Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Für gewöhnlich sitzt der Barchef des Hotel Feuerstein nicht auf der Sonnenterasse und schlürft kühle Drinks. Meistens steht Sabug Kumar Saha hinter der Theke des Fünf-Sterne-Hauses und zerstampft Eis mit Früchten, wirft den Shaker durch die Luft, garniert schmucke Gläser mit Schirmchen und Halmen und schenkt den Gästen Cocktails ein – und ein strahlendes Lächeln. „Oh my god!“, ruft er jetzt seiner Kollegin zu, die eben einen frisch gemixten „Dodo“ vor ihm auf den Tisch gestellt hat. Den Aperitif aus Prosecco, Ingwersirup, Basilikum und Sodawasser hat er wenige Minuten zuvor aus der Getränkekarte ausgesucht. „Unglaublich erfrischend!“, sagt er sichtlich entzückt und blinzelt über den Rand der Designersonnenbrille hinaus.
Seine Kolleg*innen und auch die Gäste nennen den 28-Jährigen bei seinem Spitznamen „Max“. Den spricht er stets auf Englisch, mit „ä“ aus. Den Namen trägt er seit seiner Schulzeit in Bangladesch, wo er in der „Business School“ Englisch lernte. Dass ihm diese Sprache bis heute liegt, hört man an den englischen Wörtern und Sätzen, die er immer wieder spielerisch dazwischenschiebt, wenn er sich mit den Leuten in fließendem Italienisch oder Deutsch unterhält.
Wie ein roter Faden zieht sich Vielfalt durch sein Leben: Max‘ Vater, ein Geschäftsmann in der Textilbranche, war regelmäßig beruflich in Europa unterwegs gewesen. Als er aus gesundheitlichen Gründen für längere Zeit in einer Klink in Oberitalien bleiben musste, kam die Familie zu Besuch – und blieb. Gemeinsam mit seinen zwei Brüdern und den Eltern zog Max 2009 nach Vicenza, lernte Italienisch und machte nach der Schule erste Berufserfahrungen in Textilfirmen. Dann wollte er etwas anderes probieren und begann in einer Wein-Bar am Gardasee zu arbeiten. Er erinnert sich: „Mein Chef dort hat zu mir gesagt: ‚Du hast Talent, das sollte dein Beruf werden!‘“ Und so kam es.
Sobald es Abend wird und über dem Pflerer Tribulaun die Sonne untergeht, steht Max gemeinsam mit seinem Team wieder hinter der Bar. Um ihn herum: verschiedene fein etikettierte Flaschen, metallisch glänzende Shaker, Siebe, Löffel, Stampfer und Behälter voller zerkleinerter Fruchtstückchen, Kräuter und braunem Zucker. Wie spät er an diesem Abend Weste, Krawatte und Hemd wieder gegen seine Alltagsklamotten tauschen wird, weiß er noch nicht: „Solange Gäste hier sind, bin ich auch hier.“ Dieser Service ist ihm wichtig.
2010 zog Max nach Sterzing und begann in einem Hotel als Lehrling zu arbeiten und gleichzeitig Deutsch zu lernen. Auf der italienischen Hotelfachschule „Cesare Riz“ in Meran absolvierte er die dreijährige Lehre im Bereich Service. „Eine richtige Bar-Schule gibt es dort aber nicht“, sagt Max. Solche befänden sich meist nur in größeren Städten wie Mailand, Paris oder London. Das ganze Equipment und wie man damit umgeht, lerne man nur in einer dieser „Bartender Schools“. Und genau dorthin wollte der ehrgeizige junge Mann.
Er opferte Urlaubstage und sparte für die Kursgebühren. In der „Campari-Villa“ in Mailand lernte Max die Geschichte der Aperitivi und in der „International Bartender School“ im englischen Brighton die große Kunst des Cocktailmixens: Jeder Handgriff wird einstudiert wie eine Choreographie und die Rezepte und Techniken der großen Klassiker gleichermaßen perfektioniert wie das Mixen von Eigenkreationen.
Für das Hotel, in dem er heute arbeitet, hat Max zur Eröffnung einen exklusiven Haus-Cocktail kreiert. Auf der Zutatenliste finden sich der Likör vom lokalen Biobauern, heimische Schwarzbeeren und Südtiroler Gin. Die Liste der weltweit anerkannten „International Cocktails“ umfasst etwa 80 Mixgetränke. „Diese Drinks müssen überall auf der Welt gleich lecker schmecken!“, weiß Max, der viele davon frei aus dem Gedächtnis ins Glas zaubern kann. Und zwar jeweils in ein ganz bestimmtes: „Die Ladies aus ‚Sex and the City‘ trinken den Cosmopolitan nicht aus irgendeinem Glas!“ Die Hauptdarstellerinnen der Kultserie tränken ihren Lieblingsdrink natürlich aus der „Coppa Martini“. „Oh yeah, das ist cool!“, sagt er und verdreht schwärmend die Augen.
Manchmal lernt Max auch von den Gästen Neues. Dann lässt er sich schon mal Zutaten diktieren: Von kleinen Gästen mit besonders fruchtigen und süßen Präferenzen gleichermaßen wie von Geschäftsleuten, die ihre Drinks gerne genau so hätten, wie Zuhause in Barcelona oder Berlin. Auf diese Weise lernte er etwa den „Old Cuban“ kennen, einen Drink aus Rum, Limette, Minze und Champagner. Max hat ihn mittlerweile auf die Hotel-Karte gesetzt. Aus dem Standard-Repertoire einer Fünf-Sterne-Bar lasse sich unendlich viel machen. Das Wichtigste aber sei: „Die Gäste immer wieder mit Neuem überraschen“, rät der Barkeeper.
Nach seiner Lehre blieb Max fünf weitere Jahre in dem Hotel in Sterzing. „Es war fast wie mein Zuhause“, sagt er. Auch seine Familie war in der Zwischenzeit von Vicenza ins Wipptal gezogen und die beiden Brüder, einer jünger und einer älter als er, entschieden sich für denselben Berufsweg wie er. Sie arbeiten heute als Barchefs in Hotels im Passeiertal und in Ridnaun. Alle drei haben am selben Tag der Woche frei: Der Donnerstag gehört der Familie. Dann genießen sie gelegentlich gemeinsam einen Drink daheim. „Aber zu viel ist nicht gut, es soll nur um Genuss gehen!“, sagt Max, der Zuhause auch gerne in der Küche hantiert: „Mein Lachs-Rezept ist super lecker!“
In seiner Freizeit ist er viel unterwegs, macht Ausflüge nach Innsbruck oder Trient oder geht wandern. „Die Tribulaun- Hütte fehlt mir noch!“ Mit den Kindern seiner früheren Arbeitgeber ist er öfters in den Bergen unterwegs. Deren Betrieb habe er im Guten verlassen. Irgendwann sehnte sich Max nach einer neuen Herausforderung. Und da kam es sehr gelegen, als im nahen Pflerschtal ein neues Hotel der gehobenen Klasse eröffnete und Personal suchte. Er nutzte die Chance und hat es bis heute nicht bereut.
Auch über die Arbeit hinaus fühlt er sich in Südtirol wohl. Kulturelle und sprachliche Vielfalt findet er spannend. Er kennt es seit seiner Kindheit nicht anders: In Bangladesch wuchs er mehrsprachig auf, sprach neben seiner Erstsprache Bangala mit seinen Verwandten aus Indien Hindi. Auch die CD’s in seinem Auto seien ein bunter Mix an Sprachen und Musikstilen, „Eigentlich bin ich selber ein bisschen wie ein Cocktail!“, sagt er.
„Buonasera dottoressa!“, grüßt Max eine ältere Dame, die durch die Lobby kommt und sich an die Bar setzt. Kräftig schüttelt er den Shaker in seinen Händen, bevor er den Inhalt durch ein Sieb ins Glas kippt. Das Sieb klemmt er dabei elegant zwischen seine Finger. Mit einer Pinzette steckt er frische Erdbeeren auf den Rand des Glases. Dann taucht er noch ein winziges, silbernes Probier-Löffelchen hinein. Nur was gekostet und für gut befunden wird, darf die Bar verlassen. „So wie beim Chefkoch“, scherzt Max und stellt den pinkfarbenen Drink aufs Tablett.
In Südtirol ist die Karriereleiter im Barbereich beim Fünf-Sterne-Hotel zu Ende. „In Dubai gäbe es noch ein Sieben- Sterne-Hotel!“, sagt Max und lacht verschmitzt. Dort könne man Cappuccino mit Goldstaub trinken. Das ist ihm aber dann doch zu künstlich und zu viel Schnickschnack. „Wir haben hier die unberührte Natur, den wahren Luxus!“ Kurz erhebt er das Glas in seinen Händen, so, als wolle er auf das Gesagte anstoßen und wendet sich dann wieder dem Shaker zu. Der nächste Cocktail wurde bestellt.
von Lisa Frei
Der Artikel ist erstmals in der 41. Ausgabe (Oktober 2018) der Straßenzeitung zebra. erschienen.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support