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Franziska Eckert
Veröffentlicht
am 23.07.2018
LeuteJetzt mal ehrlich!

„Ein ganz normaler Mensch“

Veröffentlicht
am 23.07.2018
Wie ist das, ein Leben im Rollstuhl? Eine junge Studentin gibt Antwort – offen und ehrlich.
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Miri ist eine junge, lebensfrohe Studentin, die sich in ihrer Freizeit mit Freunden trifft und gern reist. Aktuell verbringt sie viel Zeit in der Bibliothek und arbeitet an ihrer Masterarbeit in Theaterpädagogik. Doch Miri hat eine Besonderheit, die sie von vielen anderen in ihrem Alter unterscheidet: Seit sie denken kann, sitzt sie im Rollstuhl.

Wir haben Miri gefragt, wie das Leben mit Rollstuhl ist, und sie hat uns ganz ehrlich geantwortet.

Warum kannst du nicht laufen?
Ich habe eine spinale Muskelatrophie. Das ist eine Form von Muskelschwund. In einem meiner Gene fehlt ein Protein, wodurch die Nervenzellen keine Impulse an die Muskeln übertragen können. Diese werden dadurch immer schwächer. Als Baby konnte ich krabbeln und mich bewegen. Während alle in meiner Babygruppe angefangen haben zu laufen, lag ich aber immer noch da. Damals konnte man noch nichts dagegen machen. Jetzt sitze ich im Rollstuhl und kann meine Beine und Arme nur sehr eingeschränkt bewegen. Seit eineinhalb Jahren gibt es ein Medikament gegen die Krankheit. Über die Wirbelsäule wird es ins Rückenmark gespritzt. Sobald Babys heute die Diagnose bekommen, kann man eine Therapie beginnen und die Krankheit im Verlauf abschwächen oder sogar stoppen. Es ist schade, dass ich die Möglichkeit dazu nicht hatte, aber ich versuche das Beste daraus zu machen.

Seit wann hast du deinen Rollstuhl?
Meine Krankheit wurde festgestellt, als ich eineinhalb Jahre alt war. Lange Zeit saß ich in einem normalen Buggy, also in einem Kinderwagen für größere Kinder. Meinen ersten E-Rollstuhl habe ich mit vier Jahren bekommen. Da war ich reif genug, um ihn selbst zu bedienen.

Was machst du, wenn du im alltäglichen Leben Hilfe brauchst?
Seit ich studiere, lebe ich nicht mehr bei meinen Eltern und habe daher Assistentinnen. Sie unterstützen mich bei alltäglichen Dingen und ersetzen mir die Hände, die ich ja nur eingeschränkt nutzen kann. Ich habe Glück, dass ich mir dabei relativ selbstbestimmt aussuchen kann, wer mir assistiert.

Hast du eigentlich einen Freund?
Ich habe keinen Partner, aber ich hätte schon gern einen und möchte irgendwann eine Familie gründen. Ich bin traurig, dass es durch meine Einschränkung so schwierig ist, einen Freund zu finden.

Was meinst du, warum es so schwierig ist, einen Partner zu finden?
Man kann es leider nicht verhindern, aber in erster Linie sehen die meisten Leute den Rollstuhl und erst danach mich als Menschen. Wenn sie vom Rollstuhl schon abgeschreckt sind, ist es schwieriger, in einen Austausch zu kommen. Da gibt es ziemlich viel Unsicherheit auf beiden Seiten. Wenn ich dann doch jemandem näher komme, stellt sich die Frage, ob derjenige nur nett ist, weil das zum guten Benehmen gehört, oder weil er mich wirklich mag.

Kannst du dir vorstellen, mit einem anderen Rollstuhlfahrer zusammen zu sein?
Natürlich sollte es bei einer Beziehung vor allem um den anderen Menschen an sich gehen und nicht darum, welche Eigenschaften der Partner hat. Zum jetzigen Zeitpunkt würde ich trotzdem sagen, dass ich mir eine Beziehung eher mit einem Mann vorstellen kann, der laufen kann.

Kannst du Kinder bekommen?
Ja, das geht. Ich müsste dann halt einen Kaiserschnitt machen lassen. Da ich die Muskelkrankheit habe, wäre eine natürliche Geburt nicht möglich. Aber da ist die Medizin weit genug, um das Problem zu lösen.

Hast du schon diskriminierende Erfahrungen machen müssen?
Ich erlebe es oft, wenn ich im Rollstuhl gesehen werde, dass mich die Leute behandeln, als hätte ich auch eine geistige Einschränkung. Dann werde ich zum Beispiel gar nicht persönlich angesprochen, obwohl es eine Frage ist, die mich betrifft. Es wird nur meine Begleitung gefragt. Ein anderes Beispiel war, als ich hier vor Ort ein Theaterprojekt machen wollte und die Ansprechpartnerin gefragt hat, wie jemand im Rollstuhl ein Projekt leiten soll. Für manche Leute ist es unverständlich, dass man trotz Rollstuhl ein ganz normaler Mensch ist. Sie war wirklich sehr abwertend. Wenn man von klein auf lernt, dass es normal ist, unterschiedlich zu sein, dann geschieht so etwas später nicht. Man sollte Menschen im Rollstuhl so behandeln, wie man jeden anderen auch behandelt. Man sollte nett und offen auf die Menschen zugehen!

Wie ist es bei der Begrüßung? Möchtest du, dass die Leute sich beim Händeschütteln bücken oder hinknien?
Ich will nicht, dass sich jemand besondere Umstände machen muss. Es ist nur so, dass ich meinen Arm von selbst nicht weit hoch heben kann. Deshalb muss mein Gegenüber von selbst meine Hand ergreifen. Wenn sich das irgendwer nicht traut, ist es meine Aufgabe, sie oder ihn dazu zu ermutigen. Meistens klappt das dann ohne Probleme.

Findest du den Rollstuhl manchmal nervig?
Auf jeden Fall. Ich sitze ja eigentlich den ganzen Tag. Dementsprechend bin ich abends froh, wenn ich aus dem Stuhl raus komme und mich ins Bett legen kann. Man gewöhnt sich aber an den Stuhl und ignoriert die neugierigen Blicke der Menschen so gut es geht. Ich schaue ja auch, wenn ich auf der Straße jemanden im Rollstuhl sehe.

Hast du einen Traumrollstuhl?
Ich habe jetzt einen relativ neuen E-Rollstuhl und habe auch keine speziellen Anforderungen. Mir reicht es, wenn ich darin gut sitzen und normal fahren kann. Aber es gibt auch E-Rollstühle, mit denen man sich zum Beispiel hinstellen kann. Mit meinem kann ich die Füße nach oben fahren und die Rückenlehne nach hinten klappen, sodass ich darin liegen könnte. Das mache ich aber nicht. Für mich ist es nur ein Hilfsgegenstand und ich habe keinerlei emotionale Verbindung zu dem Rollstuhl. Ich gebe ihm keinen Namen, so wie das andere mit ihren Autos machen.

Informierst du dich vorher, ob ein Ort, an den du möchtest, barrierefrei ist?
Zum Teil. Wenn ich irgendwo Urlaub mache, informiere ich mich schon, ob das Hotel barrierefrei ist und ob ich in den Bus oder die Straßenbahn komme. Ich war bisher nur in Europa unterwegs und da hatte ich eigentlich nie Probleme. Ich finde historische Altstädte auch sehr schön. Man muss nur immer abwägen, ob es sich lohnt, sich da durchzukämpfen. Straßen mit Kopfsteinpflaster sind der Endgegner für jeden Rollstuhlfahrer. Letztens war ich in Neapel. Da bin ich dann auf der Straße gefahren, weil die Gehwege für mich nicht geeignet waren. Man findet immer irgendwie eine Lösung und wird mit der Zeit auf jeden Fall zum Improvisationstalent. Ich lasse mich nicht wirklich einschränken.

Du benutzt das Wort Einschränkung. Was hältst du von Begriffen wie Behinderung und Handicap?
Das Wort Behinderung mag ich gar nicht. Behindert wird ja sogar als Schimpfwort benutzt und hat einen stark abwertenden Beigeschmack. Das Wort Einschränkung ist in Ordnung und nicht so wertend. Handicap finde ich auch okay, wobei ich Anglizismen nicht mag.

Wo möchtest du beruflich hin nach deinem Studium?
Trotz Rollstuhl habe ich direkt nach meinem Studium die Möglichkeit bekommen, für ein Jahr eine Dozentenstelle als Theaterpädagogin an meiner Uni zu besetzen. Nebenbei mache ich Projektarbeit an verschiedenen Theatern und betreue einen Theater-Kinderclub. Das ist auch das, was ich später machen möchte. Ich spiele aber auch selbst Theater. Ich beschäftige mich mit Diskriminierung und damit, wie man mit Theater diskriminierende Strukturen in der Gesellschaft aufzeigen und überwinden kann. Ich möchte, dass Kinder schon früh mit Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen in Kontakt kommen und ihnen gezeigt wird, dass das alles normale Menschen sind.

Wie ist es für dich mit dem Rollstuhl auf der Bühne?
Ich sehe da keinen Unterschied zwischen mir und meinen Mitspielenden, die laufen können. Ich mache genau die gleichen Sachen, wie die anderen, nur dass ich für mich eine abgewandelte Umsetzung finden muss. In meiner persönlichen Wahrnehmung bewege ich mich genau wie alle anderen.

Hast du ein Vorbild, dem du nacheiferst?
Meine Mama ist ein sehr großes Vorbild für mich. Sie hat mich nie verhätschelt, nur weil ich im Rollstuhl sitze, sondern hat mich ganz normal erzogen und wie meine Geschwister behandelt. Sie hat mir immer gezeigt, dass ich alles machen kann, was ich will. Sie hat immer gesagt, wenn ich etwas will, dann muss ich nur den Mund aufmachen – der funktioniert schließlich. Beide meine Eltern haben mich immer unterstützt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Fühlst du dich stärker als andere, weil du von Anfang an gelernt hast, dich im Leben durchzukämpfen?
Stärker nicht, aber vielleicht bin in manchen Bereichen kreativer. Irgendeine Lösung kann man immer finden. Wenn es nicht geradeaus geht, sondern um drei Ecken, kann man trotzdem zum Ziel kommen. Vielleicht bin ich auch geduldiger und ausdauernder.

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