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Sie vergleicht die Bühne mit einem Spielplatz und mag Figuren, die Geschichten erzählen. Gerti Drassl, Südtirols wohl bekanntestes Bühnengesicht, spielt gerade wieder auf den heimischen Bühnen der Vereinigten Bühnen Bozen (VBB). Für „Stillbach oder Die Sehnsucht“ (das Stück läuft noch heute und morgen im Stadttheater Bozen) erzählt sie nicht nur eine Geschichte, sondern gleich zwei: Zweieinhalb Stunden lang spielt sie einmal Clara Burger im beigen Mantel mit Brille und gelockter Wallemähne und dann wieder Ines, im Zimmermädchen-Dress und mit strengem Zopf. Die starke Schminke trägt Gerti noch im Gesicht, als sie mit springenden Locken und etwas geschafft von der Bühne direkt zum Interview erscheint.
Gerti, du kommst gerade von zweieinhalb Stunden „Stillbach oder Die Sehnsucht“. Ist das Arbeit oder Spaß?
Es ist schon anstrengend (lacht). Natürlich ist man danach müde. Man muss sich ja auch durchgehend voll konzentrieren. Aber trotzdem ist das Schauspielen auch meine Leidenschaft.
Zu dieser Leidenschaft ist Gerti Drassl nach ihrer Matura am Kunstlyzeum in Bozen gekommen. Damals übersiedelte die Eppanerin nach Wien. Zwei Versuche hat es sie gekostet, um dort am Max Reinhardt Seminar aufgenommen zu werden. Doch dann stand der Karriere als Schauspielerin nichts mehr im Wege. Bereits während des Studiums machte Gerti Drassl die Bühnen unsicher. Nach ihrer Ausbildung wurde sie 2002 schließlich am Theater in der Josefstadt engagiert, wo sie bis heute spielt.
Seit deiner Matura lebst du in Wien. Wie ist es da, wieder einmal daheim auf der Bühne zu stehen?
Fein. Ich genieße das total, weil auch meine Familie hier wohnt. Wir sehen uns unterm Jahr nicht so oft, da ist das Spielen in Bozen immer eine super Gelegenheit für eine Familienvereinigung. Mir ist es auch wichtig, dass hier Theater gemacht wird und ich daran teilhaben kann. Ich mische gerne in der Szene in Südtirol mit. Aber ich schätze auch generell die Vielseitigkeit, was Orte und Menschen betrifft. Dass man an verschiedenen Orten, mit verschiedenen Konstellationen unterschiedliche Erfahrungen macht, ist für mich etwas total Wertvolles.
Spielt man in Südtirol denn anders Theater als in Wien?
Nein, überhaupt nicht. Hier wird sehr konzentriert gearbeitet und es kommt gutes Theater dabei raus. Was mir an Südtirol aber besonders gefällt, ist das Verständnis für Theater und diese generelle Spielfreude, die etwas Seltenes ist. Es ist beinahe unglaublich, dass es in jedem Dorf eine eigene Theatergruppe gibt.
Auch deine Familie spielt im Dorftheater. Hat dich das in deiner Entwicklung als Schauspielerin geprägt?
Natürlich. Als kleine Gerti habe ich aber eigentlich nur ein Mal mit meinem Vater mitgespielt. Ich war damals eher mit Ballett beschäftigt. Ich hatte drei bis vier Mal die Woche Unterricht. Das war sozusagen mein Haupt-Hobby.
Und warum bist du dann doch zum Theater?
Weil mir das Geschichtenerzählen schon immer gefallen hat. Auch beim Tanzen hat mich das Erzählerische immer am meisten interessiert und ich wusste, dass ich irgendwann einmal Theater spielen will. Je mehr ich mich damit auseinandergesetzt habe, umso interessanter wurde die Idee für mich. Immer klarer wurde mir dabei, was es bedeutet, in eine Figur einzutauchen und durch die Figur in eine bestimmte Geschichte.
Was bedeutet das?
Es ist total interessant, weil man beim Spielen ständig neue Figuren und Charaktere kennenlernt. Ich muss verstehen, was ich spiele und wen ich spiele. Ich muss die Figur, die ich verkörpere, verstehen. Bis dahin ist es immer ein interessanter Weg. Oft denke ich mir bei bestimmten Figuren: „Das kann nicht sein, dass der jetzt so reagiert.“ Aber dann soweit zu kommen, gleich zu reagieren wie die Figur, das ist ein spannender Prozess.
Versuchst du dich also immer, in eine Figur hineinzufühlen, bevor du sie spielst?
Auf alle Fälle. Auch mit dem Autor und der Situation setze ich mich auseinander. Das Ausschlaggebende dabei ist, zu verstehen, wie man als die Figur in der spezifischen Situation reagiert. Nicht als Gerti.
Wie schafft man es denn, an einem Tag quasi zwei Menschen zu sein?
Ich bin ja immer ich. Das ist mein Körper und meine Stimme, die da auf der Bühne stehen. Im Prinzip ist das Schauspielen ähnlich, wie wenn Kinder auf einem Spielplatz spielen. Die tauchen total in die Welt des Spielens ein und wenn sie fertig gespielt haben, verlassen sie diese Welt wieder.
Ist das bei deiner Tochter gleich? Schlägt sie der Mama nach und wird einmal Schauspielerin?
Klar. Wie alle Kinder spielt sie gerne. Ob sie einmal Schauspielerin wird, wer weiß (grinst).
Gerti Drassl hat eine vierjährige Tochter namens Rosa. Auf dem Weg zum Theater hat sie sie heute zum Kindergarten gebracht. Nach den zweieinhalb Stunden, die „Stillbach oder Die Sehnsucht“ dauern, holt sie sie dort wieder ab. So kriegt eine Schauspiel-Mama Kind und Arbeit unter einen Hut.
Kannst du beim Verlassen der Bühne die Figur dort oben lassen oder nimmst du Teile davon auch ins reale Leben mit?
Ich gehe nicht nach Hause und bin noch die Figur, die ich gespielt habe, nein. Die lasse ich gerne im Theater. Das fällt mir auch nicht schwer. In der Auseinandersetzung und in Gedanken bleibt aber sicher oft auch im Alltag etwas von der Figur und vom Stück hängen. So auch bei „Stillbach oder Die Sehnsucht“, für das ich mich intensiv mit der Zeit der brigate rosse auseinandergesetzt habe. Aber spätestens dann, wenn man die Figur nicht mehr spielt, lässt man sie ganz los.
Gerti Drassl ist gerade nicht nur auf der Bozner Bühne, sondern auch jeden Montag um 20.30 Uhr auf ORF1 als betrogene Ehefrau in der Fernsehserie „Die Vorstadtweiber“ zu sehen. Zugleich spielt sie in der ersten deutschsprachigen Verfilmung von Anne Frank die Miep Gies, die Finderin des Tagebuchs.
Clara Burger und Ines in Bozen, „Vorstadtweib“ in Wien und dann noch Miep Gies fürs Kino. Was ist dir das liebste: Theater, Film oder Fernsehen?
Ich sage immer: Das Theater ist mein Mutterschiff. Das ist das erste, was ich gemacht habe und hierher komme ich immer wieder gerne zurück. Aber die Arbeit im Wesentlichen ist für Theater, Film und fürs Fernsehen sehr ähnlich. Es ist immer eine Figur, die man spielt.
Aber beim Theater gibt es doch die direkte Interaktion mit dem Publikum?
Das stimmt. Das Publikum reagiert jeden Abend anders, das ist wahnsinnig toll. Das ist wie wenn man etwas kocht. Manchmal kochst du heute Schlutzkrapfen und sie werden super und wenn du sie morgen kochst, werden sie nicht so gut. So ist es im Theater.
Für ihre schauspielerische Leistung hat Gerti Drassl schon zahlreiche Preise einheimsen können. Unter anderem einen Romy Award in der Kategorie Shooting Star 2006, den Preis zur Schauspielerin des Jahres 2011 von der ORF-Hörspiel-Jury und mit „Elser“ den Hauptpreis des Bayerischen Filmpreises 2014.
Was ist für dich mehr wert: ein Applaus vom Publikum oder doch eine der zahlreichen Auszeichnungen, die du bekommen hast?
Mir sind komischerweise beide Dinge nicht so wichtig. Was mir am Herzen liegt, ist der Moment des Spielens. Natürlich ist die Interaktion mit dem Publikum wichtig. Oft gibt es Momente auf der Bühne, in denen man denkt: Jetzt sind alle im Moment. Für solche Augenblicke lebe ich. Dann sind die Menschen im Publikum nämlich nicht nur Zuschauer, sondern Teil des Geschehens, indem sie sich auf den Moment einlassen. Applaus ist sicher etwas Schönes und auch Auszeichnungen, aber sie sind nicht der Grund, weswegen ich diesen Beruf ausübe.
Für wen applaudierst du am liebsten?
Das ist ganz unterschiedlich. Das letzte Stück, das ich gesehen habe, war ein Puppenspiel im Akademietheater in Wien. Ich war verzaubert, das war unglaublich berührend. Aber ich gehe auch gerne hier in Eppan ins Theater, wo zum Beispiel mein Bruder spielt.
Holt sich dein Bruder denn auch oft Tipps von dir?
Nein, eigentlich gar nicht. (lacht)
Welche Tipps würdest du denn geben, um ein guter Schauspieler zu werden?
Ich finde immer, wenn man merkt, das jemand etwas mit wirklicher Lust macht, ist das unglaublich. Auch dem Theater muss man sich hingeben, nicht einfach etwas Abspulen, das man auswendig gelernt hat. Theater ist Leidenschaft.
Wie würdest du dich denn in drei Worten selbst beschreiben?
Oh Gott, in drei Worten. Puh, schwierig. (überlegt) Ich bin stur, das sagen auch andere über mich. Dann bin ich glustig. (lacht) Auf alles, was gut schmeckt. Und, um die Brücke zum Stück zu schlagen, das ich gerade spiele: Ich bin sehnsüchtig. Egal, ob das Heim- oder Fernweh ist.
Sehnsüchtig nach Südtirol?
Ja, sicher gibt es diese Momente der Sehnsucht nach Südtirol. Ich habe schließlich 19 Jahre hier verbracht, das ist eine lange Zeit. Ich finde auch, dass Südtirol mich sehr geprägt hat. Ich habe oft Heimweh nach Menschen, Gerüchen oder Orten. Aber ich habe dann auch wieder Fernweh, wenn ich hier bin. Es ist immer so eine Art Zerrissenheit, die ich von vielen Südtirolern kenne.
Im Stück reist du nach Rom, weil deine Freundin Ines gestorben ist. Lässt man die Traurigkeit aus solchen Rollen auch manchmal zu sehr an sich ran?
Einige traurige Rollen haben mich schon nicht kalt gelassen. Wenn man zum Beispiel eine Mutter spielt, deren Kind ertrinkt und man ist selbst gerade Mama geworden. Natürlich denkt man dann darüber nach, was das bedeutet. Auch in diesem Stück habe ich darüber nachgedacht, was es bedeutet, eine Freundin zu verlieren. Es bedeutet wirklich das, was Clara auch beschreibt: Ein ganzes Leben bricht einfach weg. Das empfinde ich als furchtbar.
Also spielst du lieber lustige Rollen?
(lacht) Nein, das würde ich auch nicht sagen. Wenn ich eine lustige Figur spiele, ist das für mich eh nie lustig. Ich bin einfach für jede Figur dankbar, die etwas zu erzählen hat.
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