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„Report from the void“ ist beim diesjährigen Bolzano Film Festival Bozen zu sehen. BARFUSS hat mit dem Regisseur-Duo TÒ SU, bestehend aus Martin Prinoth und Martina Mahlknecht, über ihre etwas andere Art der Filmproduktion gesprochen.
In eurem Dokumentarfilm „Report from the void“ geht es um zwei Kriegsfotografen. Was erwartet die Zuschauer:innen genau?
Martin Prinoth (MP):„Report from the void“ begleitet die beiden Kriegsfotograf:innen Michela Laccarino und Giuseppe Carotenuto durch ihre Fotoarchive, die Fotos aus ihrer zehnjährigen Arbeit an Kriegs- und Katastrophenschauplätzen weltweit zeigen. Wir reisen mit den beiden Fotograf:innen nicht durch verschiedene Erdteile, sondern in die Vergangenheit ihrer Fotografien.
Martina Mahlknecht (MM): Wir haben die Bilder nicht selbst gedreht, sondern schufen ein Raumsetting, das es den Fotograf:innen ermöglichte, sich gegenseitig zu fotografieren. Das ist das Besondere an unserem Zugang. Uns gefiel der experimentelle Gedanke, den Film ausschließlich durch den Blick und die Erinnerungen der Protagonist:innen zu erzählen. Daraus ist ein intimes Kammerspiel entstanden, das sich in einem kleinen Atelier abspielt, mit Blick auf den Golf von Neapel und den Vesuv.
Wie bist du auf die beiden Fotografen gekommen?
MP: Giuseppe Carotenuto lernte ich während meines Abschlussfilmes „Le creature del Vesuvio“ kennen, den ich in Neapel gedreht habe. Über Giuseppe kam dann der Kontakt zu Michela. Wir fanden es von Anfang an sehr spannend, mit beiden Perspektiven zu arbeiten. Michela bringt zudem noch den Aspekt einer weiblichen Kriegsfotografin in die Erzählung mit ein – ein Umstand, der in unseren Augen zu wenig thematisiert wird. Es gibt nicht wenige Frauen, die diesen Beruf ausüben und dennoch bleiben sie der Öffentlichkeit oft unbekannt.
Warum habt ihr euch dem Thema Krieg angenähert?
MP: Die Frage, wieso man sich für ein bestimmtes Thema, eine bestimmte Fragestellung oder eine bestimmte Idee interessiert, ist nicht einfach zu beantworten. Ich habe das Gefühl, oft ist es genau umgekehrt: nämlich, dass sich einem Themen, Ideen, Fragen unscheinbar nähern und erst allmählich als solche erkennbar werden. Das ist vergleichbar mit der analogen Fotoentwicklung, bei der sich erst sehr langsam das abgelichtete Bild zeigt. Das Interesse am Prozess des Bildermachens an sich und der Frage, wie wir als Menschen die Realität zu fassen versuchen, spielt in unserer Arbeit als Regisseur:innen von Filmen und multimedialen Projekten aber sicherlich immer eine zentrale Rolle.
MM: Die Kriegsfotografie zeigt zudem exemplarisch den Drang des Menschen, die Wirklichkeit abzubilden, egal wie brutal und vernichtend sie ist. Obwohl wir uns einig sind, wie wichtig und notwendig gut recherchierter Journalismus für demokratische Gesellschaften ist, stellt sich doch die Frage, warum wir seit Jahrtausenden die Katastrophe in der Kunst und den Medien abbilden.
Die Katastrophe wird auch auf dem Bild „The last days of Pompey“ von Karl Brjullov abgebildet. Es wird in eurem Film immer wieder als Parallele zum Kriegsgeschehen gezeigt …
MM: Das Gemälde des russischen Malers Karl Brjullov aus dem 19. Jahrhundert zeigt den Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n. Chr. Der Augenzeugenbericht von Plinius dem Jüngeren über diesen Ausbruch war der erste überlieferte Augenzeugenbericht der Menschen am Golf von Neapel. Das war der Startpunkt für unseren Film. Der Bericht hat Künstler:innen weit über die Landesgrenzen hinaus zu Gemälden inspiriert: Karl Brjullov arbeitete über vier Jahre an seinem Gemälde – ein unglaublicher zeitlicher Aufwand, der im direkten Kontrast zur rasanten Bildproduktion unserer digitalen Zeit von heute steht.
Was zeichnet “Report from the void” als Film aus?
MM: “Report from the void” ist ein Fotofilm. Er besteht also nicht aus Bewegtbild-Aufnahmen, sondern aus Fotografien. Dadurch entsteht ein ganz eigener Raum für die filmische Erzählung. Während wir im Alltag die mediale Darstellung von Elend und Leid meistens sehr beiläufig wahrnehmen, nimmt sich der Film die Zeit, die Bilder und vor allem ihre Entstehungszusammenhänge gemeinsam mit den Fotograf:innen zu untersuchen. Dabei interessieren wir uns auch für die Frage der Zeugenschaft und deren Darstellung.
MP: Darauf verweist auch der Titel des Films. Der italienische Philosoph Giorgio Agamben beschreibt in einem Text über Zeugenschaft „die Lücke“ (the void), die zwischen Opfer und Zeuge besteht. Und das damit einhergehende Dilemma, dass selbst der Zeuge niemals das reale Empfinden der Leidtragenden wiedergeben kann, es aber dennoch seiner Zeugenschaft bedarf, um auf Missstände hinzuweisen.
Es schien uns aber auch auf künstlerischer Ebene wesentlich spannender, bereits bestehende Bilder in einen Kontext zu stellen, als in Krisengebiete zu reisen und der medialen Bilderflut auch noch unsere Bilder hinzuzufügen.
Welchen Herausforderungen standet ihr als Regisseure gegenüber?
MP: Die Produktion fiel in die Zeit der Covid 19-Pandemie, in die Zeit also, in der das Reisen sehr schwierig oder gar nicht möglich war. Das hat uns einerseits viele organisatorische Probleme bereitet, andererseits aber Entscheidungen abgenommen. So haben wir beispielsweise das Reisen in Krisengebiete ausgeschlossen, auch weil die Reporter:innen selbst festsaßen und keine Auslandseinsätze mehr machen konnten.
MM: Es schien uns aber auch auf künstlerischer Ebene wesentlich spannender, bereits bestehende Bilder in einen Kontext zu stellen, als in Krisengebiete zu reisen und der medialen Bilderflut auch noch unsere Bilder hinzuzufügen. Es ging uns darum zu verstehen, wie die Bilder entstanden, welche Geschichten dahinter stehen und welche Rolle die dokumentierende Person dabei spielt. Im Film benennt das die Fotografin Michela Laccarino eindrücklich, indem sie auch unsere Aufnahmesituation hinterfragt. Dabei bleibt die Person, die eine Situation abbildet, meist selbst ein blinder Fleck und beeinflusst doch die Situation wesentlich mit.
Im Film wird deutlich, dass Iaccarino und Carotenuto ihrem Berufsbild auch kritisch gegenüberstehen. Wie wichtig war es euch, diese Kritik zu transportieren?
MP: Tagtäglich begegnen uns Bilder, die versuchen, uns die Wirklichkeit zu erzählen. Sie begegnen uns in den Printmedien, im Fernsehen und heute vor allem in den sozialen Medien. Sie entstehen in völlig unterschiedlichen Zusammenhängen – beiläufig oder inszeniert. Sie begegnen uns aber meist ohne ihren Entstehungskontext. Diesen Kontext zu kennen ist aber maßgeblich, um ein Bild „lesen“ und einordnen zu können. Die amerikanische Dokumentarfotografin Susan Meiselas reagiert auf die Krise der digitalen Vervielfältigung der Bilder mit der Kontextualisierung auf dialogischer Ebene: Es geht darum, die Bilder durch das Sprechen zu ergänzen und somit den blinden Fleck der dokumentierenden Person zu beleuchten.
Welche Haupt-Message möchtet ihr dem Publikum mit der Produktion vermitteln?
MP: Es geht uns nicht um eine Message, das wäre in einem 20-minütigen Film auch vermessen. Der Film will Perspektiven erweitern und eine sinnliche Erfahrung sein, die in der unaufgeregten Betrachtung und dem genauen Zuhören liegt.
Zum Regisseuren-Duo TÒ SU:
Das italienisch-deutsche Duo TÒ SU erkundet transkulturelle Grenzräume in einer globalen Welt und setzt sich mit eurozentrischen Perspektiven und der eigenen kulturellen Identität auseinander. Projekte entstehen in Zusammenarbeit mit Experten aus Kunst, Wissenschaft und Alltag und zeichnen sich meist durch analoge und digitale Interaktivität aus, die das Publikum zum Mitmachen einladen. TÒ SU kommt aus dem Rätoromanischen und bedeutet „aufzeichnen, dokumentieren“. Prinoth und Mahlknecht verbinden die beiden Genres Dokumentarfilm und Theater. Aus verschiedenen Kooperationen sind in der Vergangenheit Projekte entstanden, die Hybride beider Genres sind und in Kinos, Theatern und Ausstellungsräumen präsentiert wurden. Sie produzieren ihre Projekte zwischen mehreren Ländern mit Schwerpunkt auf Deutschland und Italien.
Martina Mahlknecht wurde in Brixen geboren. Sie lebt und arbeitet in Bozen und Hamburg. Sie studierte Kunst und Bühnenbild an der Hochschule für bildende Künste HfbK in Hamburg und am Mozarteum in Salzburg. Seit 2022 lehrt sie an der HfbK Hamburg.
Martin Prinoth wurde im rätoromanischen Urtijëi (St. Ulrich in Gröden) geboren. Er lebt in Bozen und Hamburg. Nach dem Studium der Kommunikationswissenschaften an der Universität Salzburg, diplomierte er im Bereich Film und Digitales Kino an der Hochschule für bildende Künste HfbK in Hamburg.
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