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Es ist ein heißer Abend im August, knapp 35 Grad. Ich bin eine Viertelstunde zu früh auf dem Combi-Sportplatz in Meran. Gut so, denn ich treffe zwei Athletinnen von Hans Ladurner – zwei 15-jährige Mittelstreckenläuferinnen. „Hans ist sehr streng. Er will, dass wir täglich trainieren. Manchmal ruft er sogar zuhause an, wenn wir nicht kommen. Und wenn wir schlechte Resultate bringen, redet er gar nicht mehr mit uns.“ Trotzdem kommen sie gerne. „Wir mögen ihn.“
Der Mann, von dem sie reden, ist 92 Jahre alt – und war der erste Trainer von Geher-Olympiasieger Alex Schwazer. Mehr als 40 Jahre auf dem Sportplatz, unzählige Talente, Meistertitel, strenger Ehrgeiz – und trotzdem jemand, der seine Athlet:innen auch mal zur Pizzeria fährt, wenn’s sein muss. Aufhören? Davon ist keine Rede. Der Sportplatz ist sein Wohnzimmer.
Die beiden Mädchen sind bis Algund gelaufen, kommen ziemlich kaputt zurück. Ladurner dehnt mit, macht fast jede Übung vor. Mit der Uhr in der Hand: „Wechsel!“ – nächste Übung. Nach zehn Minuten schickt er sie in den Feierabend. Kaum sind sie weg, kommt schon die nächste Athletin, sie hat als Aufwärmrunde die Tappeinerpromenade hinter sich. „Was war dein Puls?“ Hoch, nach mehreren Steigerungsläufen. Bauchmuskeltraining, dann vier Mal 400 Meter. „Hop auf geats, los!“, feuert er sie an. Nach dem dritten Lauf will sie aufhören: „Mir ist schlecht!“ Ich denke, sie ist einfach kaputt. Nach 20 Sekunden startet sie doch noch. „Hop Sophia, auf geats, volle!“ Sie kämpft wie eine Löwin, langsamer als zuvor, geht an ihre Grenzen. „Das ist halt Training“, meint Ladurner trocken. Nach der letzten Runde: „Ok, finito.“
Die Zeiten werden akribisch gestoppt und ausgewertet. Für die Zukunft muss Hans Ladurner wissen, wie sich jemand entwickelt – und wie man besser werden kann. Danach bringt er die Athletin zur Pizzeria, wo sie mit ihren Eltern verabredet ist. Streng, aber auch ein Freund.
Ein guter Trainer, das weiß er, braucht viele Eigenschaften: Vorbild-sein, Begeisterung, Fachkompetenz, Empathie, Motivation. Gerade am Anfang brauche es Technik, Disziplin, Ehrgeiz – sonst verschwinden die Jugendlichen.
Ladurner selbst war früher ein leidenschaftlicher Boxer, bis ihn ein Autounfall stoppte. Schwimmen war die Empfehlung des Arztes, später kam er zur Leichtathletik. Der Sportclub Meran hatte damals fünf aktive Mitglieder. „Ich war läuferisch nichts wert, aber es gefiel mir zu laufen.“ Mit 48 nahm er an Wettkämpfen teil, 100 Meter bis Marathon, neun Jahre lang. Dann wurde ein Trainer gebraucht – und Ladurner sprang ein. „Sie hatten keinen“, schmunzelt Ladurner.
„Beim Laufen vergisst man die Sorgen, man lernt so viel – wenn man in Form ist.“
Die Begeisterung kam aus dem Genuss: „Beim Laufen vergisst man die Sorgen, man lernt so viel – wenn man in Form ist.“ Später faszinierte ihn das Gehen: technisch anspruchsvoll, „Können pur“. Sein schönster Trainer-Moment: Elke Ennemoser wird Italienmeisterin über zehn Kilometer.
Dann kam Alex Schwazer. „Körperlich top, niedriger Puls, enormer Ehrgeiz – aber technisch eine Katastrophe. Er war wie ein Pinocchio.“ Er erinnert sich noch gut an die Schulmeisterschaften 2003, als er ihn zum ersten Mal traf. „Er hat zwar gewonnen, schmiss die Medaille aber weg. Eigentlich hätte er disqualifiziert werden müssen, denn er blieb nicht mit beiden Füßen am Boden.“ Schwazer wollte trotzdem zu ihm, kam sogar einmal mit dem uralten, schweren Rennrad seines Großvaters von Sterzing nach Meran – und fuhr nach dem Training über den Jaufenpass heim. „Oft hat er mehr trainiert, als ich ihm aufgetragen habe. Manchmal ist er zuhause noch zehn Kilometer gegangen.“
Ladurner trägt seinen Stolz auf Schwazers spätere Erfolge nicht offen zur Schau – er spricht darüber mit bemerkenswerter Nüchternheit.
Am Anfang wollte Ladurner „die Leute von der Straße holen, damit sie nicht auf blöde Gedanken kommen“. Später wuchs der Ehrgeiz, Spitzenathleten auszubilden. Besonders stolz ist er auf Mannschaftswertungen – und dass viele seiner Schützlinge auch nach Jahrzehnten noch Freunde sind. „Ein ehemaliger Athlet kommt immer noch zum Training – und das nach fast 40 Jahren“, betont er.
Mit einem Anflug von Wehmut stellt Ladurner fest, dass die Leichtathletik an Bedeutung verloren hat – nicht nur in Südtirol, sondern überall. „Ich kann es mir nicht erklären. Vielleicht, weil es ein anstrengender Sport ist. Der Ehrgeiz ist auch nicht mehr derselbe. Bei den Neun- bis Zehnjährigen wird es wieder besser. Die Pandemie hat ein riesiges Loch hinterlassen. Die Jahrgänge 2008 und 2009 waren schwach, da konnte ich nichts herausholen. Die kommenden Jahrgänge bringen wieder gute Resultate. Tägliches Training ist das A und O. Ohne das bleibt man Freizeit-, aber kein:e Leistungssportler:in.“
An Ruhestand denkt Ladurner nicht. Der Sportplatz ist sein Leben – und sein liebgewonnenes Hobby. Von Beginn an war er für ihn die perfekte „Freizeitgestaltung“, und das ist bis heute so geblieben. „Der Sportplatz ist mein Wohnzimmer. Auch wenn kein Wettkampf ist, bin ich samstags hier.“ Sport ist und war seine Freizeit schlechthin. Mit 92 Jahren ist er immer noch fit wie ein Turnschuh. „Einmal im Monat gehe ich auf den Pulverturm in Meran – das sind immerhin über 100 Stufen. An den letzten Stufen merke ich, wie fit ich noch bin.“
„Ich bin nie auf den Sportplatz gegangen, um nur ein bisschen zu machen.“
Seinen Haushalt führt er noch selbst, zum Mittagessen geht er zu seinem Sohn. „Meistens fahre ich mit dem Auto, selten gehe ich zu Fuß, obwohl es nur eine halbe Stunde wäre. Vielleicht habe ich Angst, das Autofahren zu verlernen.“
Das Wichtigste in seinem Leben war und ist die Familie. „Als meine Frau vor vier Jahren starb, war das das Schlimmste, was mir je passiert ist. Ohne den Sport, die Leichtathletik, hätte ich es nicht geschafft. Nicht jeder kann so lieben, wie ich geliebt habe. Aber ich liebe vieles auf andere Weise.“ Diese Haltung hat dazu geführt, dass er jede seiner Tätigkeiten mit voller Intensität betrieben hat. „Ich bin nie auf den Sportplatz gegangen, um nur ein bisschen zu machen. Das liegt mir nicht. Ich habe immer hohe Ansprüche an mich selbst gestellt und alles mit vollem Einsatz getan – auch heute noch.“
Sein hohes Alter führt Ladurner auf seine Lebensfreude zurück. „Tu, was dir gefällt. Das Wichtigste ist, dass du abends schlafen gehst und weißt, was du am nächsten Tag tust – und dass du dich darauf freust. Das verlängert das Leben.“
Man spürt, dass der Sport sein größter Halt war – und dass er diesen Weg auch weiterhin gehen will, so wie in den vergangenen fünf Jahrzehnten.
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