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Mit einem Satz springt Nadia Kritzinger auf den Sitz des grünen Fendt Vario 312. Sie startet ihn und gibt richtig Gas. Gekonnt parkt sie den Traktor aus der Scheune. Die 22-Jährige lässt mich staunen. Dabei sei Traktor fahren gar nicht so schwer, sagt sie. „Man muss bei diesem Traktor nicht Gangschalten, nur Gas geben“, ruft Nadia aus der Fahrerkabine und lacht.
Sich von Vorurteilen leiten lassend, könnte man denken, Nadia arbeitet der Tiere wegen gerne auf einem Bauernhof. Junge Frauen stehen schließlich auf Pferde und niedliche Kälbchen. Doch aus diesem Grund hat sich die Völserin nicht für die Landwirtschaft entschieden. Sie liebt schweres Gerät, keine Maschine ist ihr zu groß. Bereits mit 14 Jahren ist sie das erste Mal selbst mit einem Traktor gefahren. Am sechsten September hat sich die jahrelange Übung ausgezahlt. Beim Europafinale des „Geotrac Supercup“ in Kundl in Tirol staubte sie den Sieg ab. Nadia ist jetzt nicht nur Europas beste Traktorfahrerin, sondern bald auch stolze Besitzerin eines Lintrac 90 – Traktor, Hangmäher und Hoflader in einem. Auch die Betriebskosten werden für ein ganzes Jahr übernommen. „Ich freue mich schon total darauf, wenn ich das erste Mal damit fahren kann“, sagt Nadia und strahlt.
Es ist der sechste September, als mehr als mehr als 30 Traktorfahrer und -fahrerinnen aus dem gesamten Alpenraum in Kundl in Tirol antreten. Erstaunlicherweise ist Nadia nicht aufgeregt. Für sie sei es, als würde sie zu Hause auf dem Traktor sitzen. Das helfe ihr, sich zu konzentrieren. Auf der Fronthydraulik ist ein Tisch mit einem Fußball darauf befestigt. Ohne den Ball zu verlieren, gilt es, den Tisch in einer Einzeichnung abzustellen. „Wäre er heruntergefallen, hätte ich 55 Strafsekunden bekommen“, sagt Nadia rückblickend. Das wäre kaum noch aufzuholen gewesen. Dann heißt es für die junge Frau mit einem Mähwerk einen Parcours mit Kegeln und Tennisbällen zu fahren. „Ich habe, glaube ich, einige Bälle heruntergeworfen, aber darauf habe ich nicht mehr geachtet“, sagt sie. Auch den weiteren Parcours mit sehr engen Kurven, Wippen und Balanceakten meistert die Völserin. Mit Schnelligkeit und Präzision heimste sie sich den ersten Platz ein. Dennoch sei der Sieg nicht so erfreulich gewesen, wie Nadia heute zwischen Stroh und Kuhmist erzählt. Der Gewinn des begehrten Lintrac 90 wurde überraschenderweise zwischen den beiden Siegern der Herren- und Damenwertung verlost – bei einem Wissensquiz über die Firma Lindner. „Ich dachte, das kann ich vergessen, das wird eh nichts“, gibt sie zu. Doch sie gewann 4:1 und konnte ihr Glück kaum fassen.
„Meine Knie haben so geschlottert, dass ich dachte, wenn ich von der Kupplung gehe, falle ich hin.“
Bis vor wenigen Monaten wusste die jetzige Europameisterin noch nicht mal, dass es den Traktorwettbewerb überhaupt gibt. Seit langer Zeit war sie diesen Sommer wieder einmal am Meer. Am Strand surfte sie im Internet und ist zufällig darauf aufmerksam geworden. Die Bezirksrennen waren alle schon vorbei und es stand nur noch das Landesrennen am sechsten Juli in Margreid an. Nadia durfte dennoch mitfahren und hat gewonnen. „Meine Knie haben so geschlottert, dass ich dachte, wenn ich von der Kupplung gehe, falle ich hin“, sagt sie und lächelt. Nicht nur sie war überrascht über den Sieg, auch die Zuschauer. Nadia setzte sich gegen die Europameisterin von 2012 und gegen eine weitere Teilnehmerin durch. „Es ist schade, dass wir nur zu dritt waren. Bei den Bezirksrennen waren immer viele Teilnehmerinnen. Ich verstehe nicht, warum sie dann bei der Landesmeisterschaft nicht mitgemacht haben, man kann ja nichts verlieren.“ Jetzt ist die 22-Jährige für drei Jahre bei den Europameisterschaften gesperrt – weil sie gewonnen hat. Falls es Weltmeisterschaften gäbe, wäre sie aber auf jeden Fall dabei. „Ich finde es auch schade, dass es hier in Südtirol nicht mal so ein Rennen gibt“, sagt Nadia.
Nadia arbeitet bereits seit über acht Jahren auf dem Kompatscherhof in Völs, seit vier Jahren als Angestellte. Dabei ist es gar nicht so leicht eine Anstellung in der Landwirtschaft zu finden, weiß sie: „Viele sagen: Was willst du mit einer Gitsch?” Dem Arbeitgeber war egal, ob Bub oder Mädchen, denn Nadia ist sich für keine Arbeit zu schade. Ihr macht das Anpacken Spaß und sie stellt sich geschickt an.
Bis alle Tiere versorgt sind, hat sie jeden Tag viel zu tun. 20 Haflinger, über 45 Kühe und dazu noch Kälber, Hühner, Enten und Hunde leben auf dem großen Hof. Nadia kümmert sich um die Kühe und Kälber. 360 Tage im Jahr ist sie eingespannt, steht jeden Tag um fünf Uhr zum Melken und Füttern auf. Nachmittags mäht sie die großen Felder oder hilft bei der Maisernte. Ausgehen ist nicht. „Was willst du machen?“, sagt Nadia. Es gebe nicht mehr viele Jugendliche hier in der Nähe und Lokal sowieso keines. Oft bedauert sie das. „Obwohl. Wenn der Hof mitten im Dorf wäre, könnte man nicht so herumdüsen“, sagt Nadia und grinst.
Schon als Kind hat sie die Arbeit in der Landwirtschaft interessiert, spielte lieber mit Traktoren als mit Puppen und half ihrem Opa in den Sommerferien im Stall. „Irgendwann hätte ich gerne meinen eigenen großen Hof“, sagt Nadia während sie mich durch den großen Stall führt und die Tiere zeigt. Heutzutage einen geeigneten Hof zu finden, ist aber schwierig und kostet eine Menge Geld. „Sonst muss ich mir eben einen Bauern suchen“, sagt Nadia, lacht und nimmt einen der Bernersennenwelpen auf den Arm, die neben dem Haus herumlaufen. Wie es beruflich für die 22-Jährige weiter geht, weiß sie noch nicht, aber eines ist sicher: Sie wird in der Landwirtschaft bleiben, denn dort ist sie zu Hause.
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