Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Der Schweiß tropft ihm in dieser Nacht von der Stirn. Jannis Klenke nimmt hie und da den Zipfel seines dunklen Hemdes in die Hand und wischt sich die Spuren seiner Leidenschaft damit ab. Bass, Trompete, Klarinette und ein kleines Megafon ergänzen den Rhythmus seiner Gitarre. Die schnelle und schmutzige Gypsy-Musik von Fainschmitz passt gut zum Zugluft Open Air. Jetzt am Abend, nach einem Festivaltag, sind meine Füße schon so schwarz, dass sie auch mit Wasser und Seife nicht mehr sauber zu kriegen sind. Ein Zeichen für ein gelungenes Festival.
Auch Jakobs Füße sehen nach Festival aus. Der kleine Bub läuft barfuß unter dem Pavillon vorm Haus der Solidarität. Kurz zuvor hat hier noch eine Geschichtenerzählerin die Kleinen unterhalten, nun basteln sie. Jakobs Mama Kathrin sitzt mit einem großen Schwangerschaftsbauch daneben im Schatten. „Wir freuen uns jedes Jahr auf das Zugluft Open Air“, sagt sie. Seit zehn Jahren kommt sie mit dem Zug von Sterzing nach Brixen zum familienfreundlichen Festival. Während ihre Kinder hier immer etwas zu tun finden, könne sie gemeinsam mit ihrem Mann beruhigt etwas feiern und alte Bekannte treffen. „So geht es allen gut“, resümiert Kathrin und streicht ihrem Mann über den Rücken.
Über den Köpfen der Familie wehen bunte Wimpel im Wind und auch die Zäune, die das Haus der Solidarität in Brixen säumen, sind mit Tüchern in allen Farben verziert. Über das gesamte Gelände zieht der Duft von Essen. Pizza, iranischer Kebap, Gulasch oder Couscous werden von Menschen aus den jeweiligen Nationen zubereitet.
Joseph aus Biafra sitzt auf einer Bank und beobachtet zufrieden das Geschehen. Er ist einer der ausländischen Bewohner, die gemeinsam mit einheimischen Gästen im Haus der Solidarität leben. Wenn er gefragt wird, wie ihm das Zugluft Open Air gefalle, zeigt er auf eine junge Familie: Auf einen dunkelhäutigen Mann, seine weiße Frau und ihr gemeinsames Kind. Mit anderen, weißen Kindern spielt es im Schatten. „You see the colour of the children?“, fragt Joseph, „this is good. This is the message of the festival. We are one.“ Beim Zugluft Open Air lernen sich unterschiedliche Kulturen kennen.
Bereits zum 14. Mal sei das das erklärte Ziel des Festivals, erklärt mir Kathi kurze Zeit später. „Verschiedene Altersgruppen, Geschlechter und Menschen mit unterschiedlichen Religionen und Einstellungen finden hier zusammen. Auf der Straße hätten sie sich vielleicht nichts zu sagen“, erklärt sie. Kathi ist Teil der Hausleitung und seit drei Jahren beim Zugluft dabei. In diesem Jahr ist sie für Organisatorisches verantwortlich. Sie zeigt auf das alte Haus der Solidarität, das knapp über dem neuen steht und von einem Baugerüst umgeben ist. Dort hat vor 15 Jahren alles begonnen.
Eigentlich sollte das Zugluft nur eine Hauseröffnung werden. Heute ist es ein Festival mit über 2.000 Besuchern und 200 freiwilligen Helfern. Weil die Kapazität des ursprünglichen Platzes nach einigen Jahren überlastet war, ist das Zugluft-Team zuerst auf das Areal des Brixner Lidos ausgewichen und feiert nun hinter dem neuen Haus der Solidarität.
Karl Leiter war von Anfang an mit dabei. Er hat dem Fest auch seinen Namen gegeben. „Zugluft heißt Austausch. Alte Luft raus und neue rein. Bewegung einfach“, meint der Wipptaler. Obwohl das Wort negativ assoziiert werde, habe es von Anfang an jeden begeistert. Und schließlich sei etwas Positives daraus geboren, resümiert Karl. Dass es das Fest heute noch gibt, sei vor allem den Ehrenamtlichen zu verdanken, die immer weiter machen. Sie trifft man heute nicht nur am Eingang zum Festival. Auch in der Kinderbetreuung, an den Kassen, hinter dem Mischpult, in der Küche oder an der Ausgabe findet man die Helfer. Viele von ihnen reisen extra von weit her an. So wie Mirco Pastinghel. Der Jugendarbeiter und Bauer ist für seinen Dienst hinter der Bar heute aus Malé im Val di Sole angereist. Bereits zum vierten Mal ist er beim Zugluft Open Air mit dabei. „È bello vedere così tanta gente che collabora su base volontaria e crea qualcosa di unico assieme“, meint er und zapft ein neues Bier.
Von seinem Arbeitsplatz aus sieht Mirco quer über die grüne Wiese des Festivals direkt auf die Bands. So verpasst er keinen der Auftritte. Die Musik reicht beim Zugluft von Rap über brasilianische Trommelmusik, marokkanische Gitarren oder Gypsy-Swing bis hin zu Dub.
Mittlerweile ist es Abend geworden – Zeit für den Headliner. Mit Leder, Nieten und Leopardenmustern bekleidet geben Tangopunk eine Performance aus Punk, Violinen und Ziehharmonikaklängen zum Besten. Der Menge gefällt der Auftritt der vier Jungs aus Südamerika und Italien. Vor der Bühne entsteht ein wilder Pogo, während in den hinteren Reihen die Festivalbesucher gemütlich im Takt mitschwingen.
Nach einer letzten Zugabe tanzt dort jetzt die Osttirolerin Corinna. In schwarze, mit Perlen bestickte Bauchtanzklamotten gehüllt, hält sie zwei brennende Feuerfächer in den Händen und bewegt sich damit zur Musik. Immer wieder lässt sie einen der Fächer nah am Publikum vorbeigleiten und beleuchtet für einen kurzen Moment ihre konzentrierten Gesichter. Schließlich gibt sie ihre Flamme an einen jungen Feuertänzer weiter, der damit einen Stock entflammt. Mit seinen akrobatischen Einlagen begleitet er das Publikum in Richtung Ausgang. Er sorgt dafür, dass der erste Tag des Zugluft Open Airs mit tosendem Applaus endet.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support