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Veröffentlicht
am 12.02.2018
LeuteStraßenzeitung zebra.

Brücken unter Brücken bauen

Veröffentlicht
am 12.02.2018
Lissi Mair hilft, wo sie nur kann. Mit den Obdachlosen im Park hat sie Freundschaft geschlossen, und aus ihrem Wunsch, den Menschen zu begegnen, ist längst mehr geworden.
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Lissi Mair ist meistens mit ihrem Hund Arthur unterwegs. Wer die Journalistin kennt, weiß, dass sie und Arthur fast nur im Doppelpack anzutreffen sind. Seltener sieht man sie alleine in einem Café, so wie an diesem Winterabend in Bozen. Sie ist eine gesellige Frau und beim Erzählen bringt sie es auf den Punkt: Dann sprudeln die Worte förmlich aus ihr heraus. Ihre Hände und ihr ganzer Körper erzählen mit. Immer wieder greift sie zum Smartphone und zeigt unterstützendes Material, das zum Gesagten passt. Danach legt sie es weg und nimmt den Faden sofort wieder auf. Die zierliche Frau spricht mit einer festen Stimme und man merkt sofort: Lissi weiß wovon sie redet. Und auch wenn sie sehr gefühlvoll spricht, sie ist in erster Linie eine Macherin: Hinschauen, das reicht ihr nicht. Lissi will etwas tun.

Es begann mit Natascha Mikulova. Jener Natascha, die am 17. Juli 2017 verstarb. Als Lissi Natascha kennenlernte, war es Heiliger Abend 2012. Lissi, die Natascha immer wieder mal gesehen hatte, aber sich nicht sicher war, ob sie obdachlos war oder nicht, ging von der Arbeit nach Hause und freute sich schon auf das Fest. Auf der Talferbrücke sah sie Natascha alleine auf den Steinen vor der Brücke sitzen, und da beschloss sie, sich zu ihr zu setzen. Von einer Freundin hatte sie Kekse bekommen, die sie Natascha schenkte. Was sie denn sonst noch brauche, erkundigte sich Lissi. Natascha bat um Tee. Außerdem war ihr so schrecklich kalt. Daraufhin ging Lissi nach Hause und kehrte mit Tee, Kerzen, Panettone und ihrer Familie zurück, um mit Natascha ein wenig Weihnachten zu feiern.

„Natürlich ist zuerst mal eine gewisse Scheu oder auch Schwellenangst dagewesen.“

„Weihnachten kann doch nicht nur ein Tag im Jahr sein“, dachte sich Lissi. Und so begann sie, immer mehr Zeit mit Natascha und anderen obdachlosen Personen zu verbringen, mit denen sie sich langsam anfreundete. „Natürlich ist zuerst mal eine gewisse Scheu oder auch Schwellenangst dagewesen“, erklärt Lissi im Gespräch, „dort, wo ich vorher gewohnt habe, hat es das nicht gegeben. Da schlief nicht einfach eine Person auf der Straße.“ Gemeinsam mit ihren Freundinnen Rosa, Silvia, Irene und Titty begann Lissi damit, den Obdachlosen zu helfen. Sie kauften verschiedene Dinge oder brachten von zuhause mit, was gerade benötigt wurde. „Manchmal stecken uns Freunde ein bisschen Geld zu, um weitere Dinge zu kaufen, aber das meiste bezahlen wir“, erklärt Lissi und fährt fort: „Die ersten Antworten auf meine Frage, was sie bräuchten, waren simpel: heißes Wasser, eine Pfanne, ein Ei, Flickzeug.“ Noch nie wurde sie um Geld oder wertvolle Dinge gebeten. „Die meisten obdachlosen Personen wollen eigentlich nur ein Gespräch führen, so wie wir alle.“ Gespräche und ein freundlicher Umgang, das ist das, was jeder Mensch braucht, und deshalb ist es für Lissi wichtig zu betonen, dass es ihr darum geht, Menschen zu begegnen.

„Das Land selbst tut viel für Obdachlose, aber Strukturen haben Regeln und nicht alle können sie befolgen“, weiß Lissi. Wer als obdachlose Person in eine Struktur möchte, muss sich an diese Regeln halten. So dürfen sie beispielsweise keine Alkoholiker sein und müssen gültige Dokumente vorweisen können, um etwa eine Schlafunterkunft für die Nacht zu bekommen. Aber nicht alle sind trocken und nicht alle haben gültige Dokumente. „Bis man seine Dokumente erneuert hat, kann es länger dauern“, erklärt Lissi, „damit fühlen sich einige Menschen überfordert.“ Zu Lissis Freundeskreis im Park gehören auch zwei alkoholkranke Obdachlose, die bis jetzt noch nicht von der Sucht losgekommen sind. „Hier ist es wichtig einzusehen, dass man den Menschen nicht ihre Entscheidung abnehmen kann. Wir sind für uns selbst verantwortlich und müssen die Entscheidungen anderer Menschen respektieren, auch wenn es manchmal schwerfällt.“ Was Lissi aber kann, ist da zu sein. Zuhören, zusammen lachen und wenn es ihr möglich ist: helfen. „Wir feiern Geburtstage mit unseren obdachlosen Freunden. Da kommen schon mal große Emotionen hoch.“ Die Erinnerung an vergangene Tage begleitet viele durch ihr Leben und es ist nicht immer leicht. Aber auch den Vatertag feierten sie gemeinsam. „Damals hatten die Männer zusammengerechnet neun Kinder. Das sind Momente, die sehr wichtig für sie sind.“

Der Panettone wird angeschnitten.

Und auch an Neujahr trifft die Gruppe wieder aufeinander, um auf 2018 anzustoßen. Die kleine Feier findet auf dem Siegesplatzpark statt. Lissi hat mitgebracht: ihren Klapptisch, Tee, Kaffee, Gläser, Tassen, Kekse, Panettone, ein bisschen Sekt zum Feiern, Milch und Zucker. Einer ihrer obdachlosen Freunde hat Tränen in den Augen. Silvano ist neu in Bozen, aber seinen Geburtstag feierten sie schon zusammen. Und auch dieses Mal ist er überwältigt: „Es gibt keine Worte, um das zu beschreiben“, sagt er und kämpft wieder mit Tränen. Sein Freund Daniele muss die Neujahrsfeier und zugleich seinen Geburtstag mit eingegipstem Bein begehen. Er hatte einen Unfall. Seit mehr als 30 Jahren ist er nun in Italien und kann derzeit bei einer Freundin schlafen. Seit zwei Jahren auf der Straße ist Jakub: Er vernachlässigte seine Arbeit und geriet in eine Abwärtsspirale, von der er sich bis heute nicht befreien konnte. „Es gibt gute Leute mit Herz“, sagt er, „und diesen Leuten soll man es nachmachen.“ Jakub wünscht sich, dass mehr Menschen mit Obdachlosen sprechen und ein freundschaftliches Verhältnis zu ihnen aufbauen. Gustav ist seit mehr als zehn Jahren obdachlos. Er ist Alkoholiker und hat eine Sozialwohnung. Die Neujahrsfeier macht ihn glücklich: „Es gibt viele Engel, die helfen, so wie Lissi und ihre Freundinnen“, erklärt er. Wenn Lissi eine SMS verschickt, weiß Gustav, dann kämen alle, die Zeit haben. Seine Botschaft ist klar: „Helft wem ihr könnt, die Welt soll in Frieden leben!“

„Es gibt viele Engel, die helfen, so wie Lissi und ihre Freundinnen.“

Für Lissi selbst blieb es in der Vergangenheit nicht nur beim Organisieren von kleinen Festen. Als Jaroslav Kohl mit 50 Jahren am 3. Januar 2016 getötet wurde, organisierte sie die Beerdigung. Einige Obdachlose vom „Haus der Gastfreundschaft“, vom Park und weiteren Orten kamen, um ihn zu verabschieden. Lissi und ihre Bekannten brachten Blumen und Kerzen, ein befreundeter Theologe hielt die Gedenkrede. „Einige Zeit nach der Beerdigung hat mir ein junger Mann geschrieben, dass Jaroslav ihn einst von der Straße holte, weil er gut auf ihn zugeredet hatte“. Jetzt hat der Mann einen festen Job und ein Zuhause. Todesfälle von obdachlosen Personen gab es in Südtirol in den letzten Jahren immer wieder. Am 25. Dezember 2011 verstarb Giovanni Valentin, genannt „Hansele“, am 15. April 2014 die 46-Jährige Elisabeth Fischnaller. Nur wenige Wochen nach Jaroslav Kohls Tod wurde ein italienischer Obdachloser aus der Lombardei tot vor dem Ex-Hotel Alpi in Bozen aufgefunden. Er starb mit 55 Jahren. Die Slowakin Natascha, Lissis erste Bekanntschaft, verstarb am 17. Juli 2017 mit 56 Jahren im Meraner Krankenhaus.

Was ich möchte, ist, dass die Leute nicht einfach vorbei rennen, sondern verstehen, dass das Menschen wie du und ich sind, die manchmal auch nur ein Gespräch, eine nette Geste, ein Lächeln brauchen.“

Obdachlose Menschen helfen sich oft gegenseitig. Als Lissi Jaroslav im Jahr 2015 neben einem jungen Mann liegen sah, der keine Decke hatte und zudem eine kurze Hose trug, ging sie, um eine Decke zu holen. Als sie zurückkam, lag der junge Mann schon vollständig zugedeckt in einer Federdecke. Es war jener Mann, der ihr später schrieb, dass er durch Jaroslav nochmal neu anfangen konnte. Die Menschen im Park haben ein offenes Ohr für einander und nehmen Anteil an den Problemen ihrer Freunde. Diese kleinen Zusammenschlüsse geben ihnen Halt, bis sie wieder weiterziehen.

Als sich das Gespräch im Bozner Café dem Ende zuneigt, hält Lissi noch einmal kurz inne und sagt eindringlich: „Was ich möchte, ist, dass die Leute nicht einfach vorbei rennen, sondern verstehen, dass das Menschen wie du und ich sind, die manchmal auch nur ein Gespräch, eine nette Geste, ein Lächeln brauchen.“

Lissi Mair wurde am 3. November 1960 im österreichischen Dölsach geboren. Sie ist Journalistin und Vize-Verantwortliche bei der italienischen Nachrichtenagentur ANSA in Bozen und Mutter von zwei erwachsenen Kindern. Viele Jahre lebte sie in Innichen und Neumarkt und übersiedelte dann nach Bozen. Dort wohnt sie in der Nähe der Talferbrücke und lernte auf diesem Weg ihre Freunde im Park kennen. Zwei Mal im Monat hilft sie beim „Vinzibus“ ehrenamtlich aus. Zudem ist sie freiwillige Tutorin eines minderjährigen und unbegleiteten Geflüchteten aus Somalia. Ihren obdachlosen Parkfreunden hilft sie als Privatperson. Wer sich mit Lissi in Verbindung setzen möchte, kann ihr schreiben: lissi.mair@gmail.com

von Sadbhavana Pfaffstaller

Der Text erschien erstmals in der 33. Ausgabe von „zebra.”, Dezember 2017/Jänner 2018.

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