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Schon von Weitem lächelt sie mich an. Sonja Cimadom steht am Ausgang des Parkauses Bozen Mitte und hält ihr Handy ans Ohr. Seit 2009 ist die Brixnerin Bildungsreferentin für den Bereich „Miteinander“ bei der oew (Organisation für eine solidarische Welt) und deshalb ständig erreichbar. Sie arbeitet Projekte zum Thema Zusammenleben, Vielfalt, Vorurteile und Ängste aus und überlegt sich Strategien, wie Integration funktionieren kann. Seit es die Straßenzeitung zebra. gibt, habe sie noch mehr zu tun, erzählt sie, denn sie kümmert sich auch um deren Vertrieb und die Einteilung der Verkäufer. Die 33-Jährige hat einen straffen Terminkalender und kaum Freizeit. Wir setzen uns in die Citybar gegenüber vom Parkhaus. Cimadom bestellt einen Cappuccino trinkt einen Schluck. Das Interview beginnt.
Wie würdest du dich in drei Worten beschreiben?
Kommunikativ … Chaotisch … Und meine Arbeitskollegen sagen immer, ich bin ein Vulkan aus Ideen. (lacht)
Du warst drei Jahre lang Friedensarbeiterin im Kosovo. Was hast du dort erlebt?
Genau. Die Organisation, für die ich damals gearbeitet habe, heißt Operazione Colomba. Wir wohnten mit den Leuten in einem kleinen Dorf, damit wir mit ihnen zusammen die Feindbilder verstehen und abbauen konnten. Zu unseren Arbeiten gehörte auch der Begleitschutz. Durch den Krieg konnten Albaner nicht mehr spontan in die serbische Zone gehen und umgekehrt. Dann machten wir mit einer Gruppe von Jugendlichen Konfliktaufarbeitung. Wir sprachen mit ihnen über ihre Erlebnisse. Ich habe viele schlimme Geschichten auf beiden Seiten mitbekommen. Viele haben liebe Menschen im Krieg verloren oder das Haus wurde abgebrannt, diese Wunden tun weh.
Du hast ja auch in deiner jetzigen Arbeit bei der oew viel mit Migranten zu tun?
Ja. Jetzt durch zebra. besonders mit Menschen, die in wirtschaftlich schwierigen Situationen sind. Die meisten dieser Migranten wollen oft gar nicht nach Italien, sondern in nördlichere Staaten. Aber sie müssen über Italien oder über Griechenland kommen, weil es EU-Außengrenzen sind und durch die Dublin-II-Verordnung der Europäischen Union ist das Land zuständig, in dem als erstes deine Fingerabdrücke aufgenommen werden. Viele, die ich kenne, wurden von der Polizei eines anderen Landes wieder nach Italien zurückgeschickt.
Es werden ja immer alle in einen Topf geworfen, nur weil sie gleich aussehen. Sie werden immer gleich beschrieben, was überhaupt keinen Sinn macht. Es sind Leute mit unterschiedlichen Geschichten. Alle Menschen sind unmöglich vielfältig und unterschiedlich in ihren Lebenswegen, was logisch sein sollte.
Woher kommt deine soziale Ader und das Engagement?
Das ist einfach so, wie ich bin.
Im ff-Fragebogen sagtest du, du wärst für einen Tag gerne jemand, der die Welt nicht retten möchte? Warum?
Das ist die Antwort auf die Frage zuvor. Es ist einfach so, ich kann es nicht ändern. Wenn es ginge, wäre das schon cool. (lacht) Ich sehe ständig und überall die Probleme, die ich gerne ändern würde, und denke viel darüber nach. Gestern habe ich eine Stunde über den kommenden Winter nachgedacht und an die zu wenigen Notschlafstätten, oder über Sizilien und die Ankunft der Flüchtlinge und dass es immer noch als Emergenza gesehen wird, obwohl es schon lange keine mehr ist. Es gehört einfach mit dazu. Menschen kommen, die Frage ist nur: „Wie macht man es?” Wenn ich in Sizilien Urlaub machen würde, würde ich ständig daran denken, dass wieder ein Schiff kommt oder neben dem Café, in dem ich sitze, wahrscheinlich ein Auffanglager steht. Solche Sachen beschäftigen mich andauernd.
Was machst du, um davon ein bisschen abzuschalten?
Ähm. (denkt nach) Zugfahren. Zugfahren ist super. Das ist etwas dazwischen. Außer man fährt über Grenzen. Dann kommen wieder die Grenzpolizisten und kontrollieren immer diese Leute, die so aussehen, als wären sie zu kontrollieren. Ich würde denen am liebsten auch meinen Pass hinhalten und sagen: „Du kannst mich auch gleich kontrollieren.” Wenn es die Zeit zulässt, bin ich viel in meinen eigenen vier Wänden und lese.
Woher kommen deiner Meinung nach die vielen Vorurteile?
Sicher zum Teil durch konkrete Erlebnisse. Ich glaube nicht, dass alles erfunden ist. Aber es sind Sachen, die Einzelpersonen passiert sind und dann einen Radius durchs Weitererzählen bekommen haben. Immer kennt jemand irgendeinen, der einen kennt… Zum Teil sind Vorurteile auch normal. Wir waren Jahrzehnte lang ein Auswanderungsland, der Wechsel zum Einwanderungsland kam dann ziemlich schnell und auch wehement. Wir sind eine Minderheit und müssen immer irgend etwas schützen (lacht).
Dann sind wir also nicht sehr solidarisch gegenüber Menschen, denen es weniger gut geht?
Ich glaube, wir sind total solidarisch, wenn es um etwas geht, was weit weg ist. (lacht) So à la „Hauptsache nicht bei uns”. Auch bei Leuten, deren Lebensrealitäten nahe bei unseren sind, wenn zum Beispiel irgendwo ein Bauernhof abbrennt, sind wir sehr solidarisch, das finde ich schön. Ich frage mich aber, wie das Solidarische, was im Grunde in jedem Menschen drin ist, auch auf die anderen überschwappt.
Wir spenden zu Weihnachten afrikanischen Kindern, aber wenn sie dann vor unserer Tür stehen – überspitzt gesagt – dann sind das zwei total verschiedene Welten für die Leute. Es ist ja schön, wenn gespendet wird, aber damit ist es nicht getan.
Ich trage auch mit meinem Konsumverhalten dazu bei, dass Menschen kommen. Wenn mein Shirt fünf Euro kostet, dann hat jemand den Preis dafür bezahlt und der Jemand war nicht ich. Man muss verstehen, dass das zusammenhängt. Man braucht sich nicht wundern, dass jemand sagt, er möchte dorthin, wo die tollen Sachen hinkommen.
Du zitiertest einmal aus dem Buch „In den Vereinigten Staaten von Amerika“: „Der Geburtsort ist nichts als Zufall; die wahre Heimat findet man mit Herz und Körper …" Warum gefällt dir diese Stelle besonders?
Ich finde den Satz so interessant: „Der Geburtsort ist nichts als Zufall.” Ich habe nichts dazu beigetragen, dass ich in Brixen auf die Welt gekommen bin. Durch diesen Zufall habe ich Möglichkeiten, die jemand, der rein zufällig in Äthiopien auf die Welt gekommen ist, nicht hat. Im Leben hast du dann das Gefühl, dass du irgendein spezielles Anrecht auf irgendetwas hast, weil du schon ewig da bist. Nur weil dein Reisepass braun ist und Europäische Union draufsteht, kommst du weiter als einer, der einen anderen hat. Aber was hast du getan, um italienische Staatsbürgerin zu sein? Nichts (lacht).
Wie sieht dein Wunschbild von Südtirol aus?
Ein bisschen mehr Mut für alle Ein-, Zwei-, oder Vielheimischen sich kennenzulernen und einfach mal hinzusehen. Nicht nur auf die Bilder sehen, die zu stark da sind. Wir sollten nicht immer denken, der ist potentiell gefährlich, weil er jetzt in unserem Land ist, und die andere Seite sollte nicht denken, wir sind alle rassistisch, weil wir weiß sind.
Durch zebra. passiert das schon wesentlich, aber manchmal sehe ich zebra.-Verkäufer, die einfach keine Wohnung finden und obdachlos sind. Natürlich haben sie keinen Vertrag über fünf Jahre, aber ich wünsche mir ein bisschen mehr Vertrauen. Außerdem bräuchten die vielen positiven Beispiele mehr Sichtbarkeit. Menschen, die hier ganz normal wohnen, arbeiten und nicht mal auffallen. Natürlich gibt es auch Problemfälle, aber die sind im Verhältnis ein kleiner Teil. Dieser hat aber die volle Sichtbarkeit, weil die normalen Leute natürlich keine Schlagzeilen bringen (lacht).
Vielen Dank für das Interview!
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