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Über 70 Staaten und Gebiete weltweit – mit einer Fläche von 33,67 Millionen km2, also einem Viertel der gesamten Erdoberfläche – wurden unter der englischen Flagge kolonialisiert. Mehr als 458 Millionen Menschen wurden 1922, zur Zeit der größten Ausdehnung des anglophonen Weltreiches, unter der britischen Krone versklavt, manipuliert und strategisch ausgebeutet.
In Südafrika kreierte Großbritannien das segregationistische Fundament für das inhumane Apartheidsystem – im selben Jahr, in dem die Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichneten. Die Inkarnation des Imperialismus hat es geschafft, ganze Volkgruppen unter seiner Herrschaft auszulöschen und neue kapitalistische Gesellschaften zu gründen, die im Sinne des Empire agieren sollten und sich in der neuen Weltsprache „Englisch“ unterhalten.
Und nun, da die so hart erarbeitete Globalisierung zurückschlägt und Menschen weltweit bei ihren ehemaligen europäischen, sich damals selbsternannten „Schutzmächten“ Zuflucht suchen, schließt die Insel ihre Pforten. Sie würden zwar die wirtschaftlichen Beziehungen mit der europäischen Union weiterführen, so Brexit Befürworter*innen, aber den freien Personenverkehr und die Abgaben an die EU abschaffen. Sprich: Die historisch erste Industrienation möchte ökonomisch weiterhin von der Union profitieren, sich aber sowohl der europäischen Solidarität, vor allem aber seiner historischen Verantwortung entziehen.
Alles in allem ist Großbritannien also alles andere als ein europäisches Vorzeigemodell.
Es ist nicht etwa so, dass uns Camerons Teekränzchen-Nation mit ihrem radikalen Egoismus wirklich überrascht, war doch die jüngere (und aber auch ältere) Geschichte Englands stets von hysterischer Kapitalanhäufung, kapitalistischer Ausdehnungspolitik und unmenschlichen Unterjochungsstrategien geprägt. Die britische „Solidarität“ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg unter der Maske der von ihm eingeführten Entwicklungshilfe zum Manipulationsinstrument, um den Einfluss in seinen Kolonien zu verfestigen. Und in den Jahrzehnten des sogenannten Kalten Krieges bevorzugte das Imperium an der Seite der USA die Zusammenarbeit mit faschistischen Diktatoren anstelle von oft frei gewählten Regierungen.
Alles in allem ist Großbritannien also alles andere als ein europäisches Vorzeigemodell. Wir sollten eigentlich froh sein, dass sie aus der Union austreten wollen. Doch es ist nicht abstreitbar, dass dem Projekt „Vereintes Europa“, das schon in den vergangenen Monaten ins Wanken geriet, ein weiterer Stoß ins Ungleichgewicht versetzt wurde. Den Gnadenstoß lassen wir uns allerdings so leicht nicht verpassen.
Nur ein geeintes Europa ist auch ein friedliches und freies Europa. Radikale Nationalismen und Protektionismus haben im Laufe der Geschichte lediglich zu Konflikten und Machtgier geführt. In diesen Zeiten des politischen Unfriedens in Europa ist es deshalb umso wichtiger, sich solidarisch und gemeinschaftlich zu zeigen. Vielleicht verhilft uns der feige und egoistische Schachzug Großbritanniens dazu, die Werte, die sich die Europäische Union auf die Fahnen schreibt, wiederaufleben zu lassen und zu zeigen, dass wir mehr sind als die künstlichen Grenzen, die uns umgeben. Wir sollten beweisen, dass wir uns nicht durch einen Staat oder eine Provinz allein definieren, sondern durch unsere Träume, Wünsche und Überzeugungen – und durch Werte der Menschlichkeit und der Solidarität, die wir teilen.
Kommentar von Mara Stirner
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