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Eugen Sleiter arbeitet seit zehn Jahren als Hausarzt. Er kennt seine Patienten in Dorf Tirol, ist engagiert. Sleiter hat im Arztberuf seine Leidenschaft gefunden. Trotz vieler Probleme, denen er als Landessekretär der SGBCISL-Ärztegewerkschaft entgegenzuwirken versucht. Da wäre zum einen der Hausärztemangel, zum anderen das gekürzte Budget.
Vor Weihnachten brachen vier Ärzte-Gewerkschaften die Verhandlungen zum sogenannten Landeszusatzvertrag mit dem Land ab. Warum? Was steht in diesem Vertrag?
Die maximale Patientenanzahl liegt laut Vertrag bei 1.575 Patienten pro Hausarzt plus einer Quote von 250 Patienten für nicht ansässige Personen. Bisher lag die Patientenanzahl-Obergrenze bei 2.000. Falls es in einem Einzugsgebiet zu wenige Ärzte gibt, zahlt das Land dem Arzt weiterhin alle Patienten. Sind aber alle Hausarztstellen in einem Gebiet besetzt, zahlt das Land für „überschüssige“ Patienten nichts mehr und der Arzt müsste diese ohne Entgeld behandeln. Aus diesem Grund hatte man vorgeschlagen, dass ein Hausarzt zwölf Euro bekommen sollte, wenn er einen dieser „überschüssigen” Patienten entlässt. So will aber kein Hausarzt vorgehen. Die Patientenanzahl würde sich also nur reduzieren, wenn ein Patient freiwillig einen anderen Arzt wählt, weil er umzieht oder wegen Familienzusammenführung, was heute außerhalb der Quoten auch nicht mehr machbar ist.
„Es ist Zeit, ein Zeichen zu setzen – auch für die Bevölkerung“, sagten Sie vor einem Jahr und kritisierten das, was in Südtirol in der Sanität geplant war. Was lag damals im Argen?
Man wusste damals schon, dass ein Ärztemangel unmittelbar bevorsteht. Deshalb wollte man die Hausärzte zwingen, sich in größeren Zentren zusammenzuschließen. Solche Case di salute wurden in einigen Regionen Italiens dann aus Kostengründen bereits eingeführt. In Meran gäbe es auch schon einen genehmigten Bauplan hierzu, das Gebäude der Krankenkasse könnte um einen Stock erhöht werden, um Hausärzte dort in mehreren Ambulatorien anzusiedeln. Nachteil für den Patienten ist, dass es schwieriger wird, zum Hausarzt bzw. noch zum eigenen Hausarzt zu kommen. Diese Art der Versorgung ist oft nicht mehr wohnortnah, da diese Case di salute häufig am Stadtrand errichtet werden. Auch leidet die Betreuungskontinuität und damit die Qualität, wenn der Patient bei jedem Arztbesuch auf einen anderen Hausarzt trifft.
Wenn die Sanität nun sagt, dass ein Hausarzt aufgrund eines Hausärztemangels mehr Patienten betreuen muss, dann ist eine Bezahlung von 3,50 Euro pro Patient im Monat angedacht. Aber 3,50 Euro für einen Patienten, den der Hausarzt nur befristet betreut, ist im Vergleich zum Arbeitsaufwand für einen neuen Patienten zu wenig. Wir haben leider noch keine Vernetzung, wenn also ein neuer Patient kommt, muss man erst mal seine Daten eingeben und sämtliche Diagnosen „sammeln“, das heißt, die Befunde erfragen, im Krankenhaus oder bei den Angehörigen im Falle von älteren Patienten. Das ist ein großer Aufwand für 3,50 Euro monatlich. Vielen Ärzten ist das aus Zeitgründen auch gar nicht möglich, die Verantwortung für den Patienten sollen aber dann doch zur Gänze sie tragen – ohne exakte Vorkenntnisse.
Was hat sich bisher getan?
Es hat sich kaum etwas getan. Wir treffen uns heute Abend (11.01.2017) mit den anderen Gewerkschaften, weil wir eine langfristige Lösung für die Bevölkerung finden möchten. Es kann nicht sein, dass wir drei verschiedene Klassen von Ärzten haben: Ein Hausarzt wie ich bekommt seine überschüssigen Patienten noch bezahlt, weil in Meran und Umgebung Hausärztemangel herrscht, die Hausärzte in Brixen bekommen nur für 1.575 Patienten gezahlt, weil dort zurzeit noch genug Hausärzte sind und Hausärzte im Wipptal, die nicht mehr als eine bestimmte selbstlimitierte Patientenanzahl betreuen möchten, müssen aus Mangel an Ärzten auf einmal mehr Patienten annehmen zu den genannten Bedingungen.
„Jetzt muss die Sanität aufwachen und Taten folgen lassen.“
Was müsste getan werden?
Es ist eine verfahrene Situation. Wir haben schon lange Vorschläge zur Behebung des Ärztemangels gemacht und keine Reaktion erkennen können. Jetzt muss die Sanität aufwachen und Taten folgen lassen. Wir Hausärzte brauchen mehr Unterstützung. Hausbesuche werden zum Beispiel nicht bezahlt, nicht einmal das Kilometergeld. Das ist frustrierend, vor allem wenn man junge Ärzte für den Beruf motivieren möchte.
Aber es braucht nicht nur mehr Budget sondern auch Personal, dann könnten wir auch die Krankenhäuser noch mehr entlasten, was ja immer so dringend von uns gefordert wird. Es braucht mehr junge Ärzte, auch aus dem Ausland. Sonst werden wir immer einen Mangel haben.
Warum sollte sich ein Medizinstudent heute dazu entscheiden, Hausarzt zu werden?
Ich finde, Hausarzt ist immer noch ein spannender Beruf. Als Hausarzt kann man theoretisch alles machen, was man sich medizinisch zutraut und beherrscht, auch wenn es bei unserem Sanitätswesen etwas schwierig ist. Wenn man seine Patienten gut betreut und sie sich gut aufgehoben fühlen, besteht oft ein wunderbares Arzt-Patient-Verhältnis. Zudem ist es mittlerweile auch ein Beruf, in dem man sicher Arbeit findet, das war noch völlig anders, als ich angefangen habe.
Wie sieht die derzeitige Situation aus und wird es in Zukunft einen Hausärztemangel geben?
Ganz Europa hat zu spät reagiert. Einerseits sind die Universitäten zu teuer, andererseits wurde politisch nicht entgegengesteuert. Wir haben derzeit Italienweit 44.000 Hausärzte, bis 2023 gehen mindestens 16.000 bis 23.000 davon in Pension. Hinzu kommt die Zweisprachigkeit, die Ärzte von Deutschland oder Österreich daran hindert, zu uns kommen. 20 Studenten werden in Bozen 2017 mit ihrer Hausärzteausbildung fertig, nur acht davon haben den Zweisprachigkeitsnachweis. Diese acht Ärzte können sich laut Gesetz erst im Januar 2018 auf eine Rangliste eintragen, um 2019 einen Posten anzunehmen. 2019 schließen nur noch neun Kandidaten die Ausbildung ab. Mehr als die Hälfte davon sind italienischsprachig und weil in Mittelitalien auch ein Mangel da ist, werden sie dort eine Stelle finden. Von denen haben zudem nur drei den Zweisprachigkeitsnachweis. Das Loch ist also gravierend. Ein weiteres großes Problem ist, dass Hausärzte nur fünf Monate in Mutterschaft gehen dürfen, dann müssen sie wieder arbeiten. Da muss sich was ändern. So ist es kein Wunder, dass sich viele gegen diesen Beruf entscheiden.
Verrichtet der Hausarzt heute bei der Anzahl der Patienten nicht nur mehr Fließbandarbeit und verschreibt Rezepte?
Nein, es ist immer noch sehr abwechslungsreich. Ältere Patienten kommen manchmal nur zum Blutdruckmessen, da ist man schneller. Zu langsam darf man aber nicht arbeiten, weil man sich die Überstunden selbst zahlen muss. Früher hat man nicht so sehr auf Überstunden geachtet oder darauf, eine Spritze mehr aufzumachen.
Hat sich der Beruf des Hausarztes im Laufe der Jahre und mit dem Aufkommen des Internets, in dem jeder seine Symptome googeln kann, verändert?
Er hat sich verändert. Wir haben eine Umfrage gemacht, die uns alle überrascht hat. Wir hatten immer den Eindruck, dass der Patient zuerst zum Hausarzt geht, das stimmt aber nicht. Die meisten probieren vorher viele Hausmittelchen oder homöopathische Mittel, was sie dem Hausarzt oft nicht sagen. Heutzutage sind die Patienten vermehrt an alternativen Therapien interessiert. Und sie informieren sich viel, befassen sich mit der Krankheit und googeln natürlich auch viel. Das ist gut und der erste Schritt zur Therapie. Andererseits muss man Patienten auch oft bremsen, denn wenn sie Kopfschmerzen googeln, haben sie gleich einen Tumorverdacht und sind extrem verängstigt. Aufgrund von Internetinformationen fordern die Patienten auch sofort eine intensive Abklärung mittels Geräten wie Computertomografie oder Magnetresonanz.
Wollen Patienten heutzutage eine schnellere Diagnose anstatt darauf zu warten, dass diese erst im Verlauf der Krankheit gestellt wird?
Die älteren nicht, die jüngeren schon. Sie wollen möglichst schnell eine weitreichende diagnostische Abklärung und ärgern sich über die langen Wartezeiten. Auch die Arbeitsverhältnisse haben sich geändert haben. Ein mehrwöchiger Krankenstand bedeutet für viele Patienten einen Arbeitsplatzverlust.
Muss sich der Hausarzt verändern, wenn er den wachsenden Ansprüchen der neuen Generation von Patienten gerecht werden will?
Man muss nicht, aber es ist hilfreich, sich auf etwas zu spezialisieren. Als ich angefangen habe, habe ich einige Hausarztpraxen gesehen, bei denen ich mir gedacht habe: um Gottes Willen. (lacht) Da sitzen die Ärzte den ganzen Tag vor dem Rezeptblock und schreiben auf, was die Patienten wollen. Das muss doch frustrierend sein. Ich finde jeder, der engagiert ist, wird sich eine Sparte suchen, die er seinen Patienten zusätzlich anbietet. Wir haben in der Praxis zum Beispiel ein EKG, einen Lungenfunktionstest und wir sind für kleine chirurgische Eingriffe ausgestattet. Wir versuchen mehr anzubieten, auch weil ich nicht nur am Schreibtisch sitzen will.
Werden Hausärzte irgendwann überflüssig werden, weil sie von Spezialisten abgelöst werden?
Nein. Der Hausarzt ist erste und wichtigste Anlaufstelle für den Patienten. Er kann entscheiden, wann eine Überweisung an einen Facharzt notwendig ist. Der Hausarzt ist auch die Sammelstelle aller Daten des Patienten. Wir sind wie gesagt nicht vernetzt. Wenn der Patient beispielsweise hohen Blutdruck hat und von einem Urologen ein Medikament bekommt, das aber mit seiner Blutdrucktherapie nicht verträglich ist, dann sieht das der Hausarzt und kann handeln. Er muss die Therapie dementsprechend anpassen, denn er weiß vieles über den Patienten, was der Facharzt nicht weiß.
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