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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 25.07.2025
LeutePorträt über Florian Mutschlechner

„Ich kämpfe weiter“

Veröffentlicht
am 25.07.2025
2016 veränderte ein Snowboard-Unfall das Leben von Florian Mutschlechner schlagartig. Seitdem ist der frühere MMA-Sportler querschnittgelähmt – und setzt sich seither für Selbstbestimmung, Barrierefreiheit und ein freies Leben im Rollstuhl ein.
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Der 24. Januar 2016 stellte das Leben von Florian Mutschlechner aus Sand in Taufers zum ersten Mal auf den Kopf. Beim Snowboarden auf dem Klausberg sprang der damals 29-Jährige über einen Kicker, den er seit Jahren immer ohne Probleme bewältigt hatte. Doch dieses Mal war es anders. Nach der harten Landung stürzte er und spürte anschließend seine Beine nicht mehr richtig. Der Rettungshubschrauber flog ihn sofort ins Krankenhaus Bozen. Nach der ersten Operation dann die erschütternde Diagnose: Querschnittslähmung, beide Beine waren gelähmt. Florian würde nie wieder laufen können.

So richtig daran erinnern, welche Gedanken ihm damals durch den Kopf gingen, kann sich Florian heute nicht mehr. Die starken Schmerzmittel trübten das, was darauf folgte. Das Zeitgefühl verschwamm, sagt Florian heute. „Aber ich weiß noch, dass ich die Zeit nach meinem Unfall als meinen nächsten Wettkampf, meine nächste Challenge sah.“ Sei es durch seinen eisernen Willen, seine mentale Stärke, seinen Kampfsport, den er praktizierte, oder durch eine Mischung aus alldem.

Florian war damals MMA-Kämpfer. Mixed Martial Arts ist eine Vollkontakt-Kampfsportart. Ähnlich wie Boxen, aber mit dem Unterschied, dass auch im Bodenkampf geschlagen und zum Teil getreten werden darf. Bei Wettkämpfen auf nationaler Ebene mischte der Tauferer vorne mit. Neben dem körperlichen Training ist für MMA-Kämpfer vor allem mentale Stärke wichtig. „Es geht viel um Taktik und Kopfsache“, erklärt Florian. „Um Kontrolle.“ Und genau darum ging es ihm auch nach seinem Unfall: bloß nicht die Kontrolle verlieren.

Die aussichtslosen Situationen, die er beim Kampf im Käfig erlebt hatte, spiegelten sich in der ersten Zeit nach seinem Unfall im Krankenhaus wider. Nach der ersten Operation durfte der sportliche junge Mann eineinhalb Monate nur auf dem Rücken liegen – nur gelegentlich wurde er vom Pflegepersonal leicht umgelagert. „Wenn ich jetzt zurückdenke, weiß ich ehrlich nicht, wie ich diese Zeit überstanden habe.“

Der Kämpfer
Noch im Bozner Krankenhaus fing Florian an wieder zu trainieren – mit Therabändern im Bett und mit leichten Gewichten. Er übte, sich in den Rollstuhl und vom Rollstuhl aufs Bett zu setzen. Kraft und Ansporn gaben ihm Familie und Freunde, die ihn nahezu täglich besuchten, und seine positive Einstellung. Vor seinem Unfall wohnte er bei seinen Großeltern in Bruneck in einer Wohnung im ersten Stock ohne Aufzug. Das hatte er noch vor der Reha als ersten Meilenstein im Hinterkopf. Er musste es schaffen, mit dem Rollstuhl alleine diese Treppe hochzukommen. Ein Unterfangen, das selbst für erfahrene Rollstuhlfahrer eine Herausforderung darstellt.

Florian kämpfte sich Stück für Stück seine Selbstständigkeit zurück. „Zum Physiotherapeuten, der mir davon abriet, sagte ich nur: Ich lerne das mit dir oder ohne dich“, erinnert sich Florian und lacht. Er lacht viel, während er über seinen Unfall und die Zeit danach erzählt. Aber so ist er eben, er nimmt vieles mit Humor, ist ein lockerer Typ. Schon immer ging er gern an seine Grenzen, rang gern mit den eigenen Ängsten. Das half ihm damals. Und das hilft ihm noch heute.

Florian Mutschlechner beim Klettern

„In Italien ist Barrierefreiheit ein sehr gedehnter Begriff. Nicht alles, was als barrierefrei deklariert ist, ist auch wirklich barrierefrei.“

Einfache Treppen stellen mittlerweile keine Herausforderung mehr dar. Seit seiner Querschnittslähmung arbeitet er Teilzeit, sechs statt acht Stunden täglich, weiter in seinem Job als CNC-Programmierer von Industriemaschinen in Bruneck. Nebenher machte er sich später noch selbstständig im Auto-Software-Tuning. Zum einen, weil er passionierter Autofan ist, zum anderen, weil er andere beim rollstuhlgerechten Umbau ihrer Fahrzeuge unterstützen kann. Er ist immer noch sportlich, entdeckte nach seinem Unfall die Leidenschaft für das Klettern wieder für sich und fährt heute Monoski statt Snowboard. Vor eineinhalb Jahren machte er den Sportschützenschein.

„In Italien ist Barrierefreiheit ein sehr gedehnter Begriff.“

Florian ist unabhängig. Dennoch ist er im Alltag immer wieder mit Hürden konfrontiert. Außerhalb seines gewohnten Umfelds ist da immer diese Unsicherheit. Unbeschwertes, gedankenloses Wegfahren ist kaum mehr möglich – Florian muss immer genau planen. „In Italien ist Barrierefreiheit ein sehr gedehnter Begriff“, sagt der Rollstuhlfahrer und lacht. „Nicht alles, was als barrierefrei deklariert ist, ist das auch wirklich. Ich bin froh, dass ich sportlich bin und nehme es meist locker, aber manchmal ist es einfach anstrengend.“

Situationen, in denen das WC in einem angeblichen rollstuhlgerechten Café nur über eine enge Wendeltreppe erreichbar ist oder schlichtweg zu wenig Platz bietet, sind leider alltäglich. Ebenso problematisch sind zugeparkte Invalidenparkplätze oder Fahrzeuge, die zu nah an der seitlichen Bewegungsfläche stehen. Auch Rampen vor Gebäuden, die zwar als rollstuhlgerecht gelten, aber so steil gebaut sind, dass sie allein nicht bewältigt werden können, oder Hotelduschen, die schlicht zu eng sind, stellen alltägliche Barrieren dar. Das ärgert Florian: „Es ist ok, dass nicht alles barrierefrei ist, aber manche Dinge wie das Parken auf Behindertenplätze sind einfach ein No-Go und jeder sollte sich Gedanken darüber machen.“ In der Politik wird dieses Thema häufig hinten angestellt. Das will Florian ändern. Seit 2025 setzt er sich im Gemeinderat in Sand in Taufers für Barrierefreiheit ein und hat bereits in der Vergangenheit einige Projekte realisiert.

Für Barrierefreiheit
Durch die Arbeitsgruppe für Barrierefreiheit wurde in Sand in Taufers unter anderem ein inklusives Spielgerät für Kinder im Rollstuhl auf dem öffentlichen Spielplatz eingeplant. Außerdem entstand die Turngruppe „Inklusive Sportskanonen“ – ein Angebot für Menschen mit Beeinträchtigung. Nach Vorbild der Stadt Bozen setzte sich Florian dafür ein, auch in seiner Gemeinde Schilder auf Invalidenparkplätzen anzubringen, mit der Frage: „Sind Sie sicher, dass Sie auf dem richtigen Parkplatz parken?“

Ein weiteres Projekt war die Einführung des Euroschlüssels – einem Einheitsschlüssel, mit dem Menschen mit Invalidenausweis und den dadurch erworbenen Schlüssel Zugang zu behindertengerechten Toiletten an vielen öffentlichen Orten in Europa erhalten.

Der zweite Schicksalsschlag
Vor einigen Monaten hatte der 39-Jährige seinen wohl härtesten Kampf. Am 17. April wurde Florian an der Hüfte operiert, weil sein Oberschenkelkopf häufig aus der Hüftpfanne sprang. Eigentlich ein Routineeingriff, doch es kam zu Komplikationen. Der Blutdruck stieg auf fast 300 mmHg – eine Folge eines spinalen Schocks, ausgelöst durch seine Querschnittslähmung, der zu einem lebensbedrohlichen Kreislaufversagen führte. Florian musste reanimiert werden und lag fünf Tage auf der Intensivstation.

„Diese Sache belastet mich vom Kopf her mehr als mein Unfall damals.“

„Diese Sache belastet mich vom Kopf her mehr als mein Unfall damals“, sagt Florian. „Es hätte ganz leicht vorbei sein können.“ Dieser Vorfall hängt ihm nach. „Ich habe mein Leben immer geschätzt. Aber wenn man mal auf den Nullpunkt zurückgesetzt wurde, lernt man Kleinigkeiten viel mehr zu schätzen, wie als ich vor zwei Wochen meinen ersten Klimmzug ohne Schmerzen machen konnte. Oder als ich zum ersten Mal nach meinem Krankenhausaufenthalt duschen gehen konnte. Da hätte ich vor Glück plärren können.“

Wie nach seinem Unfall arbeitet sich Florian wieder Stück für Stück seine Selbstständigkeit zurück. Und es geht langsam aufwärts. Jetzt freut er sich vor allem darauf, mit seiner Hündin Kessy wieder längere Spaziergänge zu unternehmen, zweimal pro Woche klettern und auf den Schießstand zu gehen, um den Kopf frei zu bekommen.

Und wenn er darüber nachdenkt, freut er sich jetzt schon auf den nächsten Winter. Am Speikboden, seinem Hausberg, kann er trotz Handicap ganz ohne Hilfe Skifahren. Unabhängig und frei. „Dann ist es wie früher“, sagt er.

Florian hadert nicht mit seinem Schicksal. „Durch meine Situation habe ich in den vergangenen neun Jahren so viele schöne Sachen erlebt, coole Gespräche geführt, auch solche, in denen ich Menschen in einer schwierigen Phase Mut zusprechen konnte“, sagt Florian. „Und wie viel wert ist das heute, wenn man jemanden helfen kann?“

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