Isländisch auf eigene Faust. In der Schule sei ihr nämlich langweilig.
Wann findest du denn noch Zeit zum Schreiben?
An meinen Romanen arbeite ich meistens nach dem Mittagessen – anstatt Hausaufgaben zu machen oder zu lernen. Manchmal spüre ich aber auch abends einfach so, dass ich etwas schreiben muss. Dann fange ich mit ein paar Zeilen an und plötzlich kommt die nächste und wieder die nächste. Die Worte fließen dann einfach so aus mir heraus. Das ist ein sehr entspannendes Gefühl für mich.
Wie beschreibst du dich in drei Worten selbst?
Kreativ, ruhig aber offen.
Wenn man der 17-Jährigen eine Frage stellt, hört sie aufmerksam zu, denkt einen Moment lang nach und antwortet dann sehr präzise mit leicht gerunzelter Stirn. Wenn Lena hingegen vom Schreiben spricht, sieht ihr Gesicht völlig entspannt aus und ihre Augen leuchten.
Flüchtest du gerne in die Welt der Bücher?
Mhm. Ich versuche immer möglichst gute Bücher zu lesen. Deshalb leihe ich viel in der Bibliothek aus und gebe es zurück, wenn es mir nicht gefällt. Das kann ich aber erst seit Kurzem. (grinst) Früher musste ich alle Bücher fertiglesen, egal ob gut oder weniger.
Wie viel liest du denn?
(denkt kurz nach) Willst du die genaue Zahl wissen?
Dann läuft Lena in ihr Zimmer und holt ein kleines Büchlein aus geschöpftem Papier. Darin hat sie alle je gelesenen Bücher mit Datum verzeichnet. Besonders gute Bücher sind mit einem Herzchen hervorgehoben. Lesezeichen ist ein getrockneter Viererklee, den Lena in Weimar gefunden hat. Schnell zählt sie die Bücher vom vergangenen Jahr durch.
Neunundzwanzig. Meine Bestseller waren: „Der Joker“, „All the bright places“ – das habe ich auf Englisch gelesen – und „Der Ernst des Lebens macht auch keinen Spaß“.
Momentan überarbeitet sie den Roman „Schicksalszeilen“, den sie in der ersten Klasse der Oberschule geschrieben hat. Der Hauptcharakter sei ihr selbst nämlich zu ähnlich. Insgesamt habe Lena immer mehrere Baustellen gleichzeitig. Sieben fertige Romane warten noch darauf, veröffentlicht zu werden. Unzählige weitere Ideen schmiedet der Lockenkopf gerade zu neuen Werken zusammen.
„Mondlächeln“ ist dein erster veröffentlichter Roman. Du hast dabei aber mit keinem herkömmlichen Verlag zusammengearbeitet.
Ich wusste eigentlich schon von Anfang an, dass ich meine Werke irgendwann veröffentlichen will. Nach einer intensiven Recherche in den vergangenen Sommerferien habe ich mich schließlich für einen Onlineverlag entschieden. Der Verlag druckt auf Anfrage, so entstehen für mich keine Kosten. Außerdem verbleibt die Entscheidung über Form und Inhalt meiner Texte ausschließlich bei mir. Ich bin gerne autonom und mache außer dem Co-Lektorat alles selbst. „Mondlächeln“ habe ich mit 13 geschrieben. Ein Verlag hätte mir bestimmt nicht erlaubt, es genau so zu veröffentlichen. Dabei spricht das für einen authentischen Text.
Authentische Texte aus einer surrealen Welt. Deine Werke spielen in Anderlasien, einer Fantasiewelt.
Genau. Das ist eine magische Naturwelt, in der man auch zaubern kann. Eine Art Steigerung unserer Natur sozusagen. Die nächsten Bücher, die ich schreiben möchte, entfernen sich aber immer weiter vom Fantasy-Genre. Auch wenn mir das Genre nach wie vor gefällt, weil man sich darin eine andere Welt schaffen kann. Vielleicht eine bessere, vielleicht auch eine schlechtere.
Identifizierst du dich oft mit deinen Figuren?
Die Hauptfiguren sind mir ziemlich ähnlich, ja. Vor allem die weiblichen Protagonisten. Deshalb schreibe ich eigentlich immer aus der Sicht des männlichen Protagonisten. (denkt kurz nach) Ok, es variiert auch manchmal.
Ihre „Weltprobleme“ verarbeitet Lena seit einiger Zeit gerne auch in Poetry Slams. Dabei gefalle ihr das Vortragen vor Publikum und das Spielen mit Wörtern. In vielen ihrer Texte schreibt sie darüber, dass sie sich anders fühlt.
Kannst du dieses „Anderssein“ für mich definieren?
Ich habe einfach herausgefunden, dass ich anders denke als andere. Irgendwie war ich immer die Schlauste in der Klasse und wurde dann schnell als Streberin abgestempelt. Mir fallen oft banale Dinge, Details oder Stimmungen auf, die andere gar nicht bemerken. Auch mein Lebensstil unterscheidet sich vom Rest der Jugendlichen. Ich mag zum Beispiel keine Handys. Ich sehe die Welt einfach anders.
Wie sieht deine Welt denn aus?
Uff. Das ist schwierig zu beschreiben. Irgendwie bin ich optimistisch, weil ich die Welt einfach schön finde und denke, dass man mit einer positiven Lebenseinstellung einfach besser zurechtkommt. Andererseits gibt es immer wieder Phasen, in denen ich diesen „Weltschmerz“ spüre und mich über die ganze Welt – und indirekt über mich selbst – aufrege.
Sie besitzt weder Facebook noch WhatsApp, aber ohne Stift und Papier geht Lena niemals aus dem Haus. Und für den Fall, dass sie die Utensilien einmal vergessen sollte, trägt sie immer ein kleines Notfallblöckchen in ihrer Geldbörse mit. Am liebsten schreibt sie mit der Hand auf Papier, weil sie die Bewegungen so gerne mag. Außerdem denke man dabei mehr nach und steigere so die Qualität. Tippfehler passieren Lena auf Papier auch keine. Das Überarbeiten sei hingegen am PC leichter.
Wann hast du denn die besten Ideen zum Schreiben?
An den nervigsten Orten. Zum Beispiel unter der Dusche oder beim Einschlafen. Mittlerweile liegt in meinem Bett aber auch ein kleines Büchlein.
Träumst du davon, irgendwann als Autorin zu arbeiten?
Natürlich. Ob Autorin aber ein Brotjob ist, weiß ich noch nicht. Ansonsten könnte ich mir am ehesten vorstellen, Lehrerin zu werden. Um’s besser zu machen. (grinst) Aber jetzt will ich erstmal studieren.
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