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Debora Longariva
Veröffentlicht
am 18.10.2018
LeuteJetzt mal ehrlich!

„Ein bisschen Jammern darf sein“

Veröffentlicht
am 18.10.2018
Verlieben sich Klienten in ihre Psychologen? Und analysieren die wirklich alles und jeden? Eine Psychologin packt aus.
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Klaudia* ist Psychologin und therapiert in ihrer Praxis Erwachsene und Jugendliche. Patentrezept gibt es keines, ihr Job sei wie Detektivarbeit, sagt sie – und genau das mache ihn so schwierig und zugleich spannend.

Böse Zungen behaupten, Psychologen hätten alle einen Knacks. Wollt ihr in Wahrheit nur euch selbst therapieren?
Zu Beginn meines Psychologie-Studiums wurde ein Fragebogen durch den Hörsaal gereicht. Das Ergebnis war tatsächlich, dass für ein Drittel der Studenten die eigenen Probleme der Ansporn für das Studium waren. Ich glaube schon, dass wir Psychologen generell sensibler und deshalb eine Risikogruppe sind. Viele Berufe haben solche Risikofaktoren, die Vorurteile sind nicht immer ganz unbegründet. Es gibt Baristas, die Alkoholiker sind, oder Ärzte, die den Beruf gewählt haben, weil sie selbst Erfahrungen mit Krankheiten gemacht haben. Aber ich würde niemandem raten, Psychologe zu werden, um sich selbst zu therapieren. Man muss schon sehr stabil sein.

Wer sind Ihre Klienten?
Ein Drittel Männer, zwei Drittel Frauen. Die meisten sind entweder Anfang 20 oder Mitte 50. In diesen Altersstufen ist die psychische Belastung am höchsten.

Mit welchem Problem wenden sich Klienten am häufigsten an Sie?
Viele meiner Klienten sind Angstpatienten, von sozialen Ängsten bis hin zu Zwangsstörungen ist alles dabei. Panikattacken sind auch sehr häufig, ebenso wie depressive Verstimmungen. Und sehr viele stecken einfach in einer Lebenskrise, zum Beispiel aufgrund eines Jobwechsels oder einer Trennung.

Wie oft sind Sie von Ihren Klienten genervt?
Ich habe wirklich sehr starke Nerven. Aber an manchen Tagen sitze ich einem Patienten gegenüber und denke mir, also bitte, es gibt Menschen, denen geht es echt schlechter als dir! Am Abend gönne ich mir dann schon mal ein Glas Wein. Die Person macht das natürlich nicht absichtlich. Oft spreche ich es an und sage: „Schau, jetzt jammern wir schon seit drei Stunden über dasselbe. Ich weiß, dass Ihre Mitmenschen das auch immer wieder so hören. Und deswegen entfernen sie sich von Ihnen.“ Ein bisschen Jammern darf schon sein, das gehört dazu. Aber ja, manchmal nervt es selbst mich, ich glaube, es wäre unmenschlich, wenn es anders wäre.

Hand aufs Herz: Wie oft erzählen Sie Geschichten Ihrer Klienten weiter?
Tatsächlich mache ich das nie. Südtirol ist so klein, ein Detail zu viel reicht da schon, um zu erkennen, wer das sein könnte. Ich gehe zwar nach Hause und sage, heute hatte ich mit einem Thema zu tun, das mich echt beschäftigt hat, aber mehr erzähle ich nicht. Ich weiß, dass manche Kollegen das nicht so eng sehen, aber ich finde, das geht gar nicht.

Gibt es Fälle, bei denen Sie selbst keinen Ausweg sehen?
Leider ja. Reine Gesprächstherapie reicht nicht immer. Bei schweren Persönlichkeitsstörungen oder einer bipolaren Störung zum Beispiel ist eine medikamentöse Behandlung notwendig, damit Gesprächstherapie überhaupt möglich wird. Eine solche Krankheit kann einen ein Leben lang begleiten. Es gibt Fälle, bei denen man leider sagen muss, da gibt es keine Heilung – nur Linderung.

Hat sich schon einmal einer Ihrer Klienten umgebracht?
Einmal, aber in den Fall war ich zum Glück nur kurz involviert. Es hat mich zwar getroffen, aber da war noch keine lange Beziehung aufgebaut. Manchmal ist die Krankheit so stark, dass die Betroffenen keinen anderen Ausweg sehen. Die Angst davor, dass sich ein Klient umbringt, schwirrt einem als Psychologe ständig im Hinterkopf herum. Ich weiß, ich würde mich fragen, was ich hätte anders machen können.

Macht uns die Gesellschaft krank oder ist eine „schwere Kindheit“ wirklich aller Probleme Ursprung?
Was wir heute sind, ist ein Produkt aus dem, was wir im Leben gelernt haben. Tiefgreifende psychische Probleme deuten darauf hin, dass in der Kindheit wichtige Bedürfnisse nicht erfüllt wurden. Prinzipiell geht man von einem Biopsychosozialen Ursachenmodell aus. Das heißt, die Krankheiten basieren nicht nur auf biologischen Faktoren, wie genetischer Veranlagung, und psychologischen Faktoren, wie dem Selbstwertgefühl, sondern eben auch auf sozialen Faktoren, wie der Gesellschaft.

Können Sie alle Menschen zum Weinen bringen?
Alle sicher nicht, aber wir haben da schon emotionale Techniken, mit denen wir Gefühle verstärken können. Am Anfang der Therapie weinen ganz viele. Die Situation ist ungewohnt und dann steht da schon die Taschentuchbox auf dem Tisch. Bei Kindheitserinnerungen fliesen generell schnell Tränen.

Verlieben sich Klienten wirklich in ihren Psychologen?
Ja, das passiert. Oft ist es verständlich. Wir Menschen haben nämlich – ob wir es zugeben wollen, oder nicht – ein extremes Bedürfnis nach Bindung. Die Klienten sind oft introvertiert und haben keinen Zugang zum anderen Geschlecht. Ein Psychologe ist nett, aufmerksam, nimmt sich Zeit für sie. Das wird dann ungewollt falsch gedeutet.

Ein Beispiel?
Ein Klient hat mir ganz offen gesagt, dass er sich in mich verliebt hat. Da habe ich natürlich sofort einen Strich gezogen. Wir haben das Problem allerdings besprochen und geklärt und trotzdem mit der Therapie weitergemacht. Schlussendlich kann der Klient auch etwas daraus lernen. Bei manchen Klienten habe ich bisher nur einen Verdacht, dass es vielleicht Gefühle gibt, die über die therapeutische Beziehung hinausgehen. Sexuelle Übergriffe gab es bisher zum Glück nicht.

Wie anstrengend ist es im Alltag, Psychologe zu sein? Analysieren Sie alles und jeden?
Automatisches Denken passiert zwar, aber ich setze mich nicht bewusst mit den Menschen auseinander, wie ich es mit Klienten mache. Einerseits, weil ich sowieso nicht objektiv bin, aber auch weil ich ganz ehrlich einfach überhaupt keine Lust dazu habe.

Was wäre, wenn wir alle immer ehrlich zueinander wären?
Manchen Menschen täte es besser, weniger ehrlich zu sein. Nach dem Motto „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“ sollten wir meiner Meinung nach immer abwägen, womit wir mehr Schaden anrichten. Ich glaube nicht, dass das gesellschaftliche Zusammenleben funktionieren würde, wenn alle immer ehrlich wären.

Wie schätzt man Menschen im Alltag am besten ein?
Bauchgefühl. Wir haben recht gute Antennen. Auch wir Psychologen sind keine Röntgenapparate, wir haben psychologische Theorien, die uns helfen, das alles besser zu verstehen, aber wir sind keine Hellseher. Menschen einzuschätzen, ist schwierig. Wir liegen alle mal falsch. Wenn jemand wirklich nur eine Seite von sich zeigen will, dann gelingt ihm das auch.

*Name geändert

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