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Als die Turmuhr in Auer zwei schlägt, wird der ruhige Schlossweg plötzlich von lauten Kinderstimmen erhellt. Angeführt von einer Lehrerin, die einen schweren Sack voller Erde trägt, stolzieren die Erstklässler in den „Garten der Begegnung Joy“, der hinter einem grauen Holztor liegt. Ihren Biologieunterricht verlegen sie heute einfach ins Freie.
Aufgeregt werfen die Schüler ihre Jacken in eine Ecke und greifen sich die bunten, kleinen Handschuhe, die für sie bereit liegen. „Allora, cosa facciamo oggi?“, ruft Projektkoordinator Patrick Pancheri dem Haufen wissbegieriger Kinder zu. „Seminiamo!“, antworten die.
Im Herbst vergangenen Jahres hatten die Mitarbeiter des Jugenddienstes Unterland und des Jugentreffs Joy in Auer die Idee eines integrativen Landwirtschaftsprojektes. Ein Garten mit einer Fläche von 800 Quadratmetern, der von einer Dorfbewohnerin zur Verfügung gestellt wurde, sollte gemeinsam geplant und bewirtschaftet werden. „Dabei steht die Zusammenarbeit zwischen Dorfbevölkerung, Asylbewerbern, Volkschulklassen, Kindergartenkindern und von verschiedensten Altersgruppen im Mittelpunkt“, meint Patrick. Der junge Bozner steht in seiner Arbeitsbekleidung und Quetschmütze stolz im Zentrum des Gartens.
Bevor Patrick seinen Job in Auer annahm, war er zu Fuß und per Fahrrad in der halben Welt unterwegs und übte dabei verschiedenste Berufe aus. Das Prinzip des Gemeinschaftsgartens hat er in Australien kennengelernt. „Menschen jeglicher Herkunft und jeden Alters finden in einem Garten zusammen und schaffen gemeinsam etwas. Eine Idee, die mir unglaublich gut gefallen hat“, meint er.
Seit der Eröffnung vor einem Monat ist im „Garten der Begegnung Joy“ bereits einiges geschehen. „At the beginning it was full of old trees and grass and we had to clean everything“, meint Promis, eine Nigerianerin, die gerade mit ihrer kleinen Tochter Emanuelle in den Garten spaziert ist. Die Beiden kommen fast jeden Tag hierher. Die Arbeit und die Begegnungen seien eine willkommene Abwechslung zum Leben im Flüchtlingsheim Ex-Pernter, in dem die junge Frau mit ihrer Tochter wohnt. In Nigeria hat Promis auch schon auf dem Feld gearbeitet. Ihr Vater sei Bauer. „I hope to have my small garden and own vegetables soon“, meint sie stolz und zeigt auf die markierten Stellen in der Mitte des Feldes.
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Ein rot-weißes Band zeichnet kleine Rechtecke auf den Boden. Die Dorfbewohner haben sie gemeinsam mit Patrick ausgewählt. Jeder, der will, darf sich hier sein eigenes Stück Garten anlegen und bekommt durch die Miete gleichzeitig Rabatte in verschiedensten Gärtnereien der Umgebung. Wie viel das kleine Stück Land wert ist, entscheiden die Mieter. Wichtig sei nur, dass man auch mithilft. „Ziel ist es, dass sich der Garten durch seine Besucher irgendwann selbst koordiniert“, meint Patrick und blickt auf die noch leere Fläche.
Das kleine Budget, das zur Verfügung steht, stammt von der Provinz und der Gemeinde Auer. Dem Bürgermeister sei es wichtig, dass die Kinder im Dorf wieder die Nähe zur Natur finden und die Dorfbewohner einen Platz haben, an dem sie sich gemeinsam aufhalten können. Kinder aus dem Kindergarten, das ElKi, italienische und deutsche Volkschulklassen, Schulabbrecher vom Projekt TimeOut und einige Asylbewerber nehmen das Angebot bereits jetzt an und treffen sich bei schönem Wetter im „Garten der Begegnung“. Geöffnet ist dieser von Dienstag bis Freitag jeweils von 14 bis 18 Uhr.
Auch für Joseph ist dieses kleine Stückchen Land eine Bereicherung. Der 50-jährige Inder ist gelernter Schreiner und zimmert in der hintersten Ecke des Gartens gerade ein kleines Gewächshaus. Er spricht gebrochen Italienisch und trägt eine dicke Daunenjacke, obwohl es an diesem ersten Frühlingstag schon ziemlich warm ist in Auer. „A casa in India sempre molto, molto caldo“, sagt Joseph und zeigt auf die Sonne im Himmel. Weil er Christ ist, musste er gemeinsam mit seinen beiden Söhnen und seiner Frau vor knapp einem Jahr aus der Heimat flüchten. Dass er einmal in Auer landen würde, hat er sich damals nicht gedacht. Für die Arbeit sei er mehr als dankbar, in seinem Alter sei es nämlich überaus schwierig, noch etwas zu finden. Der Garten gibt Joseph Hoffnung.
„Es braucht nicht viel“, meint Patrick, „ein Stückchen Land, ein paar Geräte und Lust am Tun.“ Bis jetzt sei das Feedback der Dorfbewohner durchwegs positiv. Und obwohl der Garten noch brach liegt, funktioniert der kultur- und generationsübergreifende Begegnungsraum bereits. Demnächst soll eine Überdachung entstehen, Beete angelegt und Möbel aus Paletten gebaut werden. „Und wir werden Hochbeete bauen, in die alte Stämme und Äste eingearbeitet werden, um den Kindern die Wiederverwertung der Biomasse näherzubringen“, meint Patrick und schmunzelt, „das wird ein Fest, wenn die Kleinen verstehen, dass aus Gartenresten wieder Erde wird.“
Es sei wichtig, der nächsten Generation beizubringen, dass die Arbeit während der Vorbereitungen genauso zur Lebensmittelproduktion gehört wie die Ernte am Ende. Patrick arbeitet nach den Prinzipien der Permakultur, die geschlossene Kreisläufe, Biodiversität und Artenvielfalt vorsieht. Große Geräte gibt es keine, hier wird mit der Hand gearbeitet. Schaufeln, Hacken und Rasenmäher finden Unterschlupf in einer kleinen Scheune aus Paletten, die Joseph gebaut hat. „Dieses Projekt kann ein Vorbild sein, von dem jeder profitieren kann“, meint Patrick und geht zurück zu den Kindern.
Die haben sich mittlerweile selbst organisiert. Während die einen trockenes Heu durch den Garten schleudern, säen die anderen mitgebrachte Samen in alte Eisbecher, bedecken sie mit Erde und kennzeichnen sie mit bunten Schildern, die sie in der Biologiestunde selbst gebastelt haben. Auch die kleine Emanuelle hat sich unter die Erstklässler gesellt. Mama Promis hingegen gräbt ihr kleines Feld mit dem Spaten um. Noch ist das Gras hier braun und trocken, aber schon bald wird der Garten so bunt wie seine Besucher.
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