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„Komm mal her, schau dir das an.“ Karin Duregger steht zwischen blühenden Pflanzen und duftenden Kräutern im Garten von Roman Altstätter in Kortsch, wo sie gerade die nächste Folge ihrer Gartensendung für RAI Südtirol dreht. Sie bespricht mit ihrem Kameramann die nächsten Einstellungen und Aufnahmen, moderiert und interviewt. Karin ist freischaffende Autorin und Regisseurin – und ihr Job eine Entdeckungsreise.
Schnell wird klar: Karin geht es in ihrer Gartensendung nicht um die richtige Aussaatzeit der Karotten – auch, aber nicht vorrangig. Sie möchte dem Gartenbesitzer mehr über seine Beziehung zu seiner grünen Oase entlocken und – darüber hinaus – ihn als Menschen kennenlernen. Da steht ein alter Holzherd in einer Mauerecke, aus alten Fenstern wurde ein Gewächshaus gezimmert, ein „Speltenzaun“ umfasst ein Gemüsebeet – ein Mikrokosmos für sich. Und Roman passt perfekt in Karins Beuteschema, eine sehr sozial und ökologisch nachhaltig denkende und wirkende Person. Ausgesucht hat ihn Karin, weil er jemand ist, der etwas zu erzählen hat, weil er eine eigene, etwas andere Denkweise hat – solche Menschen faszinieren und interessieren sie.
Nach Drehschluss lädt mich Karin in ihre Wohnung ein – eine Altbauwohnung im Vintage-Style, komplett von ihr renoviert und restauriert. Mit knirschenden Holzböden, selbst gestrichenen Fensterrahmen, kleinen Details und viel Kunst an den Wänden. Keine 0-8-15-Wohnung, sondern eigen und individuell, wie die gebürtige Vöranerin auch.
Wir sitzen in ihrem Wohnzimmer bei selbstgemachtem Holundersaft, mit Blick auf ihren Balkon, ihren kleinen grünen Rückzugsort. Immer wieder muss sie die Balkontür öffnen, um ein Taubenpaar zu verscheuchen, das dort seit eineinhalb Monaten versucht zu brüten.
Die Suche nach inspirierenden Geschichten
Karin ist eine Suchende, die nach inspirierenden Menschen Ausschau hält. Dabei interessiert sie sich für diejenigen aus der zweiten oder dritten Reihe, die noch nie vor der Kamera standen, aber dennoch spannende Geschichten zu erzählen haben. Das ist die filmische Herausforderung. Sucht sie die passenden Menschen für ihre Projekte und Ideen oder umgekehrt? „Das ist eine interessante Frage. Es geht in beide Richtungen.“ Die Themen Feminismus, Integration und Migration beschäftigen die Filmemacherin seit ein paar Jahren, Umwelt und Sozial-Nachhaltiges schon seit ihrer Jugendzeit. „Allerdings kam dann eine sehr lange Phase, in der ich sehr fokussiert auf meinen persönlichen Lebensweg war – daran habe ich heute zu knabbern. Ebenso, dass es mit dem Kinderkriegen nicht geklappt hat.“
Bis Ende 30 hat sie nach verschiedenen Stellen gesucht, sich immer wieder beworben, ist umgezogen, um ihren beruflichen Lebensmittelpunkt zu finden. Heute, sagt sie, verläuft ihr Leben in der richtigen Spur. Auch dank ihres Lebensgefährten Hansjörg, den sie seit mittlerweile fast zehn Jahren kennt. Karin lebt allein in ihrer Wohnung, Hansjörg in seiner. „Wir haben einfach zwei unterschiedliche Lebensmodelle. Aber er ist der Mann an meiner Seite, mit dem ich alle meine Themen und Gedanken teilen kann. Durch ihn bin ich auch zum Veganismus gekommen.“
Heute ist ihre vegane Lebensweise nicht nur ein persönliches Statement, sondern auch ihr ganz eigener Beitrag zum Schutz der Umwelt und der Tiere.
Vegetarierin wurde sie bereits als Teenager, damals war es Rebellion – sie wollte ausbrechen, anders sein. Heute ist ihre vegane Lebensweise nicht nur ein persönliches Statement, sondern auch ihr ganz eigener Beitrag zum Schutz der Umwelt und der Tiere. „Man gilt als Veganerin immer noch als total Nervige. Allein die Tatsache, dass ich mich vegan ernähre, kommt bei vielen so an, als würde ich sagen: Ich ernähre mich vegan und du nicht und du machst etwas falsch.“
Der mutige Schritt
Für ihren heutigen Fokus musste Karin auf eine Reise gehen, die vor zwanzig Jahren im Unterhaltungsbereich begann. Nach ihrem Kunstgeschichtsstudium in Wien arbeitete sie als Praktikantin für eine Münchner Produktionsfirma und hatte die Möglichkeit, an Unterhaltungsshows mit Kai Pflaume und Thomas Gottschalk mitzuarbeiten. Doch das Münchner Abenteuer war nur ein Stopp auf ihrem Weg, denn die Sehnsucht nach Südtirol führte sie zurück, wo sie eine zweijährige Radio-Ausbildung machte. Ihre Neugier ließ sie nicht ruhen und so fand sie sich mit Ende zwanzig mit zwei Koffern in der lebhaften Stadt Hamburg wieder. Hier begann ein neues Kapitel ohne festen Job, ohne Wohnung und ohne bekannte Gesichter. „Ich bin mit meiner Schwester nach Hamburg geflogen, wo ich von einer Produktionsfirma zur nächsten wanderte und selbst gebastelte Flyer als Bewerbung verteilte.“
Es folgten drei Jahre voller Erlebnisse, in denen sie in Deutschland tagsüber unentgeltliche Praktika bei TV-Sendern absolvierte und nachts in der Gastronomie oder in Clubs arbeitete.
Wieder zurück in Südtirol wagte sie mit 31 Jahren schließlich den Sprung in die Selbstständigkeit und machte sich als Autorin und Regisseurin dokumentarischer Filme einen Namen. Gleichzeitig arbeitete sie als Radiomoderatorin bei Rai Südtirol, wo sie auch heute noch aktiv ist. Sie stürzte sich auf zeitgeschichtliche Themen, was sich – wie sie später feststellte – als durchaus naiv herausstellte. Für den ORF und BR arbeitete sie an Projekten wie „Rattenlinie – Nazis auf der Flucht durch Südtirol“, „Luis Trenker – Ein Mann und seine Legenden“ sowie „Viktoria Savs – die Kaisersoldatin“, die sich intensiv mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg auseinandersetzen.
„Die Herausforderungen hierfür waren groß, zumal sich der Mantel des Schweigens in Südtirol immer noch breit bettet, viele Zeitzeugen schon verstorben waren, aber auch, weil es einem die Fernsehredakteure nicht nur einfach machen.“ Karin hat schnell lernen müssen, dass sich ihre ursprünglichen Ideen mit einem Schlag verändern können. Oft werden Kommentare oder Voiceover-Texte von den Redakteuren der Sender komplett umgeschrieben. Sie lächelt. „Da fängt man an, demütig zu werden. Egal, wie stark die eigene Idee ist, man darf nie vergessen, dass man im Auftrag des Senders arbeitet und als Autor: in immer alle Rechte abgibt.“
Lange Zeit war es ihr nicht bewusst, oder sie schob es beiseite – sie arbeitet in einem Bereich, der eine klare Männerdomäne ist. In dieser Branche sind konservativ-patriarchale Strukturen und Chauvinismus an der Tagesordnung. Doch irgendwann, so erzählt sie, hatte es Klick gemacht. Ab diesem Punkt begann sie intensiver über diese Themen nachzudenken und filmisch aktiv zu werden.
Kreatives Engagement für Geschlechtergerechtigkeit
Jetzt fühlt es sich für sie an, als reite sie auf einer Welle neuer feministischer Perspektiven mit – eine Bewegung, der sie sich verpflichtet fühlt. Sie hat erkannt, dass sie als Teil der Medienlandschaft die Verantwortung trägt, neue Perspektiven auf Geschlechterrollen aufzuzeigen und veraltete Stereotypen zu hinterfragen. Ein eindrucksvolles Beispiel für ihr Engagement ist ihr Film „Face to Face“. Darin stellt sie eine grundlegende Frage: Welche Rolle wird uns aufgrund unseres Geschlechts in Südtirol zugeschrieben und wie sollen wir uns entsprechend verhalten? Der Film behandelt Themen wie Belästigung hinter den Theaterkulissen, toxische Männlichkeit, Catcalling als eine „verborgene“ Form der Gewalt sowie sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz.
Sie geht den Dingen auf den Grund und hinterfragt, was andere vielleicht lieber ausklammern würden.
In ihren Filmen widmet sich Karin häufig den Themen, die unbequem sein können. Sie geht den Dingen auf den Grund und hinterfragt, was andere vielleicht lieber ausklammern würden. Dennoch will Karin trotz der gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen positive Geschichten erzählen. „Während die Kolleg:innen darüber berichten, wie ein Mensch ins Loch gefallen ist, geht es mir darum, the man in the hole wieder herauszuholen.“
Kreativer Rückzugsort
Karin findet viele neue filmische Ideen in ihrer kleinen Villa Doria. Es handelt sich um ein bescheidenes Häuschen auf einem kleinen Grundstück in einem idyllischen Dörfchen im Talschluss des Veneto, an der Grenze zum Trentino. „Ich mag und brauche absolut keinen Luxus.“ Dort macht sie so viel wie möglich selbst – sogar bei der Renovierung des Hauses hat sie eigenhändig die Wände verputzt sowie die Fliesen, Fenster und Jalousien neu gestrichen. Es ist für sie ein Rückzugsort, um Kraft zu tanken. Während sie im Garten in der Erde arbeitet, entfalten sich neue filmische Konzepte in ihrem Kopf. Zudem plant sie, hier einen Landschaftsgarten anzulegen, basierend auf ihrem früheren Studium des Landschaftsdesigns, das sie bis zum ersten Studienabschnitt an der Hochschule für Kunst in Wien verfolgt hat. Gestalten und designen, so viel die Natur zulässt. Karin lernt in ihrer kleinen Villa Doria, dass nicht alles planbar ist, was ihr sonst im Alltag wichtig ist.
Die Kraft der kleinen Gesten
In einer Zeit, in der gesellschaftliche Herausforderungen immer drängender werden, ist es oft die Macht der kleinen Gesten, die den Unterschied machen. Karin Duregger hat sich zum Ziel gesetzt, die wichtigen Themen unserer Zeit anzusprechen. Sie möchte anecken und wachrütteln, um das Bewusstsein für gesellschaftliche Herausforderungen zu schärfen – jedoch stets mit einem Lächeln und viel Freundlichkeit.
Wenn sie zum Einkaufen geht, wünscht sie den Kassierer:innen einen schönen Feierabend oder ein gutes Wochenende und schaut ihnen dabei in die Augen. Oft sind die Menschen überrascht. Sie glaubt, dass Freundlichkeit entwaffnend wirkt. Und so bleibt die Frage: Welche neuen Projekte stehen wohl als nächstes an?
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