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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 25.02.2019
LeuteInterview mit Birgit Eschgfäller

Die Energie der 68er

Veröffentlicht
am 25.02.2019
Weltweit gingen Menschen 1968 auf die Straße – auch in Südtirol. Birgit Eschgfäller beleuchtet diese Zeit in ihrem Buch und will Jugendliche motivieren, sich für ihre Überzeugungen wieder stark zu machen.
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1968 war ein Jahr des Aufruhrs. Die Jugend ging auf die Straße und lehnte sich gegen die Gesellschaft auf. Es fand weltweit ein Umbruch statt – auch in Südtirol. Hierzulande entstanden Alternativen zu den etablierten Parteien und erste sprachgruppenübergreifende Initiativen. Die Kultur- und Medienlandschaft wurde bunter.

Über diese Rebellion hat Birgit Eschgfäller ihre Diplomarbeit und vor Kurzem das Buch „1968 – Südtirol in Bewegung“ verfasst.

Du bist 1986 geboren. Wie kommt deine Faszination zum Jahr 1968?
Ich studierte Geschichte, Psychologie und Philosophie auf Lehramt in Salzburg und belegte ein Seminar über die 68er-Jahre. Diese Epoche faszinierte mich sofort, denn sie war anders als andere historische Ereignisse – bunter, wilder und sicherlich auch provokanter. 1968 war nicht nur die Geschichte der üblichen großen Männer, sondern ein historischer Abschnitt, der gezeigt hat, dass jeder Einzelne Geschichte schreiben kann, wenn er bereit ist, sich für seine Überzeugungen und wesentlichen Bedürfnisse stark zu machen und auf die Straße zu gehen.

In den Geschichtsbüchern findet man über diese Zeit bisher nicht sehr viel – zumindest, wenn man die Südtiroler Zeitgeschichte betrachtet.
Genau, das war für mich der Ansporn, über das Thema zu schreiben. Wenn man sich mit der Geschichte Südtirols der späten 60er-Jahre auseinandersetzt, sind die Autonomieverhandlungen, die Sprengstoffanschläge und der Zusammenhalt der Bevölkerung die alles beherrschenden Themen. Aber es gab viel mehr, nämlich in vielen Bereichen einen gesellschaftlichen Aufbruch und Mut zu oppositionellen Bewegungen. Man könnte diese Zeit auch einen kleinen „Südtiroler Frühling“ nennen.

Und deshalb hast du angefangen, selbst zu recherchieren?
Ich habe mich zuerst mit dem Südtiroler Historiker Hans Heiss getroffen, der bereits einige Artikel zum Thema verfasst hatte. Dann habe ich Zeitzeugen interviewt, bin ins Landesarchiv, ins Frauenarchiv und in die Alexander Langer Stiftung gegangen, habe mir Zeitschriften wie „die brücke“ und den „Skolast“ sowie Schülerzeitungen wie den „Reflektor“ herausgesucht und in der Landesbibliothek Tessman die Dolomiten-Ausgaben dieser Jahre durchforstet. Durch diese umfangreiche Quellenrecherche bin ich den 68ern bei uns in Südtirol immer mehr auf die Spuren gekommen.

Eine aufwändige Recherchearbeit …
Für die Diplomarbeit 2010 recherchierte ich über ein Jahr lang. Als ich 2011 anfing zu unterrichten, ließ ich das Thema erst mal ruhen. Ich hatte aber immer im Hinterkopf, dass ich eines Tages etwas zu den 68ern publizieren möchte, weil schon sehr viel Arbeit darin steckte, mir das Thema am Herzen lag und dem Geschichtsbild Südtirol dieses Kapitel schlicht und einfach noch fehlte. 2017, rechtzeitig vor dem Jubiläumsjahr, begann ich dann mit der Arbeit am Buch. Seit Dezember ist es auf dem Markt.

Weltweit gingen Jugendliche 1968 auf die Straße. Wie war es in Südtirol?
Auch bei uns ist man auf die Straße gegangen – teilweise zu den gleichen Themen, die auch international aufgegriffen wurden. So fanden in Bozen und Meran Demos und sogar Hungerstreiks gegen den Vietnamkrieg statt. Zudem hat man sich für mehr Pressefreiheit stark gemacht, namentlich gegen das „Pressemonopol“ der Dolomiten. Allgemein fand ein Ringen um die Meinungsvielfalt und eine offenere Kulturlandschaft statt.

Die 1968er in Südtirol waren keine laute Massenbewegung, sondern eine Zeit, in der Jugendliche in vielen Bereichen aktiv etwas veränderten. Während weltweit Studenten auf die Straße gingen, waren es in Südtirol die Oberschüler, die sich für mehr Mitbestimmung einsetzen. Darüber hinaus machten sich auch viele Lehrer für die Mitbestimmungsgremien stark. Man versuchte, demokratische Prozesse voranzutreiben und konnte in vielen Bereichen auch die Gesetzgebung beeinflussen.

Bei der Buchvorstellung im Ost West Club in Meran.

Stichwort Kulturlandschaft: Wie siehst du diese Wandlungen heute?
Jugend und Kultur sind immer im Wandel. Sicher sind das Bereiche, in denen die Errungenschaften nicht als selbstverständlich angesehen werden dürfen, sondern es gilt sich aufs Neue stark zu machen und bei gewissen politischen Entwicklungen kritisch hinzuschauen. Beispielsweise im Bereich der Frauenrechte: Es gibt immer wieder politische Strömungen die probieren, sie zu relativieren oder zurückzunehmen. Das zeigt, dass man sich für diese Werte ständig einsetzen muss.

Und in puncto Pressemonopol?
Häufig prägen Hetze oder einseitig negative Schlagzeilen die Medienlandschaft. Oft scheint der notwendige Ethos zu fehlen. Unter anderem aus diesem Grund haben wir im vergangenen Jahr in der Schule mit der Straßenzeitung „zebra.“ zusammengearbeitet – um eine andere Form der Berichterstattung aufzuzeigen. Die Schüler durften selbst eine Ausgabe gestalten. Ich denke, das sind Wege, mit denen man jungen Menschen verständlich machen kann, dass wir selbst sehr wohl mitgestalten können und Politik auch von uns gemacht wird. Wir haben Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung, sei es durch unser Konsumverhalten, durch unseren Lebensstil oder durch unseren Umgang mit anderen. Ein reflektierter Umgang mit Medien gehört da dazu.

Warst du in deiner Jugend eine, die auf die Straße ging?
Ich kann mich an zwei Demonstrationen in der Oberschule erinnern. Ich war keine Wortführerin, aber mit Begeisterung dabei. Die Besetzung der Universität in Salzburg 2009 habe ich noch besonders lebhaft in Erinnerung. Damals setzten wir uns gegen die Privatisierung der Unis und gegen die Wiedereinführung der Studiengebühren ein.

50 Jahre später gehen wieder Jugendliche auf die Straße. Das Thema diesmal: der Klimawandel.
Ich finde es gut, dass sich die Jugendlichen trauen, sich für ein gemeinsames Anliegen stark zu machen und laut zu werden. Das setzt gesellschaftlich immer etwas in Gang. Zudem hat es etwas Mobilisierendes für jeden einzelnen, das einmal mitzuerleben. Wichtig ist aber auch, dass man nicht beim Schimpfen über „die anderen“ stehen bleibt, sondern konkret überlegt, was man ändern kann.

Inwiefern?
Nicht jede Schülerin und jeder Schüler ist stark politisiert und hat klare Vorstellungen davon, was sie oder er konkret verändern will. Ich glaube trotzdem, dass zuerst einmal diese Solidarität, das gemeinsame Starkmachen für eine Sache ein wichtiger Prozess für die eigene Persönlichkeitsentwicklung ist. Die 68er-Bewegung war dort erfolgreich, wo man von der Utopie zur konkreten Lösung gelangte. Viele engagierte Lehrpersonen wollen nun auch an unserer Schule gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern das Thema Klimawandel auf Schulebene aktiv angehen, damit die Jugendlichen sehen: Auf die Straße gehen ist eines, aber es ist auch wichtig, bei mir selbst anzusetzen und zu schauen, was kann ich im Alltag konkret verändern. Das ist der Geist der 68er: Man versucht die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und etwas aktiv zu verändern.

Wie kommt dieser Geist bei deinen Schülern an, kennen sie dein Buch?
Sie kennen es nicht nur, sondern einige haben auch aktiv mitgearbeitet. Wir haben Zeitzeugen in den Unterricht eingeladen und die Schülerinnen und Schüler haben Interviews mit ihnen geführt. Diese Begegnungen waren auch für sie sehr inspirierend und es war schön zu sehen, wie sie sich von der Energie der 68er anstecken haben lassen. Einige waren am Ende der Meinung: Vielleicht wäre es wieder Zeit für ein neues 68. In diesem Jahr haben sie schließlich Plakate gegen den Klimawandel gestaltet und waren mit Begeisterung bei der Demonstration dabei. Ein bisschen ist die Saat also schon aufgegangen (lacht).

Die nächste Vorstellung des Buches „1968 – Südtirol in Bewegung“ findet am 29.03. in der öffentlichen Bibliothek von Naturns statt.

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