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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 23.09.2016
LeuteVom Topverdiener zum Ziegenbauer

Der Geissendavid

Veröffentlicht
am 23.09.2016
David Perathoner verdiente als Testpilot viel Geld. Dann stieg er aus. Heute melkt er täglich 72 Ziegen und verkauft Milch, Käse und Joghurt.
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Für seinen Traum eines Ziegenhofs hat David Perathoner seinen Motorsegler und einen Segelflieger verkauft.

Er könnte heute noch zwei Flugzeuge besitzen, zweimal im Jahr Urlaub machen und sonntags freihaben. Will er aber nicht. Vor zehn Jahren hat sich David Perathoner entschlossen, sein Leben als Topverdiener hinter sich zu lassen. Von einem Tag auf den anderen hat er seine Jobs im Großsporthandel und als Testpilot gekündigt, um sich ganz seiner neuen Leidenschaft zu widmen: den Ziegen.

Perathoner schiebt mit einem breiten, flachen Besen das Heu zu den Futterplätzen. Seinen 500 Quadratmeter großen Stall in Tanirz in Lajen, am Eingang ins Grödnertal, hat er eigens für die Ziegen bauen lassen. Tränken, Futterplätze, alles ist auf die Huftiere ausgerichtet. „David’s Goashof“ ist hell und vor allem sauber, dass hier Ziegen leben, riecht man nicht. Das ist auch gut so, denn Stallklima und Hygiene sind ausschlaggebend für den Geschmack der Milch.

Die Sonne lässt das steife, braun-schwarze Fell der bunten deutschen Edelziegen glänzen. 72 Milchziegen, zwei Böcke und 14 Jungtiere machen sich übers Futter her. Perathoner spricht mit ihnen, krault der ein oder anderen den Kopf. Normalerweise lässt er niemanden in seinen Stall hinein, da ist er penibel. Er hat zu viel Angst, dass Besucher Krankheiten einschleppen könnten. Sogar der Tierarzt muss draußen behandeln, wenn er denn mal gebraucht wird. Normalerweise behandelt der 45-Jährige seine Tiere nämlich selbst. Mit Homöopathie.

Es ist jetzt halb fünf. Noch eine Stunde bis zum abendlichen Melken und Perathoner ist bereits zwölfeinhalb Stunden auf den Beinen.

„Ich habe sicher den schönsten Melkstand von ganz Italien.“

Jeden Tag steht Perathoner um fünf Uhr früh auf. Sieben Tage in der Woche, 365 Tage im Jahr. Urlaub gibts keinen, aber der Landwirt hat im Gegensatz zu früher auch kein Verlangen mehr danach. Um sechs Uhr fängt er jeden Tag an zu melken. Abends ist er oft bis elf Uhr im Stall bei den Ziegen.

Der Melkstand ist Hightech pur. In 40 Minuten sind alle 74 Ziegen gemolken.

Das Melken ist mit Futter konditioniert, die Ziegen kennen die Prozedur und stürmen regelrecht zu den Maschinen. Im Hintergrund läuft klassische Musik. „Ich habe sicher den schönsten Melkstand von ganz Italien“, behauptet Perathoner selbstbewusst. Der Swing-Over-Melkstand ist eine komplexe Anlage. 24 Ziegen werden zur gleichen Zeit gemolken. 35 bis 40 Minuten zum Vormelken, Putzen, Ansetzen der Maschine, automatischem Abnehmen und Milchmessen. 160 Liter Milch geben seine Tiere.

Dadurch, dass er aus einer anderen Branche komme, denke er anders als andere Bauern, sagt Perathoner. „Die Arbeit, die ich 365 Tage im Jahr zweimal am Tag machen muss, tagein tagaus, muss schnell gehen und Spaß machen. Deswegen habe ich mir das sozusagen gegönnt.“ Der Bauer lacht. Für die High-Tech-Anlagen musste er allerdings sehr viel Geld investieren, denn nicht nur das Melksystem ist hochmodern, auch die Weiterverarbeitung der Ziegenmilch ist automatisiert.

Was will man mehr vom Leben?

Direkt nach dem Melken läuft die Milch über zwei Rohre an der Decke direkt in den Verarbeitungsraum nebenan. In dem Raum mit Hygieneschleuse stehen Verarbeitungsmaschinen für 200 Liter, 100 Liter und ein spezielles Dosiergerät. Anfangs hat Perathoner noch von Hand Joghurt und Käse hergestellt. Heute geht alles schnell. Computer einschalten und Programme abrufen: Programm eins für Frischmilch, Programm zwei für Joghurt, weitere Programme für Trinkjoghurt, Streichkäse, Frischkäse, Schnittkäse und Desserts. Die Produkte verkauft er an Naturkostläden und Bäckereien zwischen Bozen und Meran. Besonders stolz ist er auf den Ziegenfrischkäse, der sogar von Michelin-Sterne-Köchen verwendet wird. Vor allem die Nachfrage nach Frischmilch sei extrem groß. Sie ist bekömmlicher als Kuhmilch, da ihre Fette und Eiweiße anders zusammengesetzt sind.

Jeden Tag verarbeitet David Perathoner die Milch seiner Ziegen zu Joghurt, Käse oder Frischmilch.

Noch zwei Wochen hat Perathoner Unterstützung von seinem Helfer Jonas, der in den Sommermonaten auf dem Hof mithilft. Ohne wäre es kaum zu schaffen. 20 Hektar steile Wiesen müssen neben der alltäglichen Stallarbeit gemäht werden, teilweise von Hand. „Die Arbeit ist nie monoton, sondern sehr abwechslungsreich“, sagt Perathoner. Wenn bei anderen Bauern die Arbeit fertig ist, fängt sie beim Goashof oft erst richtig an. Produkte herstellen, Kunden beliefern, neue Produkte erfinden. Hat Perathoner ein paar Liter Milch übrig, macht er neue Versuche.

„Geld spielt eine viel geringere Rolle für mich als noch vor zehn Jahren.“

In Zukunft möchte er etwas Spezielles aus seiner Ziegenmilch herstellen: Blauschimmelkäse. Den hat er auf der Käsemesse in der Stadt Bra in Piemont entdeckt und ist begeistert davon. Dazu bräuchte er aber einen eigenen Raum und mehr Milch als seine 72 Ziegen hergeben. Er könnte Ziegen zukaufen, denn im Stall hätten laut EU-Richtlinien 150 Mutterziegen Platz. Das will er aber nicht. So haben seine Ziegen, die Tag und Nacht nach draußen können, mehr Platz und den brauchen die behornten Tiere. Dass er mit mehr Ziegen auch mehr verdienen könnte, ist Perathoner egal. „Geld spielt eine viel geringere Rolle für mich als noch vor zehn Jahren“, sagt er. „Ich habe genug zum Leben. Mehr brauche ich nicht.“ Der Tanirzer ist bescheidener geworden. Würde er aufstocken, würde er wieder in den Zyklus kommen, in dem er vor zehn Jahren war. Tag und Nacht Arbeit, Stress, „immer nur am Rudern.“ Ohne Freizeit. „Ich hab mein Hobby zum Beruf gemacht. Und wenn man so viel Glück hat, was will man noch mehr vom Leben? Ich habe alles was ich brauche“, sagt er zufrieden.

„Für mich war es eine Lebensentscheidung und ich würde nie zurückgehen.“

Vor zehn Jahren hat David Perathoner sein altes Leben aufgegeben, seinen Segelflieger und Motorsegler verkauft und seine Jobs als Testpilot und Mitarbeiter in einem Sportgroßhandel gekündigt. Als er sein ganzes Geld in einen neuen Hightech-Hof investierte, nannten ihn seine Kollegen einen Spinner, die Bauern im Ort lachten ihn aus. Heute fragen sie ihn manchmal sogar um Rat.

13 Jahre lang hatte Perathoner in einer Tischlerei gearbeitet, dann stieg er in den Sportsektor um, arbeitete in einen Sportgroßhandel und parallel in der Schweiz als Testpilot, wo er Prototypen von Gleitschirmen testete. Oft dauerte es bis zu fünf Monate, bis ein Modell reif für die Zulassung war. Er verdiente sehr gut. Stress und Unzufriedenheit waren der Preis, den er dafür zahlte. Er wollte weg vom Büro, hinein in die Natur, seiner Leidenschaft nachgehen und Landwirt werden. Von einem Tag auf den anderen hat er gekündigt.

Insgesamt 86 Ziegen leben auf David’s Goashof.

Anfangs informierte sich Perathoner über Hühnerhaltung, dann entdeckte er die Ziegen und war vom ersten Tag an fasziniert von den empfindsamen, klugen und leistungsfähigen Nutztieren. Er pachtete einen alten Hof im Ort und hielt Fleischziegen, besuchte Kurse und Schulen in Holland, Deutschland und Frankreich und spezialisierte sich immer mehr. Dann beschloss er auf Milchwirtschaft umzusteigen und eine ökologische Ziegenfarm zu verwirklichen. „Ich habe mir Betriebe in ganz Europa angesehen“, sagt der Quereinsteiger. 2011 baute er den neuen Ziegenstall, etwas oberhalb vom Ortskern, auf 1.200 Metern. Den ließ er sich einiges kosten. Im Frühsommer 2011 kaufte er von einem Biobetrieb im Allgäu 75 behornte Jungziegen und zog sie selbst groß. Schon im Februar darauf kam mit den ersten Kitzen auch die langersehnte Milch. Zwei Monate später lieferte er bereits die ersten Milchflaschen aus.

Heute plant Perathoner einen kleinen Hofladen und er möchte einen Acker anlegen mit Hafer für die Ziegen. „Ich wollte genau hierhin, wo ich heute bin, und habe es geschafft“, sagt er sichtlich zufrieden. „Für mich war es eine Lebensentscheidung und ich würde nie zurückgehen.“

Less please“, so nennt sich das Projekt zweier Studentinnen. Darf es ein bisschen weniger sein? Was bedeutet Suffizienz? Und wie geht das? Diese Fragen stellten sich Lena Rieger und Clara Hüsch. Antworten fanden sie bei Menschen wie David Perathoner oder Magdalena und Friedl Pobitzer. Sie alle leben mit weniger – und sind glücklich damit. BARFUSS besucht einige von ihnen und gibt Einblicke, was diese Menschen anders machen.

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