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Matthias Schwarz
Veröffentlicht
am 27.02.2024
LeuteDas Bologna-Attentat

„Ich habe 40 Jahre lang keine Eier gegessen“

Veröffentlicht
am 27.02.2024
Vor 44 Jahren starben bei einem Terroranschlag in Bologna 85 Menschen, rund 200 wurden verletzt, darunter Sonia Zanotti. Die Grödnerin über den Tag, der ihr Leben prägt, ihren anonymen Retter und ihre Aufklärungsarbeit an Schulen.
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Sonia Zanotti

Am Morgen des 2. August 1980 geschah am Bahnhof das schlimmste Attentat in Italien seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs: Eine  Bombe tötete 85 Menschen und verletzte 200 Menschen. Es war der Höhepunkt der sogenannten anni di piombo, den bleiernen Jahren, in deren Verlauf mehrere 100 Menschen getötet wurden. Bisher wurden Valerio Fioravanti, Francesca Mambro, Luigi Ciavardini und Gilberto Cavallini als Attentäter:innen rechtskräftig verurteilt. Ende Januar 2024 ist der Rekurs gegen den mutmaßlich fünften Attentäter Paolo Bellini angelaufen. Die Attentäter kommen alle aus dem neofaschistischen Umfeld.

Heute befindet sich in Italien eine Nachfolgepartei des Movimento Sociale Italiano (MSI) an der Macht, aus deren Dunstkreis einige der Attentäter stammen. Die Partei heißt mittlerweile Fratelli d’Italia(FDI) und gibt sich gewandelt und geläutert. Dennoch glänzt die Ministerpräsidentin Meloni bei dem Jahrestag des Anschlags von Bologna mit Abwesenheit, und in ihrem zum Jahrestag veröffentlichten Kommuniqué betrauert sie zwar die Opfer, unterlässt es aber, von einem neofaschistischen Hintergrund des Attentats zu sprechen. Sonia Zanotti aus Gröden glaubt nicht an einen Wertewandel des FDI. „Sie können ihre wahren Werte vielleicht nach außen gut kaschieren, aber innerlich sind sie gleich geblieben“, glaubt Sonia Zanotti, eine der Überlebenden des damaligen Anschlags.

Nach dem Attentat in Bologna im Jahr 1980

Sie ist heute die Vize-Präsidentin der Vereinigung der Angehörigen der Opfer des Anschlags von Bologna. „Unter dieser nationalen Regierung sind Dinge wieder sagbar,“ so Zanotti, „die noch vor ein paar Jahren niemals gesagt werden hätten können.“ So leugnete der Kommunikationsbeauftrage der Region Latium Marcello de Angelis, die Schuld der Attentäter. Aufgrund des öffentlichen Drucks musste De Angelis, verurteilter Rechtsterrorist und Schwager einer der Attentäter von Bologna, dann seinen Rücktritt einreichen. Solche Aussagen zeigen aber, dass zumindest Teile des rechten Establishments rund um Ministerpräsidentin Meloni insgeheim an ihren alten Überzeugungen festhalten.
Sonia Zanotti verfolgt die Entwicklung Italiens mit Sorge. BARFUSS hat die heute 55-Jährige  zum Interview getroffen und mit ihr über den Anschlag, ihr Leben danach und die Erinnerungskultur in Italien gesprochen.

BARFUSS: Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an den 2. August 1980 denken?
Sonia Zanotti: Wenn ich an diesen Tag zurückdenke, dann fällt mir sofort das Wort Schicksal ein. Ich hätte mich nämlich überhaupt nicht am Bahnhof in Bologna befinden sollen. Ich war damals elf Jahre alt und war zu Besuch bei meinen Großeltern in der Nähe von Imola. Normalerweise war ich dort den ganzen Sommer, aber in jenem Jahr musste ich schon im August zurück, da das Trockentraining meiner Skimannschaft begann. Eigentlich hätte ich sogar schon eine Woche vor dem 2. August Heim müssen. Aber meine Cousine aus Imola hatte spontan beschlossen, mich eine Woche später in Gröden zu besuchen und deshalb habe ich meine Abfahrt verschoben. Unser Zug hätte auch an jenem Tag schon um 8:40 Uhr abfahren sollen, aber wir haben ihn verpasst. Er ist genau vor unserer Nase abgefahren. So mussten wir auf den nächsten Zug nach Südtirol warten.

Woran erinnern Sie sich rund um das Attentat am 2. August 1980?
Der Bahnhof, wie im August üblich, war voller Leute. Ich war im Wartesaal und habe ein belegtes Brot mit Eiern gegessen. Dieser Eindruck ist mir präsent geblieben, denn nach der Explosion hat sich der Staub der Trümmer in meinem Mund mit dem Geschmack des belegten Brots gemischt. Ich habe danach für 40 Jahre keine Eier mehr gegessen. 

Hilfseinsatz nach dem Terroranschlag am Bahnhof in Bologna am 2. August 1980

Wie haben Sie die Explosion erlebt?
Ich sah zuerst ein starkes Licht, dann wurde ich in die Luft gehoben und bin niedergefallen. Ich habe zuerst gar nicht realisiert, was da passiert ist. Ich wollte aufstehen und weggehen, aber es ging nicht. Ein Stuhl war auf meinen Kopf gefallen und ein Teil meines Körpers befand sich unter Trümmern. Rund um mich gab es viel Geschrei. Dann kam ein junger Mann auf mich zu. Er hat mich aus den Trümmern befreit und mir auf die Beine geholfen. Als ich dann gehen wollte, ging das aber immer noch nicht, denn mein rechter Fuß hing nur noch an meinem Fußgelenk. Er war fast vollständig abgetrennt.

Die Schmerzen müssen unerträglich gewesen sein?
Ich habe eigentlich keine Schmerzen gespürt. Woran ich mich aber noch gut erinnern kann, ist, dass mir eiskalt war und das mitten im Sommer. Das war die Schockreaktion meines Körpers. Noch heute reagiere ich besonders sensibel auf Kälte. Ich wurde dann von den Rettungskräften auf eine Trage gehievt und weggebracht. 25 Minuten später befand ich mich im Krankenhaus. Das war meine Rettung.

Haben Sie erfahren, wer Ihr anonymer Retter war?
Nein, leider nicht. Es sind jetzt 44 Jahre vergangen seit dem Attentat und vielleicht lebt er auch nicht mehr. Ich weiß auch sonst nichts über ihn. Woher kam er überhaupt? Vielleicht ist er jemand, der nie über den 2. August geredet hat und versucht, diesen Tag aus seiner Erinnerung zu verbannen. Es wäre schön gewesen, ihn zu finden, da sich für mich dadurch ein Kreis geschlossen hätte.

Das Attentat und ihr Leben danach hat Sonia Zanotti in einem Buch aufgearbeitet. Es ist 2022 unter dem Titel „30 secondi” erschienen.

Vor dem Attentat waren Sie begeisterte Skifahrerin und sind auch Rennen gefahren. Nach dem Attentat, schreiben Sie in Ihrem Buch, ging das nicht mehr. Wie hat sich ihr Leben sonst noch verändert?
Im ersten Moment hat sich die Veränderung vor allem auf meinen Körper bezogen. Ich konnte nicht mehr wandern oder klettern. Alles, was man in Gröden so macht in der Freizeit, war für mich nicht mehr möglich. Ich habe im Jahr nach dem Attentat nochmals versucht Ski zu fahren, aber es ging nicht.
Meine Jugendzeit ist auch ganz anders verlaufen, zum Beispiel durfte ich an den Schulausflügen in andere Städte nicht mehr teilnehmen. Meine Eltern hatten zu viel Angst um mich und wollten mich beschützen. Manchmal habe ich mich gefühlt wie unter einer Glasglocke, von der Außenwelt abgeschirmt. Dagegen habe ich natürlich rebelliert und konnte mich auch manchmal durchsetzen. In der Schule konnte ich mir auch nie vorstellen, später in einem Büro zu arbeiten. Ich wollte in der Natur arbeiten, zum Beispiel als Skilehrerin oder Bergführerin, aber auch das war nicht mehr möglich.

Lidia Secci, die Mutter von einem der Opfer des Attentats, hat in einem Dokumentarfilm gesagt, dass die Terroristen damals nur einen Fehler gemacht haben.
Diese Aussage bezieht sich auf den Ort des Attentats: Bologna. Das Ziel des Attentats war es ja, Angst und Terror zu verbreiten. Die Menschen sollten zu Hause bleiben, sich machtlos fühlen und die Politik einfach machen lassen. Vor allem in einer traditionell „roten“ Stadt, wie Bologna. Aber genau das Gegenteil ist passiert. Die Menschen sind auf die Straße gegangen und haben reagiert. Ein berühmtes Beispiel ist der Busfahrer der damaligen Linie 37 in Bologna. Er hatte eigentlich schon Dienstende und ist trotzdem mit seinem Bus an den Bahnhof gefahren, um Hilfe anzubieten. Am Anfang hat er Verletzte in die Krankenhäuser gebracht. Dann wurden alle Sitze des Busses entfernt und er hat die Opfer in die Leichenschauhäuser gebracht. Er ist eines von vielen Beispielen. Viele Menschen sind aus den Ferien zurückgekommen und haben ihre Hilfe angeboten, etwa indem sie die Angehörigen der Opfer untergebracht haben. Das war das Besondere an Bologna. In einer anderen Stadt wäre das vielleicht nicht passiert.
Nach dem Attentat wurde dort auch die „Vereinigung der Angehörigen der Opfer des Anschlags von Bologna“ gegründet. Es war die erste Vereinigung dieser Art, obwohl es in Italien der damaligen Jahre viele Anschläge gab. Die Vereinigung wurde gegründet, um die juristische Aufarbeitung des Attentats voranzutreiben und Gerechtigkeit einzufordern.

Der Bus der Linie 37 wurde kurzerhand zu einem Krankenwagen umfunktioniert.

Es gibt unzählige Gerichtsverfahren, die sich mit den Attentätern und den Hinterleuten befassen. Außerdem gab es Versuche der Irreführung der Richter, unter anderem wurden dafür ehemalige Mitarbeiter der italienischen Geheimdienste verurteilt. Haben Sie je an dem Rechtsstaat gezweifelt?
Eigentlich nicht. Einer meiner „Vorteile“ war, dass ich damals noch sehr jung war. Deshalb habe ich die ersten Prozesse gar nicht wirklich mitbekommen und auch die politische Situation nicht. Ich habe mich dann, je älter ich wurde, stückweise dem Thema der juristischen Aufarbeitung annähern können. Durch diese langsame Herangehensweise an dieses Thema habe ich nie Hass oder das Gefühl von Ungerechtigkeit entwickelt. Ich finde, es ist wichtig, dass es auch heute noch Prozesse gibt, denn ich möchte nämlich die ganze Wahrheit erfahren. Ob das aber je passieren wird, bin ich nicht sicher.

Valerio Fioravanti und Francesca Mambro, zwei der Attentäter:innen, sind heute freie Bürger. Was denken Sie darüber?
Das ist für mich sehr schwer verständlich. Dabei wurden beide zu mehrmals lebenslänglich verurteilt und haben nie Reue gezeigt. Reue oder Einsicht sind aber normalerweise eine der Voraussetzungen, um Straferlass zu bekommen. Außerdem hat Francesca Mambro vom Akt der Wiederversöhnung einer Angehörigen eines der Opfer profitiert – und das, obwohl sie die Tat immer geleugnet hat. Bei meiner Aufklärungsarbeit in den Schulen habe ich große Schwierigkeiten, den Jugendlichen zu erklären, wie dies in einem Rechtsstaat möglich ist.

Warum haben Sie sich im Jahr 2005 entschlossen, der Vereinigung der Angehörigen der Opfer des Anschlags von Bologna anzunähern?
Nach der Geburt meines zweiten Sohnes habe ich eine Krise durchlebt und deshalb einen Psychologen aufgesucht. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich noch nie mit einem Psychologen gesprochen. Dort ist dann auch das Attentat thematisiert worden. So habe ich gelernt, mit den Verletzungen meiner Seele umzugehen. Die Aufarbeitung mit dem Psychologen hat mich dann zur aktiven Mitarbeit in der Vereinigung gebracht.

Sonia Zanotti mit ihren Kindern Michael und Alan bei einer Gedenkfeier in Bologna am 2. August
2023


Wie kam es zum Entschluss, die Vereinigung auch nach außen zu repräsentieren? Ich kann mir vorstellen, dass nicht alle das machen wollen …
Das gehört zu meinem Charakter: Wenn ich etwas mache, dann richtig.

Ist es anstrengend, ständig über das Attentat zu sprechen? Oder befreiend?
Am Anfang war es sehr befreiend. Es ist natürlich auch anstrengend, aber ich habe gelernt damit umzugehen. Es kommt allerdings auch darauf an, mit wem ich spreche, ob mit Schüler:innen oder Bekannten. Besonders schwer fällt es mir mit Menschen, welche mit der juristischen Aufarbeitung des Attentats nicht einverstanden sind. Ich spüre aber eine Verantwortung, um die Menschen aufzuklären über das, was damals passiert ist.

Im Zuge Ihrer Arbeit in der Vereinigung besuchen Sie auch Schulen, um dort Ihre Geschichte mit den Schüler:innen zu teilen. Wie bekannt ist das Thema noch unter den Schüler:innen?
Das hängt davon ab, wie gut die Lehrer:innen sie darauf vorbereiten. In den Schulen ist der 2. August 1980 meist nicht Teil des Geschichtsunterrichts. Wenn ich Workshops an Schulen in Südtirol halte, dann weil ich eingeladen werde und zumeist schon eine Sensibilität für das Thema vorhanden ist. Es besteht aber reges Interesse bei den Jugendlichen. Es wird viel nachgefragt.

Gibt es Unterschiede zwischen der deutschen und italienischen Aufmerksamkeit für den Anschlag von Bologna?
Ich bin eher in der italienischen Sprachgruppe verwurzelt und deshalb dort aktiver. In den letzten Jahren konnte ich ein verstärktes Medieninteresse der Presse aller Sprachgruppen beobachten, zum Beispiel war ich Südtirolerin des Tages, wurde von den Zeitungen „Dolomiten” und der „La Usc de Ladins” interviewt.



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