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Julian Nikolaus Rensi
Veröffentlicht
am 06.09.2017
LeuteInterview mit Jasmine Rouimi

„Es braucht Realitätssinn“

Veröffentlicht
am 06.09.2017
Jasmine Rouimi sieht die Schule mit nüchternem Blick. Die Vorsitzende des Landesbeirats der Schüler über das Schulkreuz, mangelnde Praxistauglichkeit und die Politik der kleinen Schritte.
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Jasmine Rouimi und der stellvertretende Vorsitzende Max Ebensperger

Sachorientiert und effizient, so präsentiert sich Jasmine Rouimi, Vorsitzende des Landesbeirates der Schüler (LBS). Und so wie sie denken viele der Schüler, die sie vertritt – ob nun politisch bewusst oder nicht. Ich treffe sie als derjenige, der ihren Posten selbst innehatte. Denn bis zum Herbst 2016 war auch ich Vorsitzender des LBS. Pünktlich zum Schulanfang sprechen wir über das Schulkreuz, die „Praxistauglichkeit“ der Schule und darüber, wo wir uns sonst noch uneins sind.

Jasmine, welche Themen prägen zurzeit die bildungspolitische Debatte im Land bzw. im Landesbeirat der Schüler?
An erster Stelle steht für uns die Reform der Mitbestimmungsgremien in den Schulen, in deren Rahmen ja auch ein erneuter Bildungsdialog stattgefunden hat. Sehr wichtig ist uns natürlich die Mehrsprachigkeit, die im Allgemeinen als besondere Herausforderung für die Zukunft wahrgenommen wird. Die Debatte im Landesbeirat kreist vor allem um diese beide Themen.

… und gar nicht um die „Buona Scuola“? Das Landesgesetz zu Renzis italienweiter Schulreform sieht ja weitreichende Neuerungen vor, die für Furore gesorgt haben – wie die notenfreie Bewertung.
Klar, aber um die „Gute Schule“ ist es eher still geworden. Hier hat sich wenig getan und es ist auch noch nicht alles umgesetzt worden. Die Landesregierung fokussiert sich eher auf die Fragen der Zweit- und Fremdsprachdidaktik sowie auf das neue Mitbestimmungsgesetz.

Die entstellte Darstellung einer Aussage der Landtagsabgeordneten Brigitte Foppa entfachte eine emotional geführte Diskussion über den Wert und die Bedeutung von Religion in der Öffentlichkeit. Konkret ging es um das Schulkreuz. Hat es in Zeiten breiter Säkularisierung noch eine Berechtigung als Symbol katholischer Dominanz?
Wieso Dominanz? Auch als Nichtchristin fühle ich mich nicht bedrängt durch das Schulkreuz. Ich finde es nicht unbedingt richtig, auf eine ästhetische Entchristlichung hinzuarbeiten. Italien ist nun einmal ein tief mit dem katholischen Glauben verbundenes Land. Der Glaube ist Teil der Kultur. Und zwar einer Kultur, die wir nicht verwässern oder modifizieren müssen, weil es vermehrt Andersgläubige gibt. Das Kreuz verstehe ich als ein Symbol von primär kulturellem und nur sekundär von rein religiösem Wert.

Und der Religionsunterricht? Nicht wenige stören sich an seiner erklärten Konfessionalität und fordern die Ablösung durch ein pluralistisches Fach Ethik.
Wo liegt das Problem? Einen einseitigen, vorurteilsvollen Religionsunterricht habe ich nie erfahren und davon haben wir im LBS auch nie gesprochen. Ich halte viel vom Fach Religion. Es bietet Schülerinnen und Schülern Orientierungsoptionen. Behandelt wird ja nicht nur das Christentum. Und indem man andere Religionen kennenlernt, fördert man die eigene Sensibilität für Vielfalt.

Die Schulpolitik steht spätestens seit der „Buona Scuola“-Reform im Zeichen der Annäherung von Schulen und Privatwirtschaft. Als ich Vorsitzender war, kritisierte ich die einseitige Fokussierung auf Unternehmen, während Gewerkschaften außen vor gelassen wurden. Für mich diente die gewünschte Annäherung dazu, den Markt mit anpassungswilligen Leistungsmaschinen zu speisen. Wie steht der LBS heute dazu?
Schwer zu sagen. Wir haben alles andere als eine bestimmte Position dazu erarbeitet. Die Wechselwirkung von Schule und Wirtschaft bzw. die Ausrichtung der Schule auf Beruf und Arbeitsmarkt stand im vergangenen Jahr wortwörtlich nicht auf der Tagesordnung. Allerdings haben sich einige Delegierte darüber beklagt, sich bei der Suche nach Pflichtpraktikumsplätzen schwer zu tun.

Diese Praktika sollen die mangelnde „Praxistauglichkeit“ der italienischen Schule ausgleichen, die Beobachter ihr nachsagen. Die Schule sei ihnen zufolge zu theoretisch, vieles sei überflüssig. Dabei sah ich gerade darin den Sinn der Schule: das zu vermitteln, was man im Alltag nicht erfährt. Bin ich ein hoffnungsloser Idealist?
Jedenfalls bist du nicht meiner Meinung (lacht). Ich bin überzeugt, dass die Schule sehr wohl und vor allem dazu da ist, auf das spätere Leben vorzubereiten. Das kann die Erziehung daheim angesichts immer komplexerer Verhältnisse nicht mehr alleine stemmen. Das soll heißen: Auch praktische Fragen der Lebensgestaltung, des Alltags gehören in die Schule. Dagegen kann auf „Überflüssiges“, wie du es nennst, auch verzichtet werden.

„Die Liebe zur Theorie mag in Italien zwar besonders verwurzelt sein, sie ist aber das zentrale Problem eines veralteten Konzeptes von Schule, das wir pflegen.“

Du willst also auch lieber hören, wie man eine Steuererklärung ausfüllt, als zu lernen, ein Gedicht in vier Sprachen zu interpretieren?
Dieser Tweet einer deutschen Schülerin hat für Aufsehen gesorgt und ist klarerweise sehr pointiert. Aber ich finde die Aussage treffend und unterstützenswert. Damit bin ich nicht alleine. Sehr viele, eher die meisten Schülerinnen und Schüler, teilen diesen pragmatischen, nüchternen Blick auf die Schule und ihre Erwartungen an sie. Die Liebe zur Theorie mag in Italien zwar besonders verwurzelt sein, sie ist aber das zentrale Problem eines veralteten Konzeptes von Schule, das wir pflegen.

Im Rahmen des Autonomiekonvents wurde viel und heftig über die Zukunft von Art. 19 des Autonomiestatuts diskutiert, also über das Recht auf muttersprachliche Bildung. Wie steht der LBS zur Bedeutung der deutschsprachigen Schule für Südtirol? Ist sie zentrale Voraussetzung für das Bestehen der deutschen Kultur südlich des Brenners?
Dieses Thema ist schwierig und mühsam. Wir als LBS haben einen klaren sprachpolitischen Standpunkt: Ausbauen ja, überstürzen nein! Zusammen mit unseren Kolleginnen und Kollegen der ladinischen und italienischen Schulwelt sowie den Elternvertretenden fordern wir, mehr Wert auf die Förderung der Zweisprachigkeit zu legen. Da haben wir auch den allergrößten Teil der Bevölkerung hinter uns, wie Umfragen belegen. Südtirol hat natürliche Voraussetzungen, ein kollektiv mehrsprachiges Vorzeige-Land zu sein.

Vor allem ist es ein Vorzeige-Land in puncto ethnisch getrenntem Schulwesen. Ist die Zusammenlegung der Schulämter und -systeme kein Anliegen der Schülervertretung?
Wie gehabt – nichts Überstürzen. Maßnahmen zum gegenseitigen Austausch zwischen den Schulsystemen und Sprachen wurden bereits erfolgreich ergriffen – ich denke da an CLIL. Doch für eine institutionelle Großreform sehe ich momentan keine große Bereitschaft.

Soll nicht gerade unsere Generation, also auch die der Oberschülerinnen und Oberschüler, diese Trennung provokativ und offensiv denunzieren, Alternativen entwickeln und verbreiten und damit die fehlende „Bereitschaft“ aktiv herbeiführen?
Die Aufgabe des LBS ist es, sachlich zu sein. Dafür braucht es Realitätssinn. Ich glaube, unsere Forderungen sind in einer Politik der „kleinen Schritte“ besser aufgehoben. Vor allem in heiklen Fragen, die man lieber gemeinsam und mit Vernunft angehen sollte.

Also vorerst keine Demoschilder zur zweisprachigen Schule. Hingegen will das neue Mitbestimmungsgesetz (Entwurf vom März 2017) die bisherigen drei Landesbeiräte der Schülerinnen und Schüler vereinigt sehen …
Dieser Passus ist weder auf unseren Antrag hin noch nach Rücksprache mit uns aufgenommen worden. Bereits der Ursprung dieser geplanten Regelung ist völlig intransparent und undemokratisch. Weshalb sollen die Landesbeiräte fusionieren, aber nicht die viel gewichtigere höhere Bürokratie?

„Die Schulautonomie ist für Schönwetterlagen da.“

Landesrat Achammer scheint sich meinen Ausspruch zu Herzen zu nehmen, wonach sich die Interessen der Schülerinnen und Schüler nicht an ihrer Sprache unterscheiden, sondern zwischen Klassenbank und Lehrerpult …
Im Großen und Ganzen vielleicht. Und wo wir gemeinsame Forderungen haben, arbeiten wir auch zusammen. Aber es gibt nun einmal in Sachfragen unterschiedliche Schwerpunkte, die sich aus der Verschiedenheit der Schulsysteme ergeben. Zudem würde die Arbeit ziemlich unübersichtlich werden, auch sprachlich. Vor allem ärgert mich aber, dass diese wesentliche Entscheidung ohne uns getroffen wurde. Das entspricht dem rein technokratischen Vorgehen bei der Erarbeitung des neuen Mitbestimmungsgesetzentwurfs.

Technokratisch?
Ja, rein amts-intern. Die versprochene gemeinsame Arbeitsgruppe mit Schülerinnen und Schülern und Eltern kam nie zustande. Der Entwurf war einfach da. Ein schön beworbener Bildungsdialog reicht nicht: Wer die Mitbestimmung ändern will, muss dies ernsthaft mit den Adressaten der Partizipation zusammen tun. Alles andere ist widersprüchlich.

Technokratie, Effizienzdünkel, Autorität – das erinnert mich an meine nicht allzu positive Beschreibung der Schulautonomie, dem großen Trend der Schulpolitik. Ich fand immer, dass sich dahinter nur der Rückzug der Politik aus ihrer gestalterischen Verantwortung für die Schulwelt verbirgt und eine „Autonomie“ für die Direktoren. Was meinst du?
Die Schulautonomie ist für Schönwetterlagen da. Für eine ideale Schule, die nach dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ funktioniert, braucht es keine zentralen Vorschriften. Eine solche Schule weiß tatsächlich am besten, wie sie sich – und die Mitbestimmung – zu organisieren hat. Was ist aber, wenn die Schulen die gewonnene Freiheit, sich zu verfassen, auf die älteste und einfachste Weise nutzen – nämlich die autoritäre? Was ist, wenn sie sich alleingelassen und überfordert fühlen mit ihren neuen Aufgaben? Das ist im Trentino geschehen, wo man jetzt langsam zurückrudert.

Wie wirkt sich das Konzept der Schulautonomie auf die Schülervertretung aus?
Ein 16-jähriger Schüler kann sich leichter in die rechtliche Materie einarbeiten, wenn er ganz klar weiß, welche Vorschriften nun gelten und welche nicht. Die Schulautonomie hat hingegen zu einem Gesetzes-Relativismus geführt. Wenn sich der Schwerpunkt vom Land zu den einzelnen Direktionen verlagert, spüren auch wir vom LBS das. Unser Einfluss als zentrale, sammelnde Kraft schwindet dann.

Ich nehme seit Einsetzen der neuen Migrationswelle eine Verschärfung des fremdenfeindlichen Diskurses in Südtirol wahr. Rechte Positionen gewinnen an Zuspruch. Das betrifft nicht zuletzt unsere Generation. Und doch sehe ich niemanden gegen Rassismus und Nationalismus auf die Straße gehen. Gibt es keinen Grund zur moralischen und politischen Empörung?
Sind wir als LBS denn für eine solche Empörung zuständig? Die Schülervertretung muss Lösungsvorschläge für schulpolitische Fragen erarbeiten. Wir wollen nicht als politisch, parteiisch wahrgenommen werden.

„Wir haben als Schülerschaft mehr Rechte, als wir annehmen und mehr Möglichkeiten, als wir nutzen.“

Du trennst Schul- und Allgemeinpolitik. Geht das überhaupt? Für mich ist Neutralität illusorisch, auch parteiisch. Der LBS war für mich immer auch ein gesamtpolitisches Organ der Südtiroler Oberschülerinnen und Oberschüler, das sich mit allen politischen Phänomenen zu befassen hat, mit denen sie im Alltag konfrontiert werden …
Dem stimme ich nicht wirklich zu. Der Landesbeirat soll nicht politisch gefärbt sein. Am ehesten könnte ich mich noch mit dem österreichischen System der Schülervertretung anfreunden. Hier gibt es vor allem zwei Schülerparteien, die um an sich neutrale Ämter konkurrieren. So bilden sich keine Meinungsmonopole, denn man hat Alternativen.

Bleiben wir beim LBS an sich. Ich habe meine Tätigkeit damals genossen. Manchmal aber hatte ich das Gefühl, Teil einer Alibi-Organisation zu sein, in der sich politisch wache Leute profilieren und die eine formelle Macht suggeriert, die sich im Schulalltag nicht zeigt. Sehe ich das allzu pessimistisch?
Du motivierst nicht gerade … (lacht) Nein, ich sehe dieses Alibi nicht. Du hast aber insofern Recht, als dass Theorie und Praxis nicht ganz harmonieren. Wir haben als Schülerschaft mehr Rechte, als wir annehmen und mehr Möglichkeiten, als wir nutzen. Das ist von manchen Leuten ja auch so gewollt. Die Gegenseite muss also über ihren Schatten springen und uns Jugendliche ernster nehmen. Aber um ehrlich zu sein – uns Gehör verschaffen können nur wir selbst.


Jasmine Rouimi (*1999) besucht die Wirtschaftsfachoberschule in Auer. Im Herbst 2016 wählte sie der Landesbeirat der Schüler (LBS) zu seiner Vorsitzenden. Sie wird dieses Amt bis zur Matura ausüben. In ihre bisher einjährige Amtszeit fiel die Ausweitung der zuvor begonnenen Annäherung zu den übrigen Schüler- und Elternbeiräten und die Reform der internen Struktur des Landesbeirats. Laut (noch) geltendem Recht aus dem Jahr 1995 ist der Landesbeirat der Schüler sowohl Beratungsorgan der Landesregierung in Bildungssachen, als auch Interessensvertretung der deutschsprachigen Oberschüler auf Landesebene und setzt sich aus zwei Delegierten pro Oberschule zusammen.

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