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Veröffentlicht
am 17.08.2016
LeuteStraßenzeitung zebra.

Das Glück ist eine Gans

Veröffentlicht
am 17.08.2016
Zwischen Gänsestall und Barockschloss: Gobert Maria Vincent Johannes von Sternbach ist Landwirt und Baron. Die Straßenzeitung zebra. hat ihn porträtiert.
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Zwischen Gänsestall und Barockschloss: Gobert Sternbach mit einem seiner Schützlinge.

Hunderte junger Gänse wuseln schnatternd über ein Stück eingezäuntes Feld. Grollend kündigt sich ein Gewitter an. Gobert Sternbach versucht mit einem roten Besen die flinken Tiere zur Rückkehr in den Stall zu bewegen. An dem hochgewachsenen Landwirt mit den blonden Locken scheint nichts außergewöhnlich. Nur sein vollständiger Name lässt auf anderes schließen: Baron Gobert Maria Vincent Johannes von Sternbach.

„In diesem Alter sind sie noch ziemlich empfindlich, deshalb dürfen sie weder nass werden noch frieren”, sagt er und zupft ein paar Strohhalme aus dem zerzausten Gefieder der vier Wochen alten Gans, die er eben eingefangen hat. Das Wetter im heurigen Frühsommer war nicht optimal, die Gänse halten sich heute zum ersten Mal im Freien auf der Wiese eines befreundeten Biogemüsebauers auf.

Gobert Sternbach ist 30 Jahre alt und von Beruf Landwirt. Das prächtige Barockschloss, das weit hinter dem Gänsestall über dem Dorf Mareit thront, ist sein Zuhause. Sichtlich ungern und nicht ohne schelmisches Grinsen zählt er seine vielen Vornamen auf: „Normalerweise ist das das letzte, was man von mir erfährt.” Dafür muss man schon bis nach Mareit kommen und mit ihm durch die Allee aus Kastanienbäumen bis zum Schlosstor gehen, bevor er beginnt, seine Familiengeschichte zu erklären. Bei dem einen oder anderen hat das Jahre gedauert, entsprechend verblüfft waren manchmal seine Freunde.

Einer, der aus der Reihe tanzt

„Ich tanze nicht auf vielen Festen“, meint er trocken. Wenn schon, dann tanze er vielmehr aus der Reihe, insbesondere was seine Berufswahl angeht. Menschen aus adeligen Kreisen arbeiten häufig in den Bereichen Wirtschaft, Finanzen und Recht. Für ihn war relativ früh klar: „Ich werde mich nicht in einem Büro einsperren.”

Stattdessen arbeitete er nach dem Abitur fast zehn Jahre lang als Skilehrer in Salzburg und studierte nebenbei abwechselnd in Graz und Innsbruck: Architektur, BWL, Risikomanagement. Er wohnte in gewöhnlichen Studenten-WGs und eine Zeitlang bei seiner pflegebedürftigen Großmutter. Einen Abschluss hat er nicht gemacht. Ein spitzbübisches Lächeln huscht über sein Gesicht: Auf die regelmäßig wiederkehrende Frage nach einem baldigen Studienabschluss hat er mit seiner Berufswahl öfters für verdutzte Gesichter bei Verwandten und Bekannten gesorgt. „Ich habe keinen sonderlich großen Respekt vor akademischen Titeln“, sagt er. Ein Handwerk sei für ihn mehr wert, in einem anderen Leben wäre er Tischler geworden.

Gobert Sternbach streicht mit seinen schlanken Fingern über eine Narbe an seiner linken Hand. Er definiert sich als Landwirt, auch wenn er sich noch ganz am Anfang wähnt. Es gibt noch viel zu tun. Er spricht von Chancen und Risiken, von bevorstehenden bürokratischen Herausforderungen und ist sich sicher: „Wer einen Hof oder Betrieb von der Familie erbt und weiterführen will, kennt dieses Gefühl.” Es gehe um Verantwortung, Eigenverdienst, Respekt vor Altem aber auch Mut zu Neuem. Da helfen weder Rezepte noch Konzepte, nur Flexibilität und Optimismus. Er verschwindet kurz in „seiner Umkleidekabine”, einer Holzhütte, um Arbeitskleidung gegen Jeans und Hemd zu tauschen.

Eine Familie mit Geschichte

Ein schmaler Schotterweg führt rechts von der Straße Richtung Ridnauntal vorbei an einem Teich und an uralten Kastanienbäumen zum Haupttor von Schloss Wolfsthurn. Das eindrucksvolle Bauwerk aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts beherbergt heute das Landesmuseum für Jagd und Fischerei und ist in dieser Form das einzige original erhaltene Barockschloss Tirols. Der Einzige ist auch Gobert Sternbach selbst – und zwar am sogenannten Mareiter Ast des Stammbaums seiner Familie. Nur eine Kusine trägt denselben Nachnamen, Geschwister hat er keine. Das beunruhigt ihn nicht weiter. Eher sieht er darin eine Art „Vorteil des Ersten und des Letzten.“

365 Fenster, 52 Türen und 12 Kamine hat das Schloss Wolfsthurn in Mareit.

In der Mitte des Hofes steht ein Springbrunnen aus weißem Marmor, über drei Stockwerke reihen sich die Fenster zu den barocken Prunkräumen gleichmäßig aneinander, links befindet sich die Schlosskapelle. Im eigentlichen Schloss wohnt nur noch der Kustos. „Das ist ein besseres Wort für Hausmeister”, sagt er schmunzelnd und zieht das schwere Tor aus Holz hinter sich zu. Gobert Sternbach bewohnt einige Räume im ehemaligen Bediensteten-Haus, welches, durch den symmetrisch angelegten Hof getrennt, dem eigentlichen Schloss gegenübersteht. Aufgewachsen und zur Schule gegangen ist er in Innsbruck, die Wochenenden und Ferien verbrachte er mit seinen Eltern meistens hier in Mareit. Als Kind hat er im Hof Fußball gespielt. Heute wundert er sich, dass dabei weder Fenster noch rosa verputzte Wände beschädigt wurden. Er war kein einfaches Kind.

Tatsächlich sagt man den Sternbachs ein rebellisches Naturell nach: Eine seiner Vorfahrinnen, Therese von Sternbach, hat einst rauchend und im Herrensattel im Tiroler Freiheitskampf gekämpft. Sie war leidenschaftliche Jägerin und Billardspielerin und wurde im Zuge der Kämpfe sogar verhaftet. „Die Gute hatte bestimmt mit Vorurteilen zu kämpfen”, meint er und lacht. Während er Tabak auf Papier verteilt und sich eine Zigarette rollt, erzählt er von einem weiteren Vorfahren, der die Gebeine Andreas Hofers in Mantua gestohlen haben soll und dafür fast entadelt worden wäre. Für die Geschichte seiner Familie interessiert er sich sehr, vieles sieht er allerdings auch kritisch: „Ich frage mich oft, wie jemand überhaupt dazu kommt, so ein Schloss zu bauen.“ Er denkt dabei an die Menschen, die zum Wohlstand seiner Vorfahren beigetragen haben, an ihr Leben, ihre Arbeitsbedingungen. Die Sternbachs wurden im 16. Jahrhundert aufgrund ihrer verwaltenden Tätigkeiten im Bergbau in den Adelsstand erhoben.

Landwirt aus Leidenschaft

Lieber spricht er über die Zukunft, die kann und will er selbst gestalten. Pläne und Ideen hat er viele. Er redet bedächtig, erklärt ausführlich, denkt nach, bevor er spricht. Gerne würde er über verpachtete landwirtschaftliche Flächen künftig wieder selber bestimmen und neuartige Ideen in die Tat umsetzen. Seine Hoffnung: eine neue Landwirtschaft, breit aufgestellt, nachhaltig, vielfältig, rücksichtsvoll, vereinbar mit Menschen und Natur. Er möchte mit den Bauern im Tal zusammenarbeiten, Unbekanntes ausprobieren, Vergessenes wiederentdecken. Den Kurs für Junglandwirte an der Landwirtschaftsschule in Salern hat er abgeschlossen. Seine Gänse machen jetzt den Anfang. Die sind im Wipptal ein neuer, ungewohnter Anblick. Die Mareiter haben sich mit ihnen jedenfalls schon angefreundet, manche machen Fotos, wenn sie vorbeikommen.

Dann muss Gobert Sternbach sich beeilen. Am Brenner wird er noch einen Freund aus Südafrika abholen. Der ist auch Landwirt. Gemeinsam mit seinem Nachbarn, dem Biogemüsebauer aus Mareit, will er sich am Abend das EM-Fußballspiel ansehen. Dessen südkoreanischer WWOOFer, so nennt man Freiwillige aus der ganzen Welt, die auf Bauernhöfen arbeiten, wird sich später auch anschließen. Der Wind aus dem nahen Ridnauntal hat die dunklen Wolken wieder vertrieben und ein kurzer Freigang für die jungen Gänse geht sich auch noch aus, bevor es Nacht wird.

Von Lisa Frei

Der Text erschien erstmals in der 19. Ausgabe von „zebra.”, Juli 2016.

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