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Sophie Huber ist dreißig Jahre alt und Mitgründerin eines Kreativstudios. Auf Social Media nimmt sie ihre Community regelmäßig mit in ihren Alltag mit Multipler Sklerose. Die Diagnose hat sie selbst erhalten – und seither macht sie sich dafür stark, anderen Mut zu machen, Erfahrungsräume zu öffnen und Bewusstsein zu schaffen (Wir haben berichtet: https://www.barfuss.it/leben/das-schaffe-ich/) Ihr Ziel: eine ehrliche, vielstimmige Auseinandersetzung mit einer Krankheit, die oft unsichtbar bleibt.
BARFUSS: Welche Frage, die dich unheimlich nervt, wird dir oft gestellt?
Sophie: Ich mag keine Fragen, die in Wirklichkeit verkleidete Vorurteile sind. Oft sind es eigentlich Aussagen, die nur durch ein Fragezeichen oder eine hochgezogene Stimme am Satzende als gesellschaftlich „akzeptabel“ gelten. Zum Beispiel:
Aber du siehst so gut aus – so schlimm kann es doch gar nicht sein, oder?
Solche Sätze fragen nicht, sie bewerten. Sie zielen nicht auf echtes Verständnis oder ehrliches Interesse, sondern spiegeln eher Unsicherheit oder Ablehnung der Fragenden – getarnt im Mantel der Neugier. Auch wenn diese Frage Unbehagen in mir auslöst, beantworte ich sie trotzdem. Nicht, weil ich muss. Sondern weil viele Menschen einfach nicht genug wissen. Und das ist auch okay – solange sie bereit sind, wirklich zuzuhören. Dann erkläre ich, dass Multiple Sklerose eine meist unsichtbare Krankheit ist, die keine erkennbaren Zeichen trägt wie Gips oder Pflaster. Und doch ist sie für Betroffene jeden Tag spürbar.
Diese Unsichtbarkeit kann Schutz bieten: Man bewegt sich scheinbar unauffällig innerhalb gesellschaftlicher Normen, bleibt verschont von Blicken, Mitleid oder Vorurteilen. Doch genau das macht es auch schwer – denn was unsichtbar ist, wird zu oft als nicht existent wahrgenommen. Hinter dem, was man nicht sieht, liegt oft eine ganze Welt. Man muss nur bereit sein, hinzusehen.
Welche Frage würdest du stattdessen gerne gestellt bekommen?
Sophie: Ich wünsche mir eine Frage wie:
Wie ist es für dich, mit MS zu leben?
Kein Mitleid. Keine vorschnellen Schlussfolgerungen. Nur echtes Interesse. Diese Frage zeigt mir: Da ist jemand, der wirklich wissen will, wie es mir geht – nicht, um eine schnelle Antwort zu bekommen, sondern um wirklich zuzuhören.
Ich kläre solche Menschen gerne darüber auf, wie es Erkrankten wie mir wirklich geht – nicht, weil ich mich rechtfertigen muss, sondern weil ich möchte, dass mehr Verständnis entsteht: Multiple Sklerose wird oft die „Krankheit der tausend Gesichter“ genannt. Und das trifft es genau. Jeder Tag kann anders sein. Mal ist es die bleierne Müdigkeit, die mich ausbremst – Fatigue, die man nicht einfach wegschläft. Mal ist da dieser Nebel im Kopf, der Gedanken verschwimmen lässt – Brainfog. Und an manchen Tagen spüre ich das Kribbeln, die Schwere in den Beinen, vor allem wenn der Stress zu groß wird. Erinnerungen an alte Schübe, die mein Körper nicht vergessen hat.
Ich sehne mich nicht nach perfekten Fragen. Ich erwarte keine perfekten Worte. Was ich mir wünsche, ist Offenheit und ehrlicher Austausch. Denn wer fragt, weil er wirklich wissen und verstehen will – der hört auch mit dem Herzen zu. Und das ist das größte Geschenk, das man mir machen kann.
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