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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 30.11.2015
LeuteAuf a Glas'l mit Günther Reifer

Gegen das System

Veröffentlicht
am 30.11.2015
Günther Reifer war als Manager Teil des Kapitalismus. Jetzt unterstützt er Firmen, die auch Gutes tun wollen. Der 43-Jährige über die Gemeinwohlökonomie.
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Ein antiker Holztisch, eine kniehohe Weltkugel auf dem Boden, ein Rosenquarz auf dem Fensterbrett. Das Büro von Günther Reifer befindet sich in einem Altbau in Brixen. Viele Jahre war der gebürtige Schlanderser Marketing- und Vertriebsleiter einer international tätigen Firma. Dann sein Wandel: er kündigt. „Ich habe gesehen wie Ikea, H&M und andere Firmen produzieren. Es kann doch nicht sein, dass Leute dort einkaufen ohne daran zu denken, dass dafür Wälder gerodet oder Baumwollplantagen angelegt werden“, sagt er heute. Der 43-Jährige wollte das klassische Wirtschaftsmodell nicht mehr unterstützen und gründete 2009 „Terra Institute“. Das Unternehmen begleitet und berät Firmen und Regionen auf ihrem Weg hin zu einer neuen Unternehmens- und Wirtschaftslogik, in der es nicht mehr um das fette Plus in der Bilanz geht. Diese sogenannte Gemeinwohlökonomie ist ein alternatives Wirtschaftsmodell, das mehr soziale Verantwortung, ökologische Nachhaltigkeit, demokratische Mitbestimmung und gesamtgesellschaftliche Solidarität fördert. Herzstück der Gemeinwohlökonomie ist eine alternative Bilanz, die etwa misst, wie groß die Lohnunterschiede innerhalb des Betriebes ausfallen, ob die eigenen Produkte und Geschäfte die Umwelt schädigen, inwiefern sich die Mitarbeiter wohlfühlen oder wie viel die Mitarbeiter im Betrieb mitbestimmen dürfen. Ziel ist es, dass die Gemeinwohlbilanz irgendwann einmal die herkömmliche Bilanz ablöst.

Herr Reifer, wie haben Sie von der Gemeinwohlökonomie erfahren?
Durch das Terra Institute habe ich recherchiert, was für Wirtschaftsmodelle es gibt und bin auf die Gemeinwohlökonomie gekommen. Ich war von der ersten Stunde des Aufbaus der Gemeinwohlökonomie dabei. Das war 2010 in Wien. Ich war lange im Vorstand in Österreich, dann habe ich sie nach Südtirol gebracht.

Warum braucht es dieses alternative Wirtschaftssystem überhaupt?
Es geht den Menschen auf der Welt und in Südtirol nicht so gut, wie es vielleicht scheint. Dasselbe gilt für die Umwelt und für viele Unternehmen. Mit dem Modell, das wir Menschen gebaut haben, geht es nur einer ganz kleinen Schicht gut. Diese wenigen Prozent haben ein Interesse daran, dass dieses Modell bestehen bleibt. Eigentlich ist das System aber unlogisch. Wirtschaftliches Wachstum messen wir beispielsweise anhand des Bruttoinlandsproduktes. Die Gemeinwohlökonomie versucht es aber nicht nur auf Unternehmensebene zu messen, sondern aufgrund des Bruttonationalglück-Indikators. Dabei schaut man nicht, wie es den Leuten finanziell geht, sondern misst, wie glücklich sie sind. Das asiatische Königreich Bhutan verfolgt diesen Ansatz bereits und wir versuchen, ihn nach Südtirol zu holen.

Mit Ihrem Bekleidungsgeschäft „Terra Eco Fashion“ hat das alternative Wirtschaftssystem nicht funktioniert. Warum sind Sie gescheitert?
Ich glaube wir waren damals (2011, Anm. der Redaktion) der Zeit voraus. Die Leute haben es nicht verstanden. Wir denken aber durchaus darüber nach, wieder so etwas zu machen. Aber ich bin selbstkritisch, vielleicht war das Modell auch falsch und wir müssen etwas anderes machen als ein klassisches Bekleidungsgeschäft. Der Gedanke ist aber gut: Es kann doch nicht sein, dass man sich biologisch ernährt, bei der Kleidung aber nicht darauf achtet, welche Inhaltsstoffe drin sind.

Können solche alternativen Systeme also auch wirtschaftlich erfolgreich sein?
Ja, sehr erfolgreich. Die Frage ist aber: Was ist Erfolg und misst man ihn nur an der Höhe des Gewinns? Wir betreuen nur Unternehmen, die Gewinn machen. Es sollte auch genau so sein, dass solche Unternehmen Gewinn machen und nicht die ausbeuterischen. Ein Beispiel: Die Firmen DM und Schlecker waren im gleichen Segment tätig. DM ist ethisch sauber – das Unternehmen wächst. Schlecker hat Preise gedrückt, Lieferanten ausgebeutet und ist vor zwei Jahren in Konkurs gegangen. Schade um die Mitarbeiter, aber Schlecker geschieht es Recht, wenn ich es krass ausdrücken darf.

Sie haben Produkte aus organischem und recyceltem Material angeboten, die unter vertretbaren Arbeitsbedingungen hergestellt wurden. Wie wurde das kontrolliert?
Wir haben Standards festgelegt. Alles musste nachverfolgbar, fair und biologisch sein. Diese Standards haben wir den Lieferanten geschickt und wenn wir Zweifel hatten, ob sie erfüllt werden, haben wir zum Teil Produktionsstätten besucht und uns Zertifikate zeigen lassen.

Wie viele Südtiroler Unternehmen erstellen heute schon eine Gemeinwohlbilanz?
Wir sind mittlerweile eine Gruppe von 70 bis 80 Unternehmen. Von Firmen mit einem Mitarbeiter bis zu großen mit einigen hundert. Sie alle wollen nicht nur für sich wirtschaften, sondern einen Schritt weiter gehen und für das Gemeinwohl etwas machen. Ein Unternehmen ist nicht dazu da, nur Gewinne zu machen, sondern auch, um einen positiven Beitrag zu leisten.

Wie sieht so eine Bilanz überhaupt aus?
Die Gemeinwohl-Bilanz hat zwei Achsen. Auf der einen sind Werte wie ökonomische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit, Transparenz und Mitbestimmung, Respekt und Solidarität festgehalten. Auf der zweiten Achse gibt es die sogenannten Berührungsgruppen: Jedes Unternehmen hat Lieferanten, Finanzdienstleister, Kunden oder Mitarbeiter. Daraus bildet sich eine Matrix. In Summe gibt es 17 Kriterien, die in einem Punktesystem messen, wie viel ein Unternehmen für das Gemeinwohl macht. Man denkt hier ganzheitlich, das beginnt schon beim ethischen Beschaffungswesen: Woher beziehen die Tischler ihr Holz, wie ist es gewachsen, waren die Arbeiter versichert. Es geht nicht mehr nur um das billige Einkaufen und teure Verkaufen wie in der klassischen Wirtschaft.

Kritiker sagen, dass Unternehmen das Siegel Gemeinwohlbilanz als Marketingstrategie benutzen. Was sagen Sie dazu?
Es gibt wenige Leute, die die Gemeinwohlökonomie als Marketing-Tool benutzen. Vielleicht ist es für einige im ersten Moment der Grund dafür, dass sie zu uns kommen. Wenn sie aber sehen, was das wirklich bedeutet, verstehen sie, dass das kein Marketinginstrument, sondern ein Bewusstseinsmodell ist. Immer mehr Firmen, aber auch Schulen, Gemeinden und einzelne Bürger beschäftigen sich damit.

Glauben Sie, dass gut ausgebildete junge Menschen heute kritischer sind bei der Auswahl ihres Arbeitgebers? Im Sinne: Wenn das Unternehmen kein soziales und ökologisches Verhalten an den Tag legt, ist es nicht interessant für mich?
Ja, darüber gibt es sogar einige Studien. Immer mehr Menschen geht es nicht mehr nur ums Geld verdienen, sondern auch darum, welchen Sinn das Unternehmen ihnen bietet. Sie wollen sich einbringen. Und die Gemeinwohlökonomie rückt nicht die Unternehmensprozesse, sondern den Menschen mit seinen Talenten in den Fokus.

Sollte die öffentliche Hand Unternehmen mit Gemeinwohlökonomie fördern?
Fördern in Form von Geld muss sie diese Unternehmen nicht einmal, aber die Politik sollte die Rahmenbedingungen schaffen, damit Gemeinwohl-Unternehmen nicht gleich behandelt werden wie Nicht-Gemeinwohl-Unternehmen. Die Südtiroler Landesregierung hat Ende 2014 bereits so eine Gesetzesvorlage verabschiedet, die besagt, dass die öffentliche Hand vorzüglich Gemeinwohl-Unternehmen engagiert.

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