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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 18.01.2016
LeuteAuf a Glas'l mit Sarah Trevisiol

„Hinter die Fassade blicken“

Veröffentlicht
am 18.01.2016
Sarah Trevisiol plädiert für eine Reisepflicht für Jugendliche. Die Filmemacherin ist auf der ganzen Welt unterwegs, um die Geschichten von kleinen Leuten einzufangen.
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Sarah Trevisiol

„Mir miasn ausn eigenen Landl ausigean“, sagt Sarah Trevisiol. Mit ihren 32 Jahren ist die Boznerin nicht nur Ethnologin, sondern schon so gut wie um die halbe Welt gereist. Doch nicht etwa, um Urlaub zu machen, sondern um Menschen, die sonst nicht zu Wort kommen, eine Stimme zu geben. Sarah ist zusammen mit ihrem Freund Dokumentarfilmerin und immer auf der Suche nach neuen Geschichten. Warum sie sich manchmal nach einem guten Glas Wein und einer Scheibe Speck sehnt und eine einjährige Reisepflicht für alle Jugendlichen einführen möchte, erzählt sie im Skype-Interview.

Sarah, du bist gerade auf Reisen, oder?
Genau. Ich und mein Arbeits- und Lebenspartner Matteo Vegetti sind mittlerweile seit einem Jahr hier in Asien unterwegs und arbeiten an verschiedenen Projekten. Zuerst haben wir ein paar Reportagen in Indien gedreht, sind dann weitergezogen und haben uns unseren eigenen Projekten gewidmet. Momentan sitzen wir in Bali und schnipseln an unseren nächsten Filmen – bei knappen 37 Grad Celsius.

Worum gehts darin?
Es geht um ein großes Fruchtbarkeitsfestival in der Nähe von Kalkutta in Indien, über das ich schon vor sieben Jahren in meiner Magisterarbeit eine Feldforschung betrieben habe. „God for a week“ soll in ein paar Monaten dann auf verschiedenen Filmfestivals zu sehen sein. Außerdem schneiden wir gerade einen kurzen Film über muslimische Transgender in Bangladesch.

Seit Oktober 2015 betreibt Sarah mit ihrem Partner die Produktionsfirma Silent Storm. Sie ist dabei Autorin, macht die Recherche und führt die Interviews, er filmt. Geschnitten wird zusammen. Die Dokus spielen meist auf einer sozialen Ebene, handeln zum Beispiel von der Grünen Revolution in Indien oder von indischen Minderheiten.

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Warum habt ihr euch fürs Medium Film entschieden?
Weil wir daran glauben, dass man durch Videos auf sehr direkte Art ein großes Publikum erreicht, wichtige Themen ansprechen und Kritik ausüben kann. Durch Videos kann man auch Genres mixen und Disziplinen vereinen. So haben wir im Jahr 2014 zum Beispiel das Medium Video in der Didaktik verwendet. Mit der Dokumentation „Insiders Outsiders“ haben wir durch die Geschichten über junge Migrantenkinder, die in Südtirol aufgewachsen sind, informiert. Dokus sind schon meine wahre Liebe, die sich außerdem wunderbar mit meinen Interessen als Ethnologin verknüpfen lassen.

Und was wollt ihr mit euren Videos erreichen?
Wir sammeln Geschichten von Leuten und schaffen eine Plattform, die einen Dialog stimuliert.

So habt ihr in einem Projekt auch die „gelbe Invasion” in Bozen untersucht und thematisiert, oder?
Genau. Dieses Projekt habe ich mit einigen Leuten von der Uni Bozen und Matteo Moretti entwickelt. In „Visual Journalism“ geht es um die chinesische Community von Bozen. Wir wollten aus vorherrschenden Klischees über die Chinesen in der Stadt eine wissenschaftliche Arbeit machen. So haben wir Untersuchungen durchgeführt, Zahlen eingeholt und diese am Ende zusammen mit Geschichten von in Bozen lebenden Chinesen zusammengefügt. Das Resultat sollte grafisch einfach gestaltet, für jeden verständlich sein. Am Ende hat sich herausgestellt, dass es gar keine Invasion gibt (schmunzelt).

Also gibt es doch keine Parallelwelt, kein China Town in Bozen?
Nein und auch nichts, das dem irgendwie ähneln würde. Chinesen bürgern sich hier einfach durch Familie und Freunde ein, aber gleichmäßig auf dem ganzen urbanen Feld.

„Jammern bringt nichts. Man muss die Ärmel aufkrempeln und anpacken.“

Du hast in den letzten Jahren bei deinen Projekten viel mit dem Thema Migration zu tun gehabt. Was sagst du denn zur aktuellen Flüchtlingskrise?
Natürlich bin ich seit einem Jahr unterwegs und kriege die Krise persönlich nicht mit. Aber ich arbeite seit der Nordafrikakrise schon mit Flüchtlingen zusammen und habe auch einige Projekte zu Hause mitgestaltet. Zurzeit wird die Angst zu diesem Thema medial stark aufgeputscht. Vor allem schlimme Dinge werden in den Medien in den Vordergrund gerückt. Ich denke, dass es in jeder Gruppe ein schwarzes Schaf gibt. Deshalb aber die ganze Gruppe abzustempeln, finde ich sehr unfair. Man muss den Menschen einfach die Möglichkeit geben, sich auch in Südtirol ein Leben aufzubauen. Wenn man jemanden ständig abschiebt, entstehen irgendwann Frustration und auch Aggression. Ein Dialog würde hier viel mehr bringen als schimpfen. Was ich persönlich außerdem immer schlimm finde, ist, dass viele Leute schnell laut werden, ohne sich vorher Gedanken zu den Hintergründen zu machen.

Beziehst du dich da auf Südtiroler?
Mich wundert es, dass wir im Jahr 2016 immer noch der Meinung sind, dass Südtirol eine Insel für sich ist und Dinge wie die Flüchtlingskrise bei uns nicht passieren. Diese Engstirnigkeit erschreckt mich immer wieder. Auch, dass Leute nicht verstehen, dass Schimpfen nichts bringt. Wir müssen uns konkret mit diesen Thematiken auseinandersetzen, versuchen Lösungen zu finden und zu überlegen, was wir geben können und was nicht. Jammern bringt nichts. Man muss die Ärmel aufkrempeln und anpacken.

Denkst du, diese Engstirnigkeit kann irgendwie behoben werden?
Ja, ganz einfach: durch das Reisen. Wenn es nach mir ginge, würde ich einführen, dass jeder junge Mensch nach der Oberschule Reisepflicht hat. Reisen öffnet einem die Augen, man kommt aus seiner eigenen Komfortzone heraus und lernt Dinge aus einer anderen Perspektive zu sehen und dadurch toleranter zu werden. Vorurteile werden so aus dem Weg geräumt. Wir müssen einfach lernen, nicht nur die negativen, sondern auch die positiven Seiten der sogenannten Problematik zu sehen und vielleicht einmal über alternative Lösungswege nachdenken, die einem oft erst durch den nötigen Abstand bewusst werden.

„Beim Reisen muss man sich mit seinen eigenen Grenzen auseinandersetzen.“

Ihr seid also die meiste Zeit im Jahr unterwegs, um nach neuen Geschichten zu suchen. Wie finanziert ihr denn eure Dokus?
Es ist ein bisschen schwierig, das muss ich schon sagen. Bestimmte Reportagen machen wir zum Beispiel für Firmen und kriegen dafür ein bestimmtes Budget zur Verfügung gestellt. Für unsere unabhängigen Projekte suchen wir uns hingegen selbst finanzielle Einnahmequellen. Eine Doku haben wir kürzlich zum Beispiel fürNational Geographic”produziert. Wir sind aber nach wie vor am Anfang und müssen versuchen, mit jedem Projekt ein kleines Einkommen zu kriegen.

Also könnt ihr noch nicht davon leben?
Das sag ich dir dann in ein paar Jahren (lacht).

„Der Austausch mit anderen Leuten verändert einen auch selbst, macht neugieriger und kreativer und kreiert dabei eine besondere Energie.“

Wie findet ihr denn eure Geschichten?
Es geht in erster Linie darum, einen Kontakt aufzubauen, sich mit Menschen auszutauschen, so viel wie möglich von den Personen zu lernen und nur in ganz wenigen Fällen machen wir am Ende einen konkreten Film daraus. Oft müssen wir auch abwägen: Wenn es zu gefährlich für die Leute werden könnte, die wir darstellen wollen und denen wir eigentlich nur helfen wollen, dann ziehen wir uns lieber zurück. Dann ist es eben noch nicht so weit. Jeder muss überzeugt sein, von dem was er tut. Wir versuchen generell aber nie auf den Film hinzuarbeiten. Notizgeilheit ist nämlich nichts für uns.

Was unterscheidet eure Dokus von anderen Medien?
Das Leitmotiv unserer Arbeiten ist es, Menschen, die sonst nicht zu Wort kommen, eine Stimme zu geben. Wir wollen darauf aufmerksam machen, andere nicht in Kategorien einzuordnen, sondern hinter die Fassade zu blicken und die Wahrheit selbst zu sehen. Wir erzählen die Geschichte von kleinen Leuten. In den traditionellen Medien wird viel Rummel um wichtige Persönlichkeiten gemacht oder um bestimmte Geschichten, um die sich am Ende dann alles dreht.

Welche Geschichte war denn für dich die bewegendste?
Schwer zu sagen. Ich bin bei allen Dokus mit Leib und Seele dabei. Ein bewegender Moment war bestimmt, als ich vor sieben Jahren zum ersten Mal im Dorf dieses Fruchtbarkeitsfestivals angekommen bin. Damals war immer das ganze Dorf da, als ich gegessen habe, weil es einfach eine Besonderheit war, dass sich ein weißer Mensch einfach so auf den Boden setzt und mit den Händen isst. Viele ältere Menschen haben überhaupt noch nie eine weiße Person gesehen. Diese haben mich alle gleich wiedererkannt, als ich im letzten Jahr wieder dort angekommen bin.

Hast du denn nie Heimweh?
Doch. Ich sehne mich nach einigen Menschen und weil ich gerne Gefühle teile, rufe ich oft daheim an und erzähle den Leuten die Geschichten, die ich hier erlebe. Außerdem freue ich mich jetzt auch im Februar endlich ein gutes Glas Wein, eine Scheibe Speck und leckeren Käse genießen zu können.

Was nimmst du aus Asien mit nach Hause?
Hier ist der Bezug zur Natur viel stärker. Die wichtigste Figur in einem Dorf in Bengala ist zum Beispiel ein heiliger Baum. Jeden Abend gehen die Frauen des Dorfes zu diesem Baum, bringen Opfergaben dorthin und bedanken sich, dass die Natur wieder etwas zum Essen bereitgestellt hat. Bei uns hat das alles keinen Wert mehr. Ich will daheim den Leuten erzählen, was ich hier erlebt habe und sie zum Nachdenken anregen. Ich habe richtig Lust, die positive Welle von hier wieder mit nach Hause zu bringen.

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