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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 07.07.2014
LeuteAuf a Glas'l

Der Philosoph des Todes

Veröffentlicht
am 07.07.2014
„Ich war verblüfft, nicht tot zu sein”, sagt Tobias Hürter. Der Journalist über seinen Absturz auf einer Bergtour und das Gefühl der letzten Stunde.
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Tobias Hürter

Die Ausstrahlung von Tobias Hürter zeugt von einem außergewöhnlichen Menschen. Nicht nur seine kristallfarbenen Augen erzählen Geschichten, sondern auch er selbst. Der Journalist, der in München und Bruneck lebt, schreibt unter anderem für „Die Zeit”, „P.M.” und seit Kurzem auch die Piefke-Kolumne für BARFUSS. Außerdem ist er stellvertretender Chefredakteur des Philosophiemagazins „Hohe Luft” und verfasst Bücher. Das letzte im Jahre 2013. „Der Tod ist ein Philosoph” spricht vom einschneidendsten Erlebnis im Leben des Bergnarren: einem Absturz über 37 Meter und dem Gefühl der letzten Stunde. „Nichts wirkt belebender auf mich als der Gedanke an den Tod”, schreibt er darin. Der Bescheidwisser, wie er sich selbst auf twitter nennt, kennt das Gefühl zwischen Leben und Tod. Und genau darüber wollen wir sprechen. Tobias bestellt einen Espresso, und wir kommen ins Gespräch.

2011 bist du vom Berg gestürzt, was ist passiert?
Seit ich ein kleines Kind bin, gehe ich in die Berge. 2011 war ein super Jahr mit super Bergwetter. Als mich ein Freund gefragt hat, ob ich auf die westliche Marienbergspitze, westlich der Zugspitze, mitkomme, habe ich natürlich zugesagt. Es gibt keine Wege, keine Markierungen auf diesem selten bestiegenen Berg, man muss sich die Wege selbst suchen. Eigentlich war die Luft in dem Jahr schon raus, es war ja bereits Allerheiligen. Trotzdem sind wir am 1.11.11 losgezogen und haben den Weg gleich gut gefunden. Auf 2.500 Metern, an einer Stelle, an der ich übertreten wollte, ging es auf einer Seite bestimmt 1.000 Meter nach unten, auf der anderen Seite verlief der Grat hingegen wie ein Handlauf. Nach der obligatorischen Rüttelprobe bin ich losgegangen.
Ich war zwar nicht gesichert, aber diese supereinfache Stelle im Gehgelände wäre locker machbar gewesen. Diese Rüttelprobe verlief jedoch nicht nach Plan. Ein ganzes Stück im Durchmesser von circa einem Meter ist aus dem Grat rausgebrochen. Ich habe in diesem Moment zwar noch mit den Füßen gescharrt, aber dieses Stück wollte da runter und ich war im Weg. Also fiel ich. In dem Moment stand alles in einer solchen Mächtigkeit vor mir, ich konnte einfach nichts machen.
Mein einziger Gedanke in völliger Gewissheit war: Ich sterbe.

Und woran denkt man während so eines Sturzes?
Ich bin ein Mensch, der eher in Panik gerät, wenn etwas unwichtig ist. Wenn etwas wichtig ist, werde ich eher ruhig. Es war ein relativ nüchterner Moment für mich.
Die Gewissheit zu sterben hat mich wahnsinnig beeindruckt. Ich habe in dem Moment aber an meine Tochter gedacht und daran, dass es wichtig ist, dass ihr Vater für sie da ist.

Wie lange hingst du da oben fest?
500 Meter freier Fall lagen vor mir. Nachdem ich einige Male aufgeschlagen bin, bin ich auf einer etwas flacheren Stelle nach 37 Metern liegen geblieben. Mein Aufprall war durch Moos auch noch etwas gepolstert. Trotzdem lag ich schwerverletzt da und war verblüfft, dass ich nicht tot war. Nach einer dreiviertel Stunde hat mich der Rettungshubschrauber geholt. Am Hubschrauber zu hängen, man will es kaum glauben, war echt noch spooky für mich. Die Sanitäter haben mich dann ins Krankenhaus Murnau zum Zusammenflicken gebracht. Allein mein Oberarm war in acht Teile zerbrochen. Ich hätte ihn verlieren können. Stattdessen sitze ich jetzt hier und bewege meine Finger. Dahinter steckt ein ganzer Haufen Arbeit. Viele Stunden Physio- und Ergotherapie und natürlich gute Ärzte. Ich musste von Null auf lernen meine Hand zu bewegen. Das war das Frustrierendste, was ich in meinem Leben gemacht habe. Man sitzt jeden Tag da, starrt seine Hand an und die bewegt sich einfach nicht.

Wärst du denn bereit gewesen zu sterben?
Nein. Ich hatte das Gefühl, dass es zu früh sei. Ich hatte eine ganz klare Intuition, wie ich mich fühlen will, wenn ich glaube, dass es meine letzte Stunde ist. Ich hatte das Gefühl, dass ich hier noch was zu erledigen habe. Ich will in so einem Moment nicht sagen müssen: Ja mei, dann ist es halt jetzt vorbei. Sondern irgendwie will ich bereit sein zum Gehen.

Ist man denn jemals bereit zum Sterben?
Ja. Ich denke dieser Moment trifft dann ein, wenn man die Dinge so hinterlässt, dass man gehen kann. Das wünsche auch ich mir von Herzen, aber da muss man halt was dafür tun (lacht). Von Haus aus bin ich ja eigentlich ein In-den-Tag-Hineinleber, undiszipliniert und so.

Denkt so ein In-den-Tag-Hineinleber dann überhaupt über den Tod nach?
Wie ich zum Tod stehe, ist mir eigentlich erst im Sturz klar geworden. Ich hatte mir vorher nie wirklich drüber Gedanken gemacht. Man weiß natürlich, dass man sterblich ist, aber keiner glaubt es. Es ist wirklich ein seltsamer Umgang mit der Tatsache, dass man eines Tages nicht mehr da ist. Der letzte Atemzug kommt einmal, der letzte Herzschlag auch. Die Leute, die man mag, sieht man irgendwann das letzte Mal. Der Sturz hat mich zu dem Gedanken daran gezwungen.

In einem Interview hast du einmal gesagt, dass es nach dem Tod auf eine bestimmte Art und Weise weitergeht. Was meinst du damit?
Für mich ist das eine ganz schwierige philosophische Frage. Wir, in unserer westlichen Kultur, neigen dazu, den Menschen als ein Bewusstsein zu betrachten. Wenn das Bewusstsein weg ist, dann ist der Mensch weg. Damit der Mensch weiterleben kann, muss das Bewusstsein weiterbestehen. Darum denken wir uns so Sachen aus wie den Himmel, wo ein Bewusstsein weiter bestehen kann.
Auch viele gute Philosophen sagen, dass ein guter Philosoph ein toter ist. Denn durch den Tod wird die Seele befreit und kann zum Wesentlichen kommen. Mittlerweile glaub’ ich das nicht mehr. In dem Moment meiner Todesnähe war ich mir sicher, dass nach dem Tod das totale Nichts folgt. Ich habe keinen Tunnel gesehen, noch sonst etwas. Mein Bewusstsein hätte einfach aufgehört in dem Moment. Die Gedanken damals hätten meine letzten sein können.
Das bewusste Erleben ist also gar nicht so wichtig, weil es, meiner Meinung nach, nach dem Tod nicht weiterexistiert. Das ist nicht das, was einen Menschen ausmacht, sondern seine ureigenen Interessen, das, wofür er lebt, die Lebensaufgabe, die er sich selber stellt, der Sinn, den er seinem Leben gibt.
Das, wofür man gelebt hat, lebt nach dem Tod nämlich weiter, nicht ein Bewusstsein. Daher existiert man in einem ganz wesentlichen Sinn weiter nach dem Tod. Auch durch andere. Menschen, mit denen man Beziehungen hatte beispielsweise, denken Gedanken und fühlen Gefühle, die damit zu tun haben, dass sie eine enge Beziehung zu dir gehabt haben.
Das kommt aber nicht von alleine. Ein liebloser Egoist, der nur aufs Kohle Scheffeln aus ist und Menschen austrickst, der ist vielleicht nach seinem Tod nicht mehr so da.
Das Leben nach dem Tod hängt also auch vom Leben vor dem Tod ab.

Wagt man sich nach so einem Absturz eigentlich noch auf den Berg?
Ja natürlich. Ich brauche halt irgendwie immer irgendwas, wo ich mich auskotzen kann, aber das muss ja nicht lebensgefährlich sein. Darum habe ich meine Ziele mittlerweile etwas verändert.

Was heißt für dich nach so einem Erlebnis Glück?
Im Krankenhaus war ich total hilfebedürftig. Mit Verbänden, Tropf, Katheter und Beatmungsgerät lag ich im fensterlosen Intensivzimmer. Ich konnte nichts mehr und musste gefüttert werden. Für jemanden wie mich, einen leidenschaftlichen Berggänger und früheren Radsportler, also jemanden, der sich gerne und viel bewegt, sollte das eigentlich die Hölle sein. Aber irgendwie war ich erstmal einfach nur glücklich noch da zu sein. Ich bin nicht tot, dachte ich, ist doch super. In so einem Moment machen einen nicht die Psychopharmaka glücklich. In so einem Moment ist alles Glück. Gutes Krankenhausessen, Sonnenstrahlen im Krankenhauspark. Von da an habe ich angefangen, das Leben als Geschenk zu betrachten.

Kann man sich so ein Gefühl dann bewahren?
Grundsätzlich schon. Meine Haltung zu den Dingen hat sich verändert. Es hat mich einfach dazu gezwungen, neu drüber nachzudenken, was eigentlich wirklich wichtig ist im Leben und was man vielleicht nur wichtig nimmt.

Und was ist wirklich wichtig im Leben?
Meine Familie. Meine Kinder. Ich habe gelernt, Beziehungen, die wichtig sind, schätzen zu lernen. Die Liebe zum Leben niemals zu vergessen. Bereits das Christentum sagt, dass Liebe wichtiger ist als Geld, Macht oder irgendwelche Gesetze. Da ist wirklich was dran, glaube ich, das sollten wir uns bewahren.

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