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Angelika Aichner
Veröffentlicht
am 03.08.2016
LeuteObdachlos in Bozen

Der Himmel ist sein Dach

Veröffentlicht
am 03.08.2016
Emanuele Fabbri ist obdachlos. „Es geht bloß darum, zu überleben", sagt er über das Leben auf der Straße. BARFUSS hat ihn einen Tag lang in Bozen begleitet.
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Emanuele Fabbri*, 31 Jahre alt, eilt durch das Treppenhaus einer Parkgarage in Bozen, zwei Stufen auf einmal nehmend, nach oben. Hin und wieder dreht er sich hektisch um, will wissen, ob ihn niemand beobachtet. „Hier schlafe ich manchmal“, sagt er, oben angekommen, und deutet in eine Ecke: ein dreckiges Stück Pappe, eine dünne Decke. Daneben ein paar Flaschen Mineralwasser, eine Dose Bier, Taschentücher, ein Bild von Padre Pio. Und ein Holzstock: „Um mich nachts verteidigen zu können“, erklärt er. Seit vielen Monaten lebt Fabbri auf der Straße. Schläft er nicht in der Parkgarage, schläft er im Park, in alten Eisenbahnwaggons, in einem leer stehenden Rohbau oder er schleicht sich in den Keller eines Mehrfamilienhauses.

Fabbris Schlafplatz.

Exakte Daten, wie viele obdachlose Menschen in Südtirol leben, gibt es nicht. Im vergangen Jahr, so heißt es im Wirkungsbericht der Caritas, schliefen über 800 Personen in den insgesamt neun Obdachlosenunterkünften. Über 100.000 Nächtigungen wurden verzeichnet und 46.590 Mahlzeiten in Bozen und Brixen verteilt. „Es kann jeden treffen“, sagt Emanuele Fabbri und setzt sich auf den harten, kalten Fußboden. Seine Hände sind ständig in Bewegung, spielen mit dem silbernen Ring, den er trägt, kratzen über das Tattoo, das er sich am linken Unterarm stechen ließ: das mit einer Dornenkrone umkränzte Herz Jesu.

„Es reichte, wenn ich beim Händewaschen auf den Fußboden tropfte und mein Vater holte mit der Hand aus.“

Fabbri wuchs in der bayerischen Kleinstadt Günzburg, etwa dreißig Kilometer von Ulm entfernt, auf. Sein Vater, gebürtiger Apulier, misshandelte ihn. „Es reichte, wenn ich beim Händewaschen auf den Fußboden tropfte und er holte mit der Hand aus“, so Fabbri. Seine Mutter schwieg. Wie ein Wasserfall zählt er auf, was in den Jahren danach geschah. Die Eltern ließen sich scheiden, als er zwölf Jahre alt war. „Ein Jahr danach habe ich das erste Mal Haschisch geraucht“, sagt er. Später probierte er Pilze, LSD, Heroin, dealte selbst.

Emanuele Fabbri auf den Talferwiesen.

„Es gab auch schöne Momente“, sagt er und fingert eine Zigarette aus der Packung. Nach dem Hauptschulabschluss zog er in eine eigene Wohnung, arbeitete im Freizeitpark Legoland, später in einem Restaurant. Alles lief gut, bis Fabbri wegen eines Diebstahls 30 Tage ins Gefängnis musste. „Wir waren zu zweit in der Zelle. Darin standen ein Etagenbett und ein Klo, nichts weiter. Ich lief den ganzen Tag auf und ab und zählte meine Schritte. Eins, zwei, drei, vier. Vier große Schritte, so lang war die Zelle“, erzählt er und demonstriert es mit seinem langen, drahtigen Körper.

Als er entlassen wurde, war alles weg, die Arbeit, die Wohnung. Seitdem ist der Himmel sein Dach und er gefangen in einem Teufelskreis: „Wenn ich keine Wohnung habe, bekomme ich keine Arbeit. Und wenn ich keine Arbeit habe, bekomme ich keine Wohnung“, sagt Fabbri. Er reiste durch Deutschland, durch Italien, vor einigen Wochen nach Spanien auf der Suche nach einer Arbeit. Umsonst. Auch als er die Obdachlosenunterkunft in der Rittner Straße, in der er im vergangenen Jahr einen Monat lang lebte, als Wohnort angab, wurden seine Bewerbungen abgelehnt.

„Das ist kein Leben auf der Straße. Es geht bloß darum, zu überleben.“

Langsam steht Fabbri auf, eilt die Stufen nach unten und verlässt das Parkhaus. „Das ist kein Leben auf der Straße. Es geht bloß darum, zu überleben“, sagt er und zieht an einer Zigarette. Tagsüber streift er durch die Straßen der Stadt, versucht Orte zu finden, an denen er sich waschen kann, er versucht ein paar Postkarten zu verkaufen, mit Motiven, die er selbst fotografiert hat. „Aber so gut wie niemand will eine Karte haben, die meisten Leute ignorieren mich einfach“, so Fabbri. Und dann beklaut er Supermärkte, weil er Hunger hat. „Die großen Ketten können es verkraften, wenn hin und wieder etwas fehlt“, so Fabbri. Einfachen Menschen würde er nichts wegnehmen.

Bahngleis 7 – hierher kommt der Obdachlose oft.

Vor dem Bahngleis 7 in der Garibaldistraße, einer Anlaufstelle für Abhängige, bleibt er stehen. Hier kann er duschen und seine Wäsche waschen. Nach wie vor ist er abhängig, raucht Haschisch und Heroin. Anders komme er nicht damit zurecht, nichts zu haben und alleine zu sein. Mit seiner Mutter hält er losen Kontakt. Hin und wieder telefonieren sie. Aber auch das sei nicht so einfach, weil er kein Telefon besitze. „Das letzte Mal habe ich mit ihr vor drei Monaten gesprochen“, sagt er.

Ein paar junge Leute, Anfang zwanzig, laufen auf ihn zu, begrüßen ihn mit einem Handschlag. Sie reden über dies und das, lachen. „Sie sind auch obdachlos“, raunt Fabbri, als sie um die Ecke gebogen sind. Genauso wie ihm, sieht man ihnen das nicht an. Fabbri trägt saubere Jeans, ein buntes T-Shirt, Turnschuhe von Reebok, ist frischrasiert. Nur sein großer, zerschlissener Rucksack fällt auf, in dem er beinahe alles mit sich trägt, was er besitzt. Auf einer Holzbank packt er ihn aus: Kleidung ist darin, ein Kulturbeutel, eine Plastiktüte voller Essen, ein Gebetsbuch, sein Personalausweis, das Flugticket, mit dem er nach Spanien gereist ist. Sorgfältig packt er alles wieder ein. Auf die wenigen Dinge, die er besitzt, gibt er acht.

„Wenn man auf der Straße lebt, darf man niemandem vertrauen, weil jeder zuerst daran denkt, selbst über die Runden zu kommen.”

Während er durch die Gassen der Stadt streift, trifft er immer wieder ein paar Leute, die ihn kennen. Bekannte, keine Freunde. „Wenn man auf der Straße lebt, darf man niemandem vertrauen, weil jeder zuerst daran denkt, selbst über die Runden zu kommen“, sagt Fabbri. Das sei auch die erste Lektion gewesen, die er im Gefängnis gelernt habe, dass man niemandem vertrauen könne. „Als ich im Winter am Bahnhof in Branzoll schlief, hat mir jemand meine Schuhe geklaut“, erzählt er.

Die jungen Leute, denen er vor dem Bahngleis 7 begegnet ist, trifft er am frühen Abend wieder, diesmal am Bahnsteig 1. Sie munkeln, dass jemand in der Nähe Haschisch verkaufe. Fabbri rennt mit ihnen über die Gleise, sieht sich nach rechts und links um, ob kein Zug einfährt, ob kein Beamter in der Nähe ist, dann verschwinden sie im Gebüsch. Als er kurze Zeit später auftaucht, schüttelt er den Kopf, kein Haschisch. Vor dem Bahngleis 7 bleibt er noch einmal stehen, schiebt ein paar Münzen in den Schlitz des Automaten und zieht ein Päckchen Alufolie. Damit will er später Heroin rauchen. Wo Emanuele Fabbri heute Nacht schlafen wird, weiß er noch nicht.

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