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Robin hier!
Ich hoffe, du erinnerst dich noch an mich. Ich bin der mit dem Alkoholthema. Ich mag es eigentlich gar nicht, Menschen durch irgendetwas zu definieren, aber hier mache ich es – weil es für uns beide hilfreich ist.
Du hattest die Möglichkeit, mich kennenzulernen – oder zumindest einen Teil von mir. Und ich hatte in der Zwischenzeit die Gelegenheit, mir weiter Gedanken zu machen, was ich dir noch erzählen möchte.
Zuerst mal die gute Nachricht: Am Tag, an dem ich diese Zeilen schreibe, sind es zwölf Tage. Zwölf Tage ohne Alkohol. Ich kann dich beruhigen – diesmal lüge ich nicht. Zwölf Tage sind nicht viel, aber immerhin ist es schon ein Wochenende. Und das zählt. Zumindest für mich.
Ich sitze wieder in der gleichen Bar als ich meinen ersten Text geschrieben habe. Damals war es regnerisch, drei Tage nach meinem Rückfall und ein Montag. Es ist Freitag und ich spüre wieder einen wahnsinnigen Druck zu trinken.
Meine erste Erinnerung an Alkohol war mit 13, bei einer Halloween-Party irgendwo im Dorf.
Was sich nicht geändert hat: die Gläser auf den Tischen. Neben mir sitzt eine Gruppe Jugendliche. Sie trinken gerade die dritte Runde Bier. Zwei Gläser Limoncello stehen dazwischen und eine Flasche Wein. Jemand hat Geburtstag – ich glaube, eine junge Frau wird heute 20. Ihr Freund hat gerade eine kleine Rede gehalten (mutig, um 18 Uhr in einer vollen Bar). Ich habe nur mit halbem Ohr hingehört, fand es aber total cute. Am Ende meinte er: „Und darauf, dass wir alle gesund bleiben.“ Danach haben alle „Prost“ geschrien. Ich musste fast ein bisschen schmunzeln.
Warum ich das erzähle? Weil es mich irgendwo freut. Und weil ich es gerade sehr vermisse. Sonnenschein, ein Bier oder zwei. Gespräche, die sich tief anfühlen (auch wenn sie es vielleicht gar nicht sind). Aber du kennst mich ja mittlerweile ein bisschen: Bei den zwei Bieren bleibt es bei mir nicht. Deshalb ist es gerade auch schwer. Aber das ist okay. Diesen Kompromiss will und muss ich eingehen.
Wie es überhaupt dazu kam, habe ich dir noch nicht erzählt. Seit dem letzten Mal habe ich viel darüber nachgedacht, wann das eigentlich angefangen hat. Ehrlich gesagt – es ist alles ziemlich verschwommen.
Meine erste Erinnerung an Alkohol war mit 13, bei einer Halloween-Party irgendwo im Dorf. Das einzige Getränk, an das ich mich noch erinnere, ist Stroh 80. Ich weiß nicht mal mehr, ob ich selbst davon getrunken habe oder nur die anderen. Aber das ist mein erster bewusster Kontakt. Es hat geknallt und es war wohl Liebe auf den ersten Blick. Zumindest für mich.
Dann ging es los. Wie ich dir schon mal gesagt habe: So etwas passiert nicht von heute auf morgen.
Über Menschen, die „alkoholkrank“ waren, haben wir Witze gemacht.
Ich hatte bestimmt 14 Jahre lang einen Konsum, über den ich mir keine Gedanken gemacht habe. Alkohol gehörte einfach dazu. Und die Blackouts damals auch schon. Aber die waren normal. Wir haben darüber gelacht. Über Menschen, die „alkoholkrank“ waren, haben wir Witze gemacht.
Es war lustig, zu sagen: „Du bist ja Alkoholiker.“ Wenn ich jetzt zurückdenke, schäme ich mich. Aber damals wusste ich es nicht besser. Die ersten Gedanken, dass an meinem Konsum etwas nicht stimmt, kamen mit 27 – vielleicht auch später.
Ich kann dir nicht mal mehr sagen, welche genau, aber sie waren da. Eine Sache, an die ich mich erinnere: Ich habe mein Tempo angepasst, damit mein Glas genauso voll war wie das gegenüber. Jeder Schluck war irgendwie geplant. Aber das hat nie wirklich funktioniert. Egal, wie sehr ich mich bemühte, irgendwann war ich immer schneller. Immer ein paar Schlucke voraus. Und so kam es, dass ich oft doppelt so viel getrunken habe wie andere – ohne es zu merken.
Während andere fünf Bier tranken, hatte ich das Doppelte – oder mehr. Und das, obwohl ich gar nicht viel brauchte, um betrunken zu sein. Aber das war egal. Ich wollte, dass der Abend niemals endet.
Ich wollte taub sein. Weg. Und irgendwann habe ich gar nicht mehr gemerkt, wie sehr ich schon weg war. Ich war oft der, der am betrunkensten war. Und das war für die anderen lustig. Und für mich war es Bestätigung. Und ab da fing es an, außer Kontrolle zu geraten.
Den ganzen Abend hatte ich schon das Gefühl, dass ich meinen Zustand heute nicht erreiche. Und ich wurde langsam nervös.
Ich erinnere mich an einen bestimmten Abend. Ein Freitag. Ich war feiern, bis ungefähr halb eins. Ein ruhiger Abend – vielleicht sechs Bier. Den ganzen Abend hatte ich schon das Gefühl, dass ich meinen Zustand heute nicht erreiche. Und ich wurde langsam nervös. Weil ich auch wusste, dass der Abend bald enden wird. Ich war nicht betrunken genug, um sofort einzuschlafen. Also habe ich mir den ganzen Abend schon überlegt, was ich jetzt am besten mache.
Ich bin nach Hause – und mein Kopf hat angefangen zu rattern. Ich wusste: Ich kann jetzt nicht schlafen – also habe ich mir ein Bier aus dem Keller geholt. Es war für mich die logischste Lösung meines Problems. Und ich habe es getrunken. Innerhalb von fünf Minuten.
Einfach, damit ich zur Ruhe komme. Ich wusste in dem Moment: Das ist falsch. Trotzdem habe ich es gemacht. Das ist das Gefährliche an einer Sucht. Sobald man eine Grenze überschreitet, verschiebt sich alles. Man denkt sich: „Hab ich ja schon mal gemacht, dann ist’s jetzt auch egal.“
Wenn ich jetzt zurückdenke, wie ich allein in meinem Zimmer war und um halb eins nachts ein Bier getrunken habe, nur um runterzukommen – dann tut das weh.
Und so bin ich Schritt für Schritt gefallen. Immer am Wochenende. Klar, es gab auch Abstürze unter der Woche – aber das meiste passierte am Wochenende. Geschämt habe ich mich selten – aber gelogen habe ich oft. Ich will dir nicht alles erzählen, was passiert ist. Manche Dinge sind zu persönlich.
Ich habe mich zweimal im Schlaf eingenässt. Nicht, weil ich geschwitzt habe, sondern weil ich so betrunken war, dass ich nicht mehr gemerkt habe, was passiert.
Aber ich kann dir sagen: Ich habe mich zweimal im Schlaf eingenässt. Nicht, weil ich geschwitzt habe, sondern weil ich so betrunken war, dass ich nicht mehr gemerkt habe, was passiert. Das klingt entwürdigend – und lass mir dir sagen, dass war es auch. Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas passiert. Aber es ist passiert.
Und selbst dann habe ich nicht aufgehört. Ich habe mich geschämt – aber ich habe weitergemacht. Weil ich es nicht anders konnte. Ich erzähle dir das nicht, um dich zu schockieren. Sondern um zu zeigen, wie tief man fallen kann. Was Alkohol mit einem Menschen machen kann. Wie viel Würde er dir nehmen kann. Ohne dass du es überhaupt bemerkst. Aber es erinnert mich auch daran, warum ich jetzt kämpfe.
Die Geburtstagsgruppe ist inzwischen gegangen. Neben mir stehen noch halbvolle Gläser Bier. Die hätte ich früher bestimmt nicht stehen lassen. Aber das soll nicht mehr mein Problem sein. Mittlerweile hat ein DJ sein Pult aufgebaut und macht gerade einen Soundcheck. Guter Sound, muss ich sagen – aber zu gefährlich für mich. Zumindest heute.
Ich hör jetzt auf zu schreiben, weil mein Kopf langsam nachlässt. Das Wochenende steht vor der Tür – und mein Gehirn merkt, dass es keinen Alkohol mehr gibt. Das kostet Kraft.
Danke fürs Lesen. Ich melde mich. Bis dahin zähle ich nur die nächsten 24 Stunden. Denn darum geht es im Endeffekt.
Pass gut auf dich auf.
Dein Robin
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