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„Man atmet wie auf 3.000 Metern“, sagt Andreas Flor. Er ist in einen weißen Schutzanzug gehüllt, in seine Stiefel geschlüpft, hat die blauen Handschuhe angezogen und sich die Atemmaske übergestreift. „Es wird oft ganz schön heiß in dem Anzug“, sagt er, schnappt sich seinen Drucksprüher und beginnt damit, die Ecken und Wände des Eingangsbereichs einzunebeln. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, eine Epidemie sei ausgebrochen. In gewisser Weise stimmt das sogar – eine Mäuse-Epidemie.
Andreas Flor ist seit acht Jahren spezialisierter Kammerjäger, seine Arbeitskleidung eine Routineschutzmaßnahme, weil er tagtäglich mit Gift zu tun hat. Heute seien die Produkte, die er verwendet, aber nicht mehr so giftig und jeder Einsatz komplexer als noch vor einigen Jahren. Falls möglich setzt der Schädlingsbekämpfer statt Gift auch Fallen oder Köder bei der Bekämpfung von Schädlingen ein. Ratten, Mäuse, Insekten, Ameisen, Schaben, Bettwanzen und Flöhe gehören zu seinen Zielobjekten. Auch in der Taubenabwehr hat Andreas einiges zu tun. Vorbei die Zeiten, als Kammerjäger nur die Wohnungen begasten, ausräucherten und besprühten. Bei seinem heutigen Einsatz zeigt der 35-jährige Eppaner, dass sein Job weit mehr mit sich bringt als das Klischee des „Giftversprühens“.
Mit gezückter Taschenlampe leuchtet Andreas alle Ecken und Winkel der kleinen Küche ab. Überall kleine schwarze Kügelchen – Mäusekot. Das seien die ersten Anzeichen für einen Befall. Da sich die Nager immer an den Wänden entlangbewegen, sucht der erfahrene Schädlingsbekämpfer genau diese Stellen ab. Nicht nur in der Küche, sondern auch in anderen Räumen findet er Mäusekot. Andreas nimmt eine schwarze Box aus einer Tasche. Sie ist verschlossen, hat lediglich zwei Löcher an der unteren Seite. Darin befinde sich die Mäuseköder, sagt er mir. Der Aufwand mit der Box scheint mir übertrieben. Selber stellt man ja auch nur eine Falle auf oder legt ein bisschen Gift aus und gut ist, oder? „Оbwohl man die Produkte überall kaufen kann, dürfen eigentlich nur spezialisierte Firmen Köder auslegen“, erklärt Andreas. Die Box muss verschlossen sein, damit kein anderes Tier oder gar ein Kind an das Gift herankommt. Jetzt öffnet er die Box. Die kleinen Säckchen mit Gift, die fast so aussehen wie die Beutelchen, die man in neuen Schuhen oft findet, sind an einer Querstange befestigt. Durch die Öffnungen kommen die Nagetiere in die Box und fressen das Gift, welches nach zwei bis vier Tagen wirkt. Andreas legt die Box mit den Ködern in eine Ecke der Küche, dann fährt er mit der Inspektion fort. In einem Schrank entdeckt er wieder Kot und sogar eine kleine, tote Maus.
Die Köder bestehen aus Rodentiziden mit Antikoagulanzien. „Das sind Blutgerinnungsmittel und bewirken, dass das Blut nicht mehr stockt“, erklärt Andreas. Mit anderen Worten: Die Mäuse und Ratten verbluten innerlich. Мan sagt, es ist ein eher wenig schmerzvoller Tod, aber natürlich wird immer ein Tier eliminiert und kein Tod ist schön, sagt der Kammerjäger. Eine Schnappfalle sei die humanste Methode, allerdings nur, wenn die richtige Falle verwendet wird. Ist sie zu schwach, stirbt das Tier nicht sofort. Ein weiteres Problem sei die Skepsis der kleinen Tiere, erklärt Andreas. Mäuse sind immer in einem Clan unterwegs, taucht eine neue Nahrungsquelle auf, wie in diesem Fall der Köder, wird ein Vorkoster geschickt. Stirbt dieser, nehmen die anderen ihn nicht mehr an. Da das Gift aber erst etwas später wirkt, sieht es für die Mäuse wie ein natürlicher Tod aus. Nach dem Verenden trocknen die Mäuse aus. So stinkt es nicht, auch wenn man die toten Tiere nicht findet. „Sollte es stinken, dann war es höchstwahrscheinlich eine Ratte“, erklärt Andreas nach dem Auslegen des letzten Köders im Eingangsbereich des Hauses.
Um es gar nicht erst zu einem großen Befall kommen zu lassen, hält der Schädlingsbekämpfer sehr viel von Präventionsmaßnahmen. Dafür werden Köderstationen wie heute in diesem Haus aufgestellt. Der Sinn sei, einen Befall frühzeitig festzustellen, um dann gezielt einzugreifen. Tritt dennoch ein größerer Befall auf, versucht Andreas mit so wenig Gift wie möglich so effektiv wie möglich zu arbeiten. „Die Diskretion ist dabei etwas vom Wichtigsten, wir sollten am besten unsichtbar sein“, sagt er. Besonders wichtig sei dies in Restaurants oder Hotels, denn obwohl ein Befall in den saubersten Lokalen vorkommt, wird er mit mangelnder Hygiene verbunden. In Großstädten rechne man durchschnittlich mit zwei Ratten pro Einwohner, weiß der Kammerjäger. Ratten und auch Schaben sind in der Kanalisation unterwegs und kommen durch das Rohrsystem manchmal in einer Wohnung wieder heraus. Bettwanzen und auch einige Schabenarten importiert man sich vom Urlaub oder Nachbarn.
Hier haben es die Bewohner zum Glück „nur“ mit Mäusen zu tun. Andreas demonstriert mir trotzdem, wie er bei einem Schabenbefall vorgeht. Mit einer Art Mini-Silikonpistole, setzt er millimeterkleine Punkte in einige Ecken an der Küchenzeile. Hier nistet die deutsche Schabe am liebsten. Nach acht Stunden wirkt das Gift. Da die Schaben auch ihre toten Kameraden fressen, könnte man mit einem Tropfen Gel bis zu zwanzig der Art eliminieren.
Andreas zieht sich wieder um und packt seine Sachen zusammen. Er hat seinen Traumjob, in dem er seit zwei Jahren selbstständig ist, gefunden. Am besten sei, dass er viel unterwegs sei, viele Leute treffe und in viele verschiedenen Firmen und Haushalte hineinsehen könne. Er wird meist dann gerufen, nachdem die Leute schon einiges probiert haben und der Sache nicht mehr Herr werden. Einige Leute sehen aber ein Tier und verfallen bereits in Hysterie. „Man muss aber sagen, sieht man irgendwo in seinem Haus eine Maus, ist es meist nie nur diese eine“, sagt Andreas, lacht und macht sich auf zum nächsten Fall.
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