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Ich spüre ein leichtes Ziehen in meiner linken Pobacke. In meinem Kopf summe ich schon den ganzen Tag dieselbe Melodie: „Bam bam, bam bam, bam ba ba bam bam“. So fühlen sich die Nachwirkungen meiner ersten Steppstunde an.
Nachdem ich mich in den vergangenen zwanzig Jahren einmal quer durch alle Stile getanzt hatte, brauchte ich eine neue Herausforderung. Weil Steppen nicht nur Koordination, Rhythmusgefühl, Musikalität und Kreativität, sondern auch eine gewisse Hirnaktivität fordert, klang das nach dem perfekten nächsten Schritt.
Mit meinen ledernen Steppschuhen schreite ich also in Richtung Tanzsaal zur ersten Stunde. Meine Schritte klingen wie eine außer Rhythmus geratene Uhr. Trotzdem kann ich es mir, vor dem Spiegel angekommen, nicht verkneifen, kurz so zu tun, als wäre ich Profi-Stepperin und meine Füße zu einigen Takten rhythmisch klappern zu lassen. Es fühlt sich lustig an, wenn die eigenen Bewegungen plötzlich einen Klang kriegen.
Diesen verdanken die Stepptänzer von heute einem englischen Tänzer. Er soll sich vor der Erfindung der eigentlichen Steppschuhe Münzen unter die Schuhe genagelt haben, um damit den Ton beim Steppen zu verstärken. Das ist aber schon lange nicht mehr nötig. Sowohl unter meinen Fußballen als auch unter meinen Fersen sind Metallplatten auf die Ledersohle gearbeitet. Gemeinsam mit drei anderen Anfängern, die die Steppstunde heute mit mir bestreiten, klingt der Anfang unseres Tanzunterrichts dadurch bereits wie ein kleines Konzert.
Das sieht fast so aus, als wollte ein Balletttänzer einen Fußball kicken.
Die Musik geht an. Zu ruhigen Jazz-Klängen ahmen wir den Lehrer nach und kreisen unsere Knöchel, um warm zu werden. „Iniziamo col primo passo che si chiama shuffle“, meint Christian Balzamá, mein Stepplehrer, der sich vor uns in der Mitte des Saales positioniert hat. Auf meine kurze Profi-Performance konnte sich der junge Tänzer ein breites Grinsen nicht verkneifen, jetzt ist sein Gesicht aber völlig ernst.
„Scha-ffol, scha-ffol, scha-ffol“, wiederholt er und lässt seinen Fußballen dabei immer wieder lässig vor und zurück über den Boden streifen. Das Knie lässt er abwechselnd locker und zieht es in die Höhe. Irgendwie sieht das so aus, als wollte ein Balletttänzer einen Fußball kicken. Christians lockige Haare wackeln im Takt und auch wir steigen mit ein. Der Fuß soll so entspannt wie möglich bleiben, dann klingt der Ton unter den Füßen wohl am besten. Christian steigert den Rhythmus, dann wechselt er auf den anderen Fuß.
Es dauert keine fünf Minuten und wir müssen unsere Füße wieder lockern. „Non preoccupatevi, è normale all’inizio“, meint Christian und erzählt von seinen ersten Erfahrungen mit Metallplatten unter den Füßen. Mit 15 Jahren sollte er beim Musical „Chicago” einen Stepp-Part übernehmen. Damals hatte er schon einige Erfahrung im Theater gesammelt, professionell getanzt aber hatte er noch nie. Kurzerhand brachte er sich mit Hilfe von Youtube-Tutorials die ersten Steppschritte bei.
Sein anschließender klappernder Auftritt war der Anfang einer bis heute andauernden Steppsucht. Weil es in Bozen keine einzige Tanzschule gab, die Steppen unterrichtete, folgten sieben Jahre Selbststudium mit Youtube. Heute steckt der gelernte Grafiker mitten in seiner Tanzlehrer-Ausbildung in Cesena. Den Teil für Modern Dance hat er bereits abgeschlossen, demnächst folgt das Steppen.
„Poi facciamo lo step heel“, meint Christian, nachdem er die Musik wieder gestoppt hat. Einem Schritt auf den Ballen folgt das Absenken der Ferse. Weil man im Stepptanz überwiegend auf den Fußballen tanzt, sollte das Gewicht meist etwas auf der Vorderseite des Körpers liegen. Im ersten Moment fühlt sich das ziemlich komisch an. „È normale“, erklärt Christian, „camminando appoggiamo sempre prima il tallone.“ Umdenken ist also nicht nur in unserem Kopf, sondern auch von unseren Füßen gefragt. Den normalen Gehstil sollten wir uns in den Steppschuhen so schnell wie möglich abgewöhnen.
Während ich im Spiegel versuche, Christians Schritte nachzuahmen, frage ich mich, wie die Weltstars während den ersten Tanzstunden wohl ausgesehen haben müssen. Die meisten von ihnen tanzen heute wie damals in New York, dem Herzen der Steppwelt. Dort fand der Tanzstil seinen Ursprung. In den 1830er-Jahren war das Armenviertel Five Points im Süden von Manhatten Austragungsort sogenannter „battles“ zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen. Im Stepptanz vermischte sich schließlich der afrikanische Shuffle mit dem irischen Volkstanz Jig.
„Il momento culminante del tap poi era durante gli anni 20 sul Broadway, quando il tap si vedeva in ogni musical“, meint Christian. In dieser Zeit schafften die Stepptänzer auch den Sprung in Film und Fernsehen. Durch das Aufkommen des Rock’n’Roll kam der Tanz schließlich wieder aus der Mode und erlebte erst in den 1970er-Jahren ein Comeback. Heute wird er nicht nur zu Jazz, sondern zu jeglicher Musik getanzt.
Der Schlüssel für einen guten Stepptänzer sei die Improvisation. „Quando si può improvvisare col tap non c’è di cosa migliore“, schwärmt Christian. Insgeheim hegt auch der junge Bozner den Wunsch, irgendwann als berühmter Stepptänzer durch die Welt zu touren. Sein Vorbild ist Mr. Bojangles. Der schwarze Tänzer, der eigentlich Bill Robinson heißt, hat das Steppen in den 1920er-Jahren revolutioniert. Er war der erste, der auf den Fußballen steppte. „Mi piace la nonchalance con la quale balla i passi più difficili“, sagt Christian und schüttelt dabei etwas verständnislos den Kopf. In den letzten Jahren sei der Stepptanz viel energiegeladener geworden, was meinem Lehrer wohl eher missfällt. Immer wieder betont er, wir sollten so natürlich wie möglich bleiben, während wir vor dem Spiegel vor und zurück steppen.
„Fake it, until you make it.“
Uns zu bewegen und gleichzeitig zu steppen, das scheint wohl unsere nächste Herausforderung zu sein. Das Körpergewicht muss dabei immer auf der richtigen Fußseite liegen, ansonsten fällt man um. Immer wieder paddle ich mich mit den Armen wild fuchtelnd in meine Körpermitte zurück und versuche meine Missgeschicke mit einem breiten Grinsen zu kaschieren. „Fake it, until you make it“, das habe ich während meiner vergangenen Tanzkarriere zumindest schon einmal gelernt. „Piega le ginocchia“, meint Christian, „cosí trasferisci il peso nella posizione giusta per muovere i tuoi piedi in maniera libera.“ Gesagt, getan. Und es funktioniert: Mein erster 5er-Riff, eine Schrittfolge aus fünf Takten, ergibt durch den einfachen Tipp vom Profi einen klingenden Rhythmus zur Musik. Ich muss grinsen.
Musiker und Tänzer gleichzeitig zu sein, das ist ein Aspekt, der Christian von Anfang an am Steppen gefallen hat. Und auch mich als unbegabte Musikerin begeistert der Tanzstil. Christian beschreibt den Aufbau beim Steppen wie den einer Torte. Man hat einen Grundteig und je nachdem, welche Cremes und Verzierungen man hinzufügt, schmeckt er anders. Beherrsche man das Rezept des Grundteigs erst einmal, könne man alle Torten der Welt backen. Ein Vergleich, der mir gefällt, auch wenn es zur perfekten Torte wohl noch ein Weilchen dauern wird. Nach einer vollen Stunde fühlen sich meine Füße nur noch schwer an.
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