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Sieben Buben und Mädchen sitzen gespannt in einem Halbkreis auf dem Boden des Kindergartens. Mit weit geöffneten Augen und gespitzten Ohren lauschen sie der Geschichte. In den Pausen ist es so still, dass man fast ihren Atem hören kann. Sie werden von der Geschichte in den Bann gezogen und warten ungeduldig auf das Ende – ein Bild, das man regelmäßig in Kindergärten beobachten kann. Doch an diesem hier ist etwas ungewöhnlich. Denn es sitzt keine Frau vor den Kindern, sondern Tobias Pircher. Der 27-Jährige ist Kindergärtner und damit eine wahre Rarität.
„Zurzeit arbeitet kein männlicher Pädagoge in Südtirols Kindergärten”, so Christa Messner, Inspektorin des Kindergarteninspektorates Südtirol. „In Europa ist der Anteil der männlichen Pädagogen insgesamt gering. Deutschland und Österreich erreichen keine fünf Prozent.“ Tobias Pircher macht das nichts. Ihm gefällt die Arbeit mit Kindern: „Man kann sich selbst viel einbringen und kreativ sein. Es ist total abwechslungsreich.“ Man sieht ihm seine Freude richtig an, wenn er über seinen Beruf als Kindergärtner spricht. Pircher ist sich sicher, er habe die richtige Arbeit gefunden – auch wenn er meist der Hahn im Korb ist.
„Ich gestalte den Alltag zusammen mit den Kindern und das ist einfach toll. Kinder wollen alles wissen und man kann ihnen viel beibringen. Gleichzeitig zeigen sie einem sofort, wenn sie etwas nicht so toll finden“, sagt Pircher in die Webcam. Der aus St. Martin in Passeier stammende Mann wohnt zurzeit in München. Hier arbeitet er im „Haus für Kinder“, einer Mischform aus Kindertagesstätte und Kindergarten. Geöffnet ist von sieben Uhr früh bis halb sechs Uhr abends. Im Team mit sechs anderen Pädagogen und Pädagoginnen betreut Pircher deshalb im Schichtdienst die 36 Kinder von zehn Monaten bis sechs Jahren.
Der junge Mann hat vor eineinhalb Jahren die Entscheidung getroffen, Südtirol vorerst den Rücken zu kehren. Der Grund dafür waren aber nicht etwa negative Reaktionen aufgrund seines Geschlechts. Solche habe es nie gegeben, betont er. Bei seiner Arbeit in Südtirol habe er nur positives Feedback erhalten, sei es von Kolleginnen oder von Eltern. „Alle fanden es gut, dass auch mal ein Mann als Kindergärtner arbeitet“, so Pircher. Der Grund, warum er sich entschloss, nach München zu gehen, waren hingegen die vielen freien Stellen. Die Auswahl war sogar so groß, dass Pircher eine Liste an Kindergärten bekam, in denen er arbeiten könnte. Jetzt hat er eine unbefristete Stelle bei der Stadt München. „Ein tolles Gefühl“, sagt er. Denn in Südtirol eine freie Stelle zu finden, war nicht einfach. Zuerst erhielt Pircher eine Teilzeitstelle für einen Monat, dann eine Vollzeitstelle für einen Monat. Zwei Wochen war er arbeitslos, bevor schließlich eine Springerstelle für ein Jahr folgte.
„Eine sehr anspruchsvolle und anstrengende Arbeit.“
„In Südtirol ist alles unsicher. Man weiß nie, wo man hinkommt, und jedes Jahr muss man aufs Neue zittern, ob es eine Vollzeit- oder Teilzeitstelle wird“, so Pircher. Dies ist nicht nur seine persönliche Einschätzung. Es geht vielen Kindergärtnerinnen aufgrund der wenigen Stellen im Land so. Ein weiterer Grund, warum viele eine Arbeit im Ausland annehmen, seien die besseren Arbeitsbedingungen. „Die Pädagoginnen hier in Südtirol arbeiten 35 Stunden mit den Kindern in der Woche. Das ist eine sehr anspruchsvolle und anstrengende Arbeit“, so Messner vom Kindergarteninspektorat Südtirol. Der Prozentsatz der angestellten Frauen ist laut Messner heute im Gegensatz zu früher sowohl in Kindergärten als auch in Grundschulen und Oberschulen höher als der der Männer. „Dabei wäre es äußerst wichtig, dass Buben auch männliche Bezugspersonen haben“, so die Inspektorin.
Eine Studie der Universität Innsbruck hat gezeigt, dass männliche Kindergartenpädagogen das Verhalten von Buben positiv beeinflussen. Zudem suchten die Buben der Studie zufolge immer öfter den Kontakt zu männlichen Kindergärtnern. Auch beim Spiel- und Sozialverhalten wurden bei Buben Unterschiede festgestellt. Waren auch Männer im Raum, wurden sie aktiver. Vor allem bei Buben, die ohne Vaterfigur aufwuchsen, wurden Verhaltensunterschiede festgestellt. Bei Mädchen blieb das Verhalten gleich. Trotz dieser Fakten entscheiden sich immer noch wenige Männer für die Arbeit als Kindergärtner. „Wir würden uns sehr wünschen, dass es mehr werden“, betont Messner.
Pircher hat schon immer gerne mit Kindern gearbeitet. Während der Oberschulzeit verdiente er sich sein Taschengeld mit Babysitten. Seine Mutter erkannte bereits damals sein Potential, erinnert er sich. Dennoch beschloss Pircher nach der Matura Theater-, Film- und Medienwissenschaften in Wien zu studieren. „Ich dachte: Kindergärtner? Wer wird denn schon Kindergärtner?“, sagt Pircher und lacht. Schon bald merkte er aber, dass ihm die Arbeit mit Kindern fehlte.
Als er sich für das Pädagogik-Studium in Brixen entschieden hat, war ihm bewusst, dass er einer der wenigen Männer sein würde. Und damit hatte er Recht. Die ersten zwei Jahre war das Studium für Kindergärtner und Grundschullehrer zusammengelegt, in dieser Zeit studierten sechs Männer zusammen mit Pircher. Dann teilte sich der Lehrgang und die letzten zwei Studienjahre war Pircher der einzige Mann.
Seine Freunde und Familie waren von Anfang an begeistert von seiner Entscheidung. „Blöde Kommentare kamen keine. Einige waren zwar überrascht, aber alle fanden es gut“, sagt Pircher heute. „Das einzige, was mich stört, ist, dass die Arbeit nicht so wertgeschätzt wird. Viele sehen es als minderwertige oder einfache Arbeit“, bedauert der Kindergärtner. Doch darüber sieht der 27-Jährige hinweg. Er ist glücklich mit seiner Entscheidung und auch wenn er Familie und Freunde vermisst, steht noch in den Sternen, wann er wieder nach Südtirol zurückkommen wird. „Momentan fühle ich mich hier super wohl und bleibe noch ein bisschen“, sagt er und grinst in die Webcam.
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