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Für Journalisten ist Stefan Perini ein willkommener Interviewpartner. Egal um welches Wirtschaftsthema es geht, Perini kann stets umfassend und unaufgeregt Auskunft geben. Er hat in Trient Volkswirtschaft studiert und ist seit 2012 Direktor des Arbeitsförderungsinstitutes (AFI), war zuvor zwölf Jahre beim Wirtschaftsforschungsinstitut der Handelskammer (WIFO) beschäftigt. Außerdem ist er Chefredakteur der Klausner Gemeindezeitschrift „Clausa", Vorstandsmitglied des Ökoinstituts Südtirol und der Wirtschaftsgenossenschaft Klausen. Perini, Jahrgang 1972, lebt in Klausen und sitzt für die Bürgerliste „Frischluft“ im dortigen Gemeinderat.
Wir treffen uns im Gasthof Figl am Bozner Kornplatz, wegen des trüben Wetters bestellt Perini einen Früchtetee. Der fertig ist, lange bevor das Gespräch endet.
Den typischen Südtiroler Arbeitnehmer gibt es nicht. Da gibt es hoch und niedrig qualifizierte, privat und öffentlich Beschäftigte, Führungskräfte und Hilfsarbeiter. Sowohl die mit einem Managergehalt von über 100.000 Euro im Jahr als auch die, die mit weniger als 1.000 Euro im Monat auskommen müssen und auf Landeshilfen angewiesen sind. Trotzdem sind wir über unser AFI-Barometer in der Lage, ein Gesamt-Stimmungsbild der Südtiroler Arbeitnehmerschaft zu zeichnen. Für die Wirtschaftsentwicklung in den nächsten zwölf Monaten sind Südtirols Arbeitnehmer noch leicht pessimistisch. Aber der Pessimismus ist nicht mehr so stark ausgeprägt wie noch vor einem halben Jahr. Obwohl in Südtirol die Arbeitslosigkeit noch etwas ansteigen dürfte, sehen 87 Prozent der Arbeitnehmer kein akutes Risiko, den eigenen Arbeitsplatz zu verlieren. Sie sind sich aber auch bewusst, dass die Suche nach einem gleichwertigen Arbeitsplatz derzeit sehr schwierig wäre.
Dem kann ich nicht ganz widersprechen – ich möchte es aber auch nicht pauschalisieren. Die Wohlstandsgesellschaft hat zum Teil dazu beigetragen, dass es um die Arbeitsmoral heute nicht immer zum Besten steht. Gleichzeitig sehe ich aber auch sehr flexible, leistungsbereite, zuvorkommende Jugendliche, die sich von einem Praktikum oder Projektvertrag zum anderen schlagen und keine langfristige Beschäftigungsperspektive bekommen. Im Idealfall sollte es ja so funktionieren: Der Arbeitnehmer ist für den Betrieb da, wenn der Betrieb ihn braucht. Der Betrieb ist für den Arbeitnehmer da, wenn die Notwendigkeit es verlangt. In vielen Fällen gibt es dieses Entgegenkommen, es gibt aber auch die 10 % an schwarzen Schafen, sowohl auf der Unternehmer- als auch auf der Arbeitnehmerseite. Die Sozialpartner müssten über einen „Fairness Act“ reden.
Eine zentrale Weichenstellung ist aus meiner Sicht, dass mehr Eigenverantwortung eingefordert wird. Unternehmen und Bürger erhalten Steuererleichterungen, dafür will das Land weniger fördern. Die öffentliche Verwaltung will sich auf ihre Kernkompetenzen zurückbesinnen. Damit erhält die Privatwirtschaft den geforderten größeren Spielraum, steht aber auch in der Pflicht, Arbeitsplätze zu schaffen. Den Gemeinden werden mehr Kompetenzen in Sachen Lokalsteuern eingeräumt. Diese müssen dann aber auch für unpopuläre Entscheidungen geradestehen und können nicht mehr alles auf das Land abschieben.
Ist Bürokratieabbau ernsthaft gewollt? Bürokratie ist Business. Daran hängen viele Arbeitsplätze und ganze Berufsbilder: Steuerberater, Rechtsanwälte, Unternehmensberater. Dazu kommen all die Organisationen, die rund um die Bürokratie ihre Dienstleistungen aufgebaut haben: Arbeitgeberverbände wie HGV, hds mit ihren Servicegesellschaften, nicht minder die Gewerkschaften. Nicht auszudenken was passieren würde, wenn die Einkommenserklärung dermaßen leicht gestaltet würde, dass jeder von uns in der Lage wäre, sie selbst auszufüllen.
Ich orientiere mich eigentlich nicht an einer bestimmten Wirtschaftstheorie. Was mir immer gefallen hat, ist das Konzept der Nachhaltigkeit. Für eine Wirtschaftsentwicklung einzustehen, die zukunftsfähig ist, weil sie ein hohes Maß an gesellschaftlicher und ökologischer Verantwortung voraussetzt. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der die Kluft zwischen Arm und Reich stark auseinander driftet. Vielleicht liegt es an meiner persönlichen Suche nach Harmonie, dass ich an die Harmonie von Wirtschaft, Sozialem und Umwelt glaube.
Gute Frage, kann man das bestehende System ändern oder muss man ein neues entwickeln? Aus meiner Sicht muss der Impuls von den Menschen kommen. Sie müssen erkennen, dass ein nur auf Materialismus abzielendes System nicht zukunftsfähig ist. Ich denke, dass wir immer mehr das Gute, Saubere und Gerechte suchen werden. Wahrscheinlich ist unser Wirtschaftssystem auch nicht ganz falsch und von innen erneuerbar. Es bräuchte nur kleine Änderungen.
Zum Beispiel ist der Transport zu billig. Es bräuchte eine Schwerverkehrsabgabe, mindestens auf europäischer Ebene, und fossile Brennstoffe, die generell stärker besteuert sind. Es kann nicht sein, dass beispielsweise ein Produkt von Südtirol nach Tschechien transportiert wird, nur um einen Produktionsschritt zu erledigen, um es dann wieder zurück zu importieren. Arbeitsteilige Wirtschaft ist ja gut, aber Transport ist derzeit zu billig, als dass wir ernsthaft auf lokale Kreislaufwirtschaften hinarbeiten könnten. Zum Beispiel müssen Vermögen stärker besteuert und Arbeitseinkommen entlastet werden. Spitzensteuersatz anheben, Vermögens- und Erbschaftssteuer einführen – da wäre ich auf jeden Fall dafür. Das Problem heute ist weniger die ungleiche Einkommensverteilung, sondern die ungleiche Vermögensverteilung – Studien belegen dies. Auf internationaler Ebene müssen wir die Finanzmärkte unter Kontrolle bekommen und eine Finanztransaktionssteuer einführen. Auf den Finanzmärkten fließt das Kapital nicht mehr nach rationalen Kriterien. Nicht umsonst sprich Hans Werner Sinn vom Ifo-Institut von Casino-Kapitalismus.
Das sind interessante Konzepte, ich weiß aber noch nicht genau, was ich davon halten soll. Da frage ich mich, ob sie theoretisch funktionieren, geschweige denn in der Praxis. Und, auch wenn ein Modell in einem Land funktioniert, lässt es sich nicht immer eins zu eins übertragen. Wie man es auch hält: Wer 40 Stunden in der Woche, 160 Stunden im Monat arbeitet, soll davon leben können. Dieses Prinzip trage ich mit. Ob über eine Mindestlohn-Regelung oder über Lohnzuschüsse von Seiten der Öffentlichen Hand, das lasse ich offen.
Jeder wird sich denken, was kann ich schon alleine ausrichten. Aber, viele kleine Schritte ergeben einen großen Fortschritt. Als Einzelperson muss man sich bewusst sein, dass auch hinter den kleinen Einkäufen des täglichen Lebens Menschen stehen, die dafür gearbeitet haben. Man sollte bewusster einkaufen und auch bereit sein, mehr zu bezahlen, um nicht schlechte Arbeitsbedingungen zu fördern. Man sollte auch ein Gespür und Mitgefühl für Menschen entwickeln, die nicht das Glück hatten, auf der Sonnenseite der Erde geboren zu werden. Verstehen, dass Menschen, die von auswärts kommen, auch auf der Suche nach ihrem Glück sind und ihnen eine Chance geben, dieses zu finden. Natürlich hat unsere Gesellschaft auch Regeln und Gesetze, an die man sich halten muss. Aber nur ein sehr kleiner Teil bricht diese Regeln. Wenn man sieht, wie groß bei den Zuwanderern die Bereitschaft zum Sprachenlernen ist, davon können wir uns, Deutsche wie Italiener, einiges abschauen.
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