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Das Sarntal birgt bekanntlich viele Schätze. Einer davon liegt im Ostkamm der Sarntaler Alpen. Nordöstlich der Flaggerscharte, direkt am Flaggersee, befindet sich auf 2.481 Metern über dem Meer die Flaggerschartenhütte. Gut getarnt liegt das graue Steinhaus in einer Art Mulde zwischen der grauen Hörtlanerspitze, der noch weißen Jakobsspitze und dem etwas weiter hinten gelegenen Tagewaldhorn verborgen. Über eine Steinwüste zieht sich der Weg dahin, bis man kurz unter der Hütte, in der Flaggerscharte, die letzten Schneefelder passiert. Die graue Hütte mit den schlumpfblauen Fensterläden steht stolz inmitten der Berge und spiegelt sich im dahinter liegenden See.
Die „Flogg“, wie sie die Sarner nennen, sollte vor genau hundert Jahren eine feierliche Eröffnung erleben. Doch der Erste Weltkrieg machte den Feierlichkeiten einen Strich durch die Rechnung. Die Hütte war im vergangenen Jahrhundert in vielen Händen. Seit acht Jahren kümmert sich Hüttenwirt Manfred Niederkofler um „sein“ Prachtstück. Manni, wie der urige Naturfreund genannt wird, lebt das ganze Jahr über in den luftigen Höhen des Sarntals.
Nicht nur deutsche Wanderer, sondern auch viele Sarner finden immer wieder den Weg hier hoch. Der geübte Wanderer braucht auf seinem Weg von Durnholz durch Latschenfelder, vorbei an Kühen, Alpenrosen und kleinen Bächlein, über das letzte Schneefeld bis zur Hütte knapp drei Stunden. Hüttenchef Manni braucht für diese Distanz nur halb so lang. Und das mit bis zu 35 Kilogramm auf dem Rücken. Muss er einmal ins Tal, halten seine Kinder und sein Neffe die Stellung. „Das schwerste, das er jemals hochgeschleppt hat, war ein Bierfass“, erzählen sie sofort. „Mein Onkel ist schon ein Bursche“, so Alexander, der Neffe von Chef Manni, stolz. Auch heute ist Manni wieder im Tal, um Nachschub zu holen. Das, was er nicht hochträgt, bringt ein Hubschrauber, denn Straßen führen keine nach oben. „Letztes Jahr hat der Heli 30 Flüge gemacht. Er bringt unser Essen und nimmt den Müll wieder mit. Sogar einen alten Kühlschrank hat er mitgenommen“, erzählt Alexander.
Beim Eintreten in die Hütte wird man von der elfjährigen Theresa, der Tochter des Chefs, im sympathischen Pusterer Dialekt begrüßt. Sie übernimmt nicht nur die Rolle der Rezeptionistin, sondern serviert als Hüttenkellnerin etwas später auch noch den köstlich starken Kaffee. Die beiden Jungs, der Sohn und der Neffe von Manni, machen es sich in der Zwischenzeit gemütlich. Während der eine in einem urigen Stuhl thronend die lodernden Flammen im Specksteinofen beobachtet, gibt sich der andere auf einer alten Holzcouch in der Stube einem Bozner Krimi hin.
Straßenlärm, Hektik, miese Laune und Stress: Fehlanzeige. „Als ich als Kellner im Tal gearbeitet habe, waren oft Gäste dabei, die etwas zu meckern hatten. Hier oben ist das eine Seltenheit. Die Leute sind auf dem Berg einfach gemütlicher“, bestätigt Alexander. Während sich drei Wanderer aus Deutschland mit einem großen Bier belohnen, spielen zwei Frauen gemeinsam Karten. Eine deutsche Familie sitzt zusammen und lässt den Tag Revue passieren und hinter dem Ofen haben es sich Vater und Tochter für die Planung der nächsten Tour gemütlich gemacht. Das Feuer lodert im Orangeton des Sonnenuntergangs und heizt die Stube richtig ein. Was auch nötig ist bei Temperaturen, die den See im Juli noch frieren lassen.
Alexander wird dieses Jahr den ganzen Sommer mit seinem Onkel auf der Hütte verbringen und genießt die Ruhe hier oben. Einsam fühle er sich nie, denn zu tun gebe es in diesen Höhen immer etwas. André, der Sohn von Manni, hält es hingegen nur einen Monat auf der Hütte aus. Ihm fehle die Passion des Vaters für die Berge. „Und dieses Jahr zieht ihn die Liebe wieder ins Tal“, erzählt sein Cousin und lacht.
Als die Stubenuhr sechs schlägt, verschwinden die Jugendlichen in die Küche. Die Gäste schwärmen von Mannis gutem Essen. Doch der Nachwuchs beweist, dass das Kochen den Niederkoflers im Blut liegt. Sohn und Neffe zaubern zu Hip-Hop Musik, die aus der Küche hallt, einen leckeren Abendschmaus. Gulasch, Polenta und Zucchini mit Salat und zum Nachtisch folgt ein Omelett mit „Grantnmarmelad“, Apfelmuß, Äpfeln und Schokoladeraspeln. Die kleine Theresa und ihre Freundin können jeder Kellnerin das Wasser reichen. Gekonnt bedienen sie die zwölf Gäste, während ich aus dem Staunen nicht mehr herauskomme. Die Junioren der Familie schmeißen den Laden, als hätten sie niemals etwas anderes gemacht.
Langweilig wird es den Niederkoflers auf dieser Meereshöhe nicht. Und wenn doch, dann ist eine lustige Geschichte nie weit. Wenn nicht die Sarner, die hochkommen und ein paar Gläser trinken, witzige Anekdoten auf Lager haben, dann spielt sie das Leben: Von einem Russen, der mit Trinkgeld nur so um sich warf, einem Sizilianer, der den Weg auf die Hütte mit einem Rollkoffer wagte und dafür von Manni mit einem Hüttenverweis gestraft wurde und einem fliegenden Dach erzählt man sich hier. Ja genau, ein fliegendes Dach.
Bereits einige Male wurde das Dach der Hütte durch die Witterung beschädigt. Das letzte Mal vor zwei Jahren. Damals wehte der Wind mit 150 Stundenkilometern vom Penser Joch her. „Irgendwie ist der Wind unter das angeschraubte Dach gekommen. Das Dach hat schon geflattert und ich habe mir nur gedacht: mamma mia, wenn das die Nacht übersteht. Als ich dann um vier Uhr morgens wieder aufgestanden bin, lag es schon im See drüben. Die Hälfte von der einen Seite, samt Kaminabdeckung“, erzählt Manni und lacht. Mit dem Hubschrauber wurden damals die Spengler und das Material eingeflogen, die die Hütte neu eindeckten.
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