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Fast jeder hat sie in seinem Bekanntenkreis: Die harmonischen Paare, die stets liebevoll miteinander umgehen und scheinbar ewig zusammenbleiben. Doch dann kommt die überraschende Nachricht der Trennung. Warum geschieht dies? Und gibt es ein Erfolgsrezept für eine glückliche Beziehung?
2014 wurden in Südtirol 598 Ehetrennungen und 473 Ehescheidungen verzeichnet. Laut dem Landesinstitut für Statistik ASTAT geht etwa eine von vier Ehen früher oder später in die Brüche – durchschnittlich nach 16 Jahren. „Der Klassiker“, sagt Psychologin Sonia Fischnaller. Die 40-Jährige ist selbst seit elf Jahren verheiratet und Mutter von zwei Kindern im Alter von sieben und neun Jahren. In ihrer Praxis in Bozen bietet sie Eheberatungen an und hilft Paaren durch schwierige Situationen. „Es ist jedes Mal ein neues Buch, das ich öffne. Aber obwohl jeder anders ist, sind die Themen häufig ähnliche“, sagt die Boznerin und trinkt einen Schluck von ihrem Cappuccino im Café „Brennpunkt“ unweit ihrer Praxis.
Wieso trennen sich Paare durchschnittlich nach 16 Jahren?
Genau sagen kann man es nicht, aber eine Tendenz kann man wahrnehmen. Jahrelang war der Fokus auf Beziehung, Partnerschaft und Familie gelegt und besonders Frauen schränkten ihre Arbeit in dieser Zeit ein. Nach zehn bis 15 Jahren Beziehung sind Kinder meist aus dem Gröbsten raus. Frauen bekommen neue Freiräume, die sie nutzen wollen. Sie fragen sich, ob die Beziehung und das, was sie in den vergangenen Jahren erlebt haben, noch so gut ist, um nochmal in die Beziehung zu investieren.
Und was ist mit dem „verflixten siebten Jahr”?
Wenn man Anfang, Mitte 20 mit seinem Partner zusammenkommt, dann ist man nach sieben Jahren um die 30 und entscheidet, ob man zusammen ins Leben startet oder nicht. Die Intimität und Verbundenheit sind in dieser Zeit sicher groß, der Rest flackert aber ein bisschen ab. Wenn dann keine neuen Entwicklungen in der Beziehung kommen, wie etwa ein gemeinsames Projekt, dann kann es zu einer Stagnation kommen und man will nicht mehr so weitermachen.
Was hält Paare zusammen?
Man muss seinen individuellen Lebensprozess und den Beziehungsprozess unter einen Hut bringen. Jeder sollte seine eigenen Freiräume haben. Auch eine funktionierende Kommunikation ist sehr wichtig und unterscheidet vielleicht die Paare, die zusammen bleiben, von denen, die sich trennen.
„Ich glaube, das Geheimnis einer glücklichen Beziehung ist, dass man seinem Partner ein eigenes Leben und eine eigene Entwicklung zugesteht.”
Man sollte also offen über alles reden?
Genau. Zuerst braucht es aber die Offenheit zu einem selbst. Man muss merken, wo man steht und ob man vielleicht gerade an einem Punkt ist, an dem man nicht weiß, wie es aussieht. Und das muss der Partner aushalten. In einer Ehe, die 40 Jahre dauern soll, wird es immer wieder Momente geben, wo man überdenken muss, wo man als Paar steht. Findet eine Kommunikation statt, dann besteht eine Chance, dass man wieder zueinander findet. Wenn die Kommunikation nie da war, wird es in so einem Moment besonders schwierig.
Mit welchen Problemen kommen die Paare am häufigsten zu Ihnen?
Es geht in der Tat meist um Kommunikationsschwierigkeiten. Ganz oft reden Paare aneinander vorbei. Ein anderer Punkt sind Außenbeziehungen. Dabei muss man verstehen, warum das Paar überhaupt in so eine Situation kommt. Kommen Einzelpersonen in die Praxis, dann vorwiegend Frauen im Alter zwischen 40 und 46 und Männer um die 50. In dieser Zeit geht es sehr viel um Veränderungen und auch um die Bewusstheit der Endlichkeit des Lebens.
Mit Ihren 40 Jahren sind Sie genau in dem Alter, wo Frauen sich bei Ihnen Hilfe suchen …
Genau. (lacht) Ich bin am Anfang von dem Alter, wo man Verschiedenes durchdenkt. Das habe ich selbst erlebt und mit meinem Mann viele Gespräche geführt. Unsere Kinder sind aus dem Gröbsten raus und wir haben uns beide wieder mehr Zeit für uns genommen. Er machte die ein oder andere Reise alleine und ich habe mehr mit Freundinnen unternommen. Wir haben gemerkt, dass wir wieder mehr Lust aufeinander hatten und auch mehr Lust, zusammen etwas zu unternehmen. Es war gut, dass wir uns den Raum nehmen konnten.
Ist das das Geheimnis einer glücklichen Beziehung?
Ich glaube, das Geheimnis einer glücklichen Beziehung ist, dass man seinem Partner ein eigenes Leben und eine eigene Entwicklung zugesteht. Man sollte sich im Alltag immer darüber im Klaren sein, dass es nicht selbstverständlich ist, eine gute Beziehung zu haben und achtsam, wertschätzend und wohlwollend mit dem Partner umgehen. Damit eine Beziehung über mehrere Jahre gut funktionieren kann, muss man den Spagat zwischen Autonomie und Bindung schaffen. Man muss seine persönlichen Leidenschaften, Freundschaften und Hobbys ausleben dürfen, aber auch alles, was die Beziehung anbelangt, pflegen.
Welche Rolle spielt der Sex in einer Beziehung?
Bei manchen spielt Sex eine ganz große und verbindende Rolle. Sexualität ist etwas Verbindendes. Man hat mittlerweile aber auch festgestellt, dass es Paare gibt, für die Sexualität nicht so wichtig ist.
Und was, wenn die Lust auf einer Seite einschläft?
Dann hat das Paar meistens ein Problemund einer wird auf Dauer unzufrieden sein. Dann geht es darum, was man machen kann, damit die Lust wieder aufflammt. Es ist tendenziell so: Je weniger Sex man hat, desto weniger Lust hat man darauf. Man muss Sexualität also pflegen und sich ab und zu auch mal zu romantischen und leidenschaftlichen Momenten aufraffen, indem man zum Beispiel Kerzen anzündet, ein Massageöl kauft, einfach den anderen überrascht. Man muss auch erkennen, woran es liegt, dass einer keine Lust mehr hat. Oft steckt eine generelle Unzufriedenheit in der Beziehung dahinter.
Was halten Sie von Sex nach dem Terminkalender?
(lacht) Es klingt nicht besonders lustvoll oder romantisch, wenn man es so hört, aber ich denke, dass Sexualität nach Terminkalender nach einer gewissen Zeit auch einfach zur Pflege einer Beziehung dazugehört. Besser das, als den Bereich versickern zu lassen und nicht glücklich damit zu sein. Paare, die sehr eingespannt sind, weil sie kleine Kinder haben, sollten sich aber im Klaren sein, dass es völlig normal ist, in so einer Zeit nicht viel Lust zu haben.
Befolgen Sie die Tipps, die Sie Ihren Klienten geben, auch selbst?
Ich muss ehrlich sagen, dass mir mein Beruf in meiner Partnerschaft hilft und ich mich zu den glücklich verheirateten zählen kann. Ich merke schnell, wenn etwas nicht stimmt und kommuniziere es. Auch mein Partner redet offen, das ist etwas sehr Wertvolles.
Trennen sich Paare heutzutage schneller als früher?
Dass Paare sich heute wegen jeder Kleinigkeit trennen, sehe ich überhaupt nicht so. Bindung ist nach wie vor total wichtig. Früher war man auch nicht immer glücklich. Man hat sich oft einfach arrangiert und damit abgefunden, weil Scheidungen tabu waren.
Haben Sie abschließend noch einen Tipp für Paare in schwierigen Situationen?
Man muss versuchen zu verstehen, warum man eine schwierige Situation durchmacht. Oft steckt hinter einem oberflächlichen Streit viel mehr. Jeder Mensch ist sehr individuell und so muss auch jedes Paar zusammen individuelle Lösungen finden. Das ist das Komplizierte und Aufwändige, aber auch das Spannende.
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