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Laurin Mauracher
Veröffentlicht
am 15.07.2015
LeuteAuswanderer im Portrait

Auf Nimmerwiedersehen?

Veröffentlicht
am 15.07.2015
Vier junge Südtiroler haben ihre Koffer gepackt und Südtirol den Rücken gekehrt. Was sie an ihrer neuen Heimat schätzen und von der alten vermissen.
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Alex Puglierin und Sabrina Ellecosta in Zürich.

Schön ist es ja, in Südtirol. Es geht uns gut hier, wir sind eine wohlhabende Provinz. Das Wetter ist warm im Sommer, und im Winter kann man Skifahren. Aber vielen jungen Menschen reicht dies nicht mehr. Der „brain drain“ ist kein obskurer Fachausdruck mehr, sondern ein geläufiger Bestandteil des Südtiroler Wortschatzes. Aber warum verlassen junge Südtiroler das Land?

Von Bozen über Frankfurt nach Nizza

Oft ist sind es berufliche Ambitionen. Zum Beispiel Leo aus dem Pustertal, der nun im warmen Nizza verweilt. Der 26-Jährige ist nicht zum Urlauben hier, sondern besucht die EDHEC Business School, nachdem er in Bozen Wirtschaft studiert hat. Warum er nicht dort geblieben ist? „Was soll man in Südtirol auch anfangen? Das, was ich beruflich machen möchte, kann ich dort gar nicht machen, in Deutschland oder Großbritannien zum Beispiel dagegen schon”, antwortet er auf diese Frage. Leo ist gerade dabei, sich als Finanzexperte nach oben zu kämpfen, von Bozen über Frankfurt nach Nizza und weiter. Sobald er seinen Master dieses Jahr abgeschlossen hat, warten schon Jobangebote in mehreren europäischen Finanzmetropolen auf ihn. Auch ein Anruf aus Amerika sei bereits gekommen. „Heute muss man sich spezialisieren. Man kann nicht mehr alles machen und dann auch gut darin sein. Und die Leute, die wirklich gut in etwas sind, gehen weg.”

„Ich habe schon früh die Entscheidung getroffen, im Anschluss an mein Studium ins Ausland zu gehen.”

Nicht nur Leute wie Leo, für deren Berufswunsch es in Südtirol wenige Möglichkeiten gibt, wandern aus. Laut einer Statistik der EU wandern vor allem OberschullehrerInnen, ÄrztInnen, KrankenpflegerInnen, PhysiotherapeutInnen und Fachleute aus der Zahnpflege aus.

Ein Beispiel dafür sind Alex Puglierin und Sabrina Ellecosta aus Brixen (beide 25), die nach Zürich gegangen sind. Alex ist Krankenpfleger am Universitätsspital Zürich, wo er seine Weiterbildung zum Anästhesiepfleger absolviert. Sabrina ist Dentalhygienikerin und arbeitet in zwei Zahnarztpraxen – in Südtirol hatte sie kaum Berufschancen: „Der Beruf der Dentalhygiene ist in Südtirol leider immer noch weitgehend unbekannt, und das, obwohl die Studienfachrichtung seit Jahren an der Claudiana in Bozen angeboten wird. In Südtirol üben oft Zahnarztassistentinnen diesen Beruf illegalerweise aus”, so Sabrina. „Hier in der Schweiz ist das ganz anders als in Südtirol: Jede Praxis verfügt über mindestens eine Dentalhygienikerin, wir arbeiten selbstständig, von jung bis alt sucht jeder routinemäßig die Dentalhygienikerin auf.”

Für Alex war immer schon klar, dass er auswandern wird: „Da die Arbeits- und Weiterbildungsmöglichkeiten für mich als Pflegefachmann in Südtirol begrenzt sind, habe ich schon früh die Entscheidung getroffen, im Anschluss an mein Studium ins Ausland zu gehen. Die Schweiz bietet uns Südtirolern viele Vorteile. Da wir zweisprachig sind, sind wir bereits im Vorteil. Landschaftlich ist die Schweiz ähnlich, was gegen das Heimweh hilft“, erzählt Alex und lacht. Zudem gebe es deutlich bessere Löhne durch einen großen Fachkräftemangel. Diese machen auch die höheren Lebenshaltungskosten wett.

„Ich habe mich binnen kürzester Zeit in die Stadt verliebt.”

Abgesehen von beruflichen Motivationen haben viele Südtiroler auch persönliche Gründe. Die von manchen beklagte „Rückständigkeit“ in Südtirol zum Beispiel, oder den Drang, etwas Unbekanntes zu erleben. Manchen ist es auch einfach zu langweilig hier. Sie wollen Neues und Ungewohntes erleben, oder die kulturellen Angebote nutzen, die es in größeren Städten gibt.

Oliver Schwazer in London.

In London zum Beispiel, der Hauptstadt der Welt, wohnt der 24-jährige Oliver Schwazer. „Ich habe mich binnen kürzester Zeit in die Stadt verliebt. Sie bietet Abwechslung in jeglicher Hinsicht, bei all den Angeboten kann Langeweile eigentlich gar nicht erst aufkommen.” Kultur- und Musikszene, Einkaufsmöglichkeiten, Museen und Bars und Clubs ziehen Leute aus aller Welt an. Die unglaubliche Unübersichtlichkeit hat laut Oliver Vor- und Nachteile: „Einerseits blüht die Stadt durch all die verschiedenen Persönlichkeiten und Charaktere, die sie verkörpert, auf, andererseits besteht die imminente Gefahr, sich in dieser Multikulturalität zu verlieren und darin unterzugehen. Doch genau das kann eine ganz besondere Erfahrung sein: Es gibt sehr viel, was einem die Stadt lehrt.”

Ursprünglich aus Kalch bei Sterzing („ein 10-Häuser-Nest, wo ich ohne Auto fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten war”), arbeitet Oliver seit letztem Jahr an seiner Dissertation in Latein am University College London, einer der besten Universitäten in ganz Großbritannien. „Der Umzug war wie ein Sprung ins kalte Wasser. Man wird auf sich selbst gestellt und mit völlig Neuem und Ungewissen konfrontiert, und wächst an diesen Herausforderungen.”

Neben den unbestrittenen Qualitäten Londons spricht Oliver, wie auch andere Auswanderer, auch von einer Flucht aus Südtirol . „So sehr ich stolz auf mein Land bin, so hat mir doch mein neues Leben in London gezeigt, wie sehr wir noch mit Vorurteilen behaftet sind. Auch wenn unsere Gesellschaft sich immer mehr öffnet und vor allem die Jugend immer mehr zu Toleranz und Akzeptanz erzogen wird, gibt es überall noch Vorurteile jeglicher Art, vor allem Homophobie und Ausländerfeindlichkeit. Es ist leider in vieler Augen so, dass man nicht ‚normal’ ist, wenn man nicht der ‚Regel’ entspricht, und es ist nicht schön, wenn einem dafür Abneigung entgegengebracht wird.”

Urlaub in der Heimat

An Südtirol vermisst Oliver vor allem seine Familie und Freunde, mit denen er über Social Media aber in engem Kontakt steht. Alle zwei bis drei Monate kommt er nach Südtirol, um alle wieder zu treffen und etwas auszuspannen. Auch Alex und Sabrina, die nicht ganz so weit weg wohnen, fahren alle zwei Monate nach Hause. Leo hat sein soziales Netz bereits vergrößert: „Ich besuche regelmäßig meine Familie und Freunde in Südtirol, wenn ich Ferien habe, aber nur mehr ein paar wirklich gute Freunde. Wenn man sich nie sieht, ist es schwierig, mit allen Kontakt zu halten. Ich habe inzwischen Freunde und Bekannte an vielen Orten.“

„Ich würde das Auswandern zweifellos jedem empfehlen. Es ist eine einmalige Chance, da kaum hoch genug geschätzt werden kann, wie sehr man an dieser Erfahrung reift.”

Würden unsere jungen Auswanderer ihre neue Heimat weiterempfehlen? Sabrina und Alex sind sich sicher: „Zürich ist einfach toll. Eine kleine Großstadt oder eine große Kleinstadt. Gerade in der Überschaubarkeit Zürichs liegt ein großer Reiz. Das Freizeitangebot ist groß. Hier kommt jeder auf seine Kosten.” Manchmal bemerkt man erst, wenn man die Heimat verlässt, dass man was verpasst: „In Südtirol waren wir es gewohnt, in die übliche Pizzeria oder die Stammbar zu gehen. Das Angebot in Südtirol ist in dieser Hinsicht sehr beschränkt. In Zürich können wir vom Entdecken neuer Lokale, Restaurants und Bars nicht genug bekommen: ob Schweizer Küche, Mexikaner, Inder oder Italiener, man findet hier wirklich alles.”

Auch Oliver stimmt zu: „Ich würde das Auswandern zweifellos jedem empfehlen. Es ist eine einmalige Chance, die kaum hoch genug geschätzt werden kann, wie sehr man an dieser Erfahrung reift. Ich plane auch nicht wirklich, nach Südtirol zurückzukehren.” Für Leo ist Nizza nur nur eine Station auf seinem Weg nach oben. Vielleicht geht er nach London wie Oliver, vielleicht in die Finanzmetropole Frankfurt, oder vielleicht wagt er sogar den Sprung nach Amerika, das wird sich noch herausstellen. Nach Südtirol wird er nicht mehr zurückkommen. Diese vier jungen, gut ausgebildeten Leute hat die „Hoamet“ an die weite Welt verloren.

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