Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Denke ich an Liebe, dann denke ich an Erich Fried. „Es ist, was es ist“, sagt die Liebe bei ihm. Ich hingegen sage: Es ist kompliziert. Und zwar nicht nur in so manchem Facebook-Beziehungsstatus, sondern generell in der Beziehung zwischen uns Ypsilonern und der Liebe. Zuerst wollen wir sie nicht, weil wir keine Lust auf Bindung und Verpflichtung haben. Dann haben wir sie nicht und wollen sie doch, weil wir keine Lust auf Einsamkeit haben. Und schließlich haben wir sie – und dann? Ja dann ist da noch dieses Ypsiloner-Leben, das wirklich schlecht mit einem Gefühl wie dem der Liebe zu vereinen ist. Uns ist das egal, denn so wie jeden anderen Lebensbereich revolutionieren wir einfach auch den der Liebe und machen ihn durch Flexibilität auch für unseren Alltag tragbar.
Fest steht: Das Fundament, das wir durch unseren Lebensstil für eine Beziehung bauen, ist alles andere als stabil. Wir wollen frei sein und flexibel, unabhängig und bereist. Eine Art zu leben, die eigentlich keinen Platz bietet für eine zweite Person. Beziehungsunfähig sind wir deshalb aber keinesfalls. Wir müssen – falls wir uns für eine Beziehung entscheiden – nur mit anderen Hürden kämpfen, als die Generationen vor uns.
Monate der Trennung wegen Reiseabenteuern oder Studienaustauschen oder Fernbeziehungen zwischen Unistädten. Das gab es früher nicht. Da hat man sich noch für die Beziehung entschieden und alles andere dafür geopfert. Wir hingegen entscheiden uns wieder einmal für ALLES und versuchen, die Beziehung dadurch nicht zum Opfer werden zu lassen. Man sollte denken, dass uns die Technik dabei zugute kommt. Doch ob Skype, WhatsApp und Co. wirklich Hilfsmittel in diesem Weltenbummler-Liebesdilemma sind, oder es nicht noch komplizierter machen, sei dahingestellt. Am Ende versuchen wir es mit einer gewissen Love-Life-Balance irgendwie wieder gerade zu biegen.
Eines habe ich in Sachen Liebe mittlerweile jedoch mit Sicherheit begriffen: Diese schnelle Liebe, die für uns Ypsiloner auf den ersten Blick so frei und unkompliziert erscheint, ist doch nichts weiter als vorgetäuschte Unabhängigkeit. Dieses Hippie-Leben aus Woodstock-Zeiten, mit Liebe für alle und Sex mit jedem, wollen wir doch eigentlich gar nicht.
„Wenn wir ehrlich sind, wollen wir am Ende doch alle eine Beziehung und die eine, große Liebe finden“, sagt nicht Erich Fried, sondern eine meiner besten Freundinnen. Als Langzeitstudentin, die von einem Kontinent zum nächsten tuckert und dazwischen das nötige Kleingeld fürs Reisen zusammenkrallt, um so schnell wie möglich wieder aufzubrechen, könnte sie nicht besser für unsere Generation stehen. Und trotzdem sucht sie zwischen Ypsiloner-Attitüden und Großstadtleben anscheinend doch irgendwo nach dem principe azzurro.
Großstadt-Ysis wie sie haben es da jedoch viel härter als wir Land-Ysis. Hatte ich in meiner Studienzeit in München das Wort Liebe schon beinahe aus meinem Vokabular gestrichen, so hat mich die Heimat eines besseren belehrt. Was im Großstadt-Dschungel nämlich die Anonymität ist, ist hier die Bekanntschaft. Man kennt sich. Nicht nur im Supermarkt beim Einkaufen oder auf der Tankstelle beim Tanken, sondern auch an der Theke beim Weggehen. Und genau dieses „sich kennen“ ist das beste Mittel gegen Mingles, One-Night-Stands und gebrochene Herzen.
In der Heimat lernt man sich nicht durch einen übers Smartphone wischenden Finger kennen, sondern durch einen Händedruck und drei Küsse auf die Wange. Hier träumt man noch von der einen, großen Liebe, der Traumhochzeit und einer eigenen Familie. Und das ist nicht etwa Schönrederei, sondern der Beginn unserer eigenen Liebes-Revolution. Mit ihr sagen wir Dating-Apps, Mingle-Dasein und der schnellen Liebe den Kampf an. Am Land trifft es Erich Fried auf den Punkt: „Es ist, was es ist.“
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support