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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 16.07.2025
LeuteInterview mit Bäuerin und Psychotherapeutin

„Den Traktor zahlt die Kuh nicht“

Veröffentlicht
am 16.07.2025
Samantha Berger aus Antholz ist Bäuerin, Psychologin und Psychotherapeutin – und vereint all das an einem Ort: ihrem Hof im Pustertal. Im Interview spricht sie über den Balanceakt zwischen Landwirtschaft, Praxis und Urlaubsgästen, über den Druck in der Landwirtschaft – und warum es dringend Entlastung für Bäuerinnen und Bauern braucht.
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Samantha Berger aus Antholz ist zurzeit mitten in der Heu- und Gruemetarbeit. Noch vor Sonnenaufgang und häufig bis zur Dunkelheit steht sie mit ihrem Mann Georg auf ihren Wiesen. Feiertage gibt es im Bauernkalender nicht. Vor zehn Jahren hat sie „zugeheiratet“, vorher hatte sie mit der Landwirtschaft nicht viel am Hut. Dass sie mal selbst Bäuerin wird, daran war früher nicht zu denken, denn für die heute 34-Jährige war schon nach der Oberschule klar: Sie möchte mit Menschen arbeiten.

Nach dem Psychologiestudium in Innsbruck machte Samantha die Psychotherapieausbildung in Brixen, arbeitete parallel an der Fachambulanz mit Kindern und Jugendlichen in Bruneck. Zu Hause half sie bereits damals auf den Feldern mit, kümmerte sich um den Garten, die Gästebetreuung und die Bürokratie.

2023 wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit. Im ehemaligen Buschenschank befindet sich heute ihre Praxis. Zielgruppe sind neben Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch Bäuerinnen und Bauern, denn Samantha, die Frau, die immer bis über beide Ohren strahlt und im Grunde durchweg positiv ist, kennt die Herausforderungen in der Landwirtschaft – fernab von Bauernhofromantik.

BARFUSS: Warum möchtest du dich unter anderem auf Bäuerinnen und Bauern spezialisieren?
Samantha Berger: Das Thema beschäftigt mich schon lange. Es ist mir ein Herzensanliegen, ein psychologisches und psychotherapeutisches Angebot für diese Zielgruppe anzubieten. Bäuerinnen und Bauern, die auf kleinen Bergbauernhöfen leben, aber natürlich nicht nur diese, sind vielen Belastungen ausgesetzt.

An welche Belastungen denkst du?  
Sie haben ein hohes Arbeitspensum – oft an 365 Tagen im Jahr. Fehlt der Rückhalt in der Familie oder ist jemand allein, darf er sich nicht einmal leisten, krank zu werden. Und da man auf einem Bergbauernhof nun mal nicht von der Landwirtschaft allein leben kann, sind sie häufig gezwungen, zusätzlich Geld zu verdienen, um dieses dann wieder in den Hof zu investieren. Das erhöht die Arbeitsstunden wiederum.
Oft gibt es dann noch eine hohe Verschuldung, wirtschaftliche Belastungen oder familiäre Herausforderungen. Manchmal sind die Dynamiken auf einem Hof schwierig. Es sind oft unausgesprochene Botschaften da, Generationskonflikte, andere Meinungen. Ein besonders schwieriges Thema ist die Hofübernahme.
Und dann gibt es auch in der Landwirtschaft die zunehmende Bürokratie und die Digitalisierung wie in vielen anderen Bereichen auch. In den Urlaub zu fahren oder für sich eine Auszeit zu nehmen, ist Luxus und häufig noch ein Tabu-Thema.

„All diese Faktoren führen dazu, dass sie im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine erhöhte Suizidrate haben.“

Was macht diese Mehrfachbelastung auf psychischer Ebene mit den Betroffenen?
All diese Faktoren führen dazu, dass sie im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine erhöhte Suizidrate haben. Landwirte reden oft nicht gerne über ihre Probleme. Wie für viele andere ist es auch für sie oftmals schwierig, Hilfe zu suchen oder sich in eine Psychotherapie zu begeben. Daher möchte ich mit dem Angebot der Psychotherapie für Bäuerinnen und Bauern auf unserem Hof meinen Beitrag leisten und die Betroffenen ermutigen, bei Krisen oder wenn sie an ihre Grenzen stoßen, Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Lebensberatung des Südtiroler Bauernbundes bietet bereits Hilfe für Bäuerinnen und Bauern in Krisensituationen an. Dabei fahren ehrenamtliche Lebensberaterinnen zu den Bauern nach Hause und sprechen über Ängste und Sorgen.Ist das zu wenig?
Das ist alles super und für viele Familien sicherlich hilfreich. Aber nehmen wir mal an, dass die Bäuerin oder der Bauer beispielsweise an einer Depression leidet, dann können sie von einer Psychotherapie profitieren.
Wenn es tiefergehende Schwierigkeiten gibt, kann die Lebensberatung in diesem Fall keine Therapie anbieten, denn die Berater:innen sind keine Psychotherapeut:innen. Dann werden die Betroffenen beispielsweise an den öffentlichen Dienst verwiesen. Ich möchte mit meinem Angebot die Möglichkeit schaffen, dass betroffene Bäuerinnen und Bauern für eine Therapie nicht in ein Krankenhaus müssen, sondern dass sie für die Gespräche auf einen Bauernhof fahren können und mit mir auf eine Therapeutin treffen, die selbst den bäuerlichen Alltag kennt.

Du bist nicht nur Psychotherapeutin, sondern arbeitest auch auf dem Hof und betreust die Feriengäste – wie bekommst du alles unter einen Hut?
Ich mache einfach eines nach dem anderen (lacht). Die ganzen Hüte, die ich mir aufgesetzt habe zwischen Bäuerin-Sein, Selbstständigkeit und Gästebetreuung, sind oft schon eine Belastung. Es ist eine schöne erfüllende Arbeit, aber es ist auch herausfordernd.
Viele denken, wenn man nur zu Hause ist, hat man eh immer Zeit. Das Bild von der Landwirtschaft ist in der Gesellschaft schön und romantisch, zwischen Natur und frischer Luft. Natürlich ist es wunderschön, und die Arbeit gibt einem auch Genugtuung. Ich bin froh, glücklich und dankbar, Bäuerin zu sein. Aber es verlangt einem auch viel ab. Mit unseren Ferienwohnungen sind wir Mitglied beim Roten Hahn. Und auch da steigen die Anforderungen.

Inwiefern?
Für die Einstufungen der Ferienwohnungen werden Punkte vergeben. Große Gewichtung haben dabei auch die Dienstleistungen und das Programm, das die bäuerliche Familie für ihre Gäste anbietet, und ich frage mich: Welcher „normale“ Landwirt hat dafür Zeit? Das sind teilweise realitätsferne Vorstellungen, die nicht so leicht umzusetzen sind und die als Zusatzbelastung neben der Arbeit in der Landwirtschaft und vielleicht noch neben einer anderen externen Arbeit obendrauf kommen. Und so geht es nicht nur mir, sondern sicherlich vielen Bäuerinnen und Bauern in Südtirol.
Vor allem Hofbesitzer mit kleineren Flächen sind gezwungen, einer anderen Arbeit nachzugehen, weil sie von der Landwirtschaft allein nun mal nicht leben können. Entweder einer oder zwei gehen also arbeiten oder es gibt Wohnungen auf dem Hof … Der „Zu- und Nebenerwerb“, wie er so schön genannt wird, bezieht sich aber darauf, dass man woanders sein Geld verdient, um es in Haus und Hof zu stecken und nicht umgekehrt. Ich sage immer, den Traktor zahlt die Kuh auf einem Bergbauernhof nicht.

„Wird nur vorgesehen, dass eine Bäuerin irgendwo angestellt oder „nur“ auf dem Hof ist? Da könnte ich durch die Decke gehen.“

Für landwirtschaftliche Maschinen und Geräte gibt es für Bauern immerhin Förderungen vom Land.
Ja, in diesem Punkt hat sich in Südtirol vieles getan und das ist auch gut so, denn ohne müssten viel mehr Bäuerinnen und Bauern ihre Landwirtschaft aufgeben.
Doch die Bestimmungen, die zum Beispiel die Renteneinzahlungen betreffen, sind noch ein kritischer Punkt: Es ist nicht vorgesehen, dass sich eine Bäuerin mit einer anderen Tätigkeit noch selbstständig macht. In dem Moment, wo eine Partita Iva eröffnet wird, fällt man von der Bauernkrankenkasse raus. Mir ist das passiert. Ich muss also selbst mehr einzahlen und dabei arbeite ich ja 100 Prozent. Ungefähr 50 % auf dem Bauernhof und 50% als Psychologin. Die Arbeit, die ich als Bäuerin leiste, wird also nicht bei den Rentenbeiträgen anerkannt. Das ist meiner Meinung nach ein politisches Dilemma.
Wird nur vorgesehen, dass eine Bäuerin irgendwo angestellt oder „nur“ zu Hause auf dem Hof ist? Da könnte ich durch die Decke gehen. Zudem sollten auch Landwirte die Möglichkeit haben, sich mal eine Auszeit zu nehmen, ein paar Tage freizumachen und in den Urlaub zu fahren. Aus diesem Grund bräuchte Südtirol ein Angebot, um Bäuerinnen und Bauern zu entlasten.

Wie könnte dieses Angebot aussehen?
Vielleicht könnte in ganz Südtirol ein Netzwerk von Psycholog:innen aufgebaut werden, die sich auf die Zielgruppe der Bäuerinnen und Bauern spezialisieren. Ich könnte mir vorstellen, dass die öffentliche Hand einen Teil der Kosten für private Psychotherapie übernehmen könnte.
Aber in erster Linie fände ich es schon mal hilfreich, dass es beispielsweise eine Liste von Springer:innen gäbe, die die Stallarbeit erledigen könnten, wenn die Bäuerin oder der Bauer mal ausfällt: egal ob er krank ist oder in den Urlaub fahren möchte. Es wäre wünschenswert, wenn sich in der Gesellschaft, aber auch unter den Bäuerinnen und Bauern, das Bewusstsein ändert, dass auch sie sich eine Auszeit nehmen dürfen und es wichtig ist, dass sie auf ihr eigenes Wohlbefinden achten.

Was könnte der Rote Hahn tun, um die Belastung für seine Mitglieder nicht noch weiter zu steigern?
Ich würde mir wünschen, dass die „Dienstleistungskriterien“ weniger stark bei der Einstufung fokussiert werden. Wenn es Ferienwohnungen auf dem Bauernhof gibt, finde ich es daher auch wichtig, dass die bäuerliche Familie Privatsphäre und Abgrenzung von den Gästen hat. Das kann ein getrennter Eingang sein oder zwei getrennte Außenbereiche.
Bäuerinnen und Bauern bauen keine Wohnungen, um die Gäste zu „bespaßen“, sondern um ihnen auf ihrem Fleckchen Erde ein Zuhause auf Zeit zu bieten und damit sie ihre Investitionen leichter bezahlen können.

Solltest du in einer Krise stecken, kannst du das Psychologische Krisentelefon von Südtirol unter der Grünen Nummer 800101800 rund um die Uhr erreichen.

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