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Marion Gamper
Veröffentlicht
am 28.07.2025
LebenInterview

Wie KI die Medizin verändert

Veröffentlicht
am 28.07.2025
Ob bei der Früherkennung chronischer Krankheiten, der genauen Lokalisierung von Tumoren oder der Symptomanalyse: Künstliche Intelligenz verspricht in der Medizin mehr Tempo, Effizienz und Präzision. Sie spielt eine zunehmend zentrale Rolle und hat das Potenzial, die Patientenversorgung grundlegend zu verändern. Doch welche Chancen und Herausforderungen bringt die Integration von KI-Technologien tatsächlich mit sich – und welche ethischen, rechtlichen oder gesellschaftlichen Fragen bleiben bislang unbeantwortet?
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Christian Wiedermann ist Internist und Forscher. Er leitet innovative Projekte am Südtiroler Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Claudiana, wo er die Integration modernster Technologien in die medizinische Praxis vorantreibt. Künstliche Intelligenz, von maschinellem Lernen bis zur Risikobewertung, revolutioniert die Art und Weise, wie Diagnosen gestellt und Behandlungen personalisiert werden. Diese Technologien optimieren Behandlungsprozesse und fördern die Entwicklung maßgeschneiderter Therapien. Dennoch bringt der Einsatz von KI in der Medizin auch Herausforderungen mit sich, insbesondere im Hinblick auf Datensicherheit und ethische Fragestellungen. In diesem Interview spricht Wiedermann über die transformative Kraft von KI in der Medizin und die Auswirkungen auf die Zukunft der Patient:innenversorgung.

BARFUSS: Wie bewerten Sie die Rolle von KI bei der personalisierten Behandlung in der Allgemeinmedizin?
Christian Wiedermann:
Künstliche Intelligenz (KI) bietet enorme Chancen für die personalisierte Medizin in der Allgemeinmedizin. Sie kann große Datenmengen analysieren, um individuelle Risiken vorherzusagen, Diagnosen zu unterstützen und maßgeschneiderte Therapievorschläge zu liefern. So lassen sich Behandlungspläne besser an die genetischen, sozialen und medizinischen Besonderheiten jedes Patienten/jeder Patientin anpassen. Wichtig bleibt dabei die menschliche Kontrolle: KI soll die Hausärzt:innen unterstützen, nicht ersetzen. Damit personalisierte Behandlung funktioniert, müssen zudem Datenschutz, Fairness und die Einbindung der Ärzt:innen gesichert sein.

Welche KI-gestützten Anwendungen sind bereits in der primären Gesundheitsversorgung im Einsatz?
In der Hausarztpraxis sind bereits KI-gestützte Tools für die Diagnoseunterstützung, Risikobewertung und Therapieplanung verfügbar. Beispiele sind Systeme, die Symptome analysieren und Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Erkrankungen errechnen, oder Tools zur Früherkennung chronischer Krankheiten. KI erhebt Qualitätsindikatoren der hausärztlichen Patient:innenbetreuung und ermöglicht gezieltes Feedback. Auch administrative Aufgaben wie Terminplanung oder Dokumentation werden zunehmend von KI unterstützt. Die kommerzielle Praxissoftware, die im Zuge der Digitalisierung ausgebaut wird, integriert dabei vielfach KI-basierte Funktionen. Chatbots helfen Patient:innen zudem bei der Ersteinschätzung von Beschwerden. Ziel ist es stets, die Versorgung effizienter, genauer und patient:innenorientierter zu gestalten.

Christian Wiedermann, Internist und Forscher

Was sind hier die größten Herausforderungen?
Die größten Hürden sind Datenschutz, mangelnde Transparenz der KI-Algorithmen und die Integration in bestehende Praxisabläufe. Viele Ärzt:innen stehen KI skeptisch gegenüber, da sie oft nicht nachvollziehen können, wie die Systeme zu ihren Empfehlungen gelangen. Auch die Datenqualität, auf der KI basiert, ist entscheidend, um Verzerrungen zu vermeiden. Hinzu kommen rechtliche Unsicherheiten, etwa zur Haftung, sowie der Bedarf an Fortbildungen, um den sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit KI zu gewährleisten.

Wie können Allgemeinmediziner:innen von KI-gestützten Entscheidungshilfen profitieren?
KI-gestützte Entscheidungshilfen unterstützen Hausärzt:innen dabei, Diagnosen schneller und präziser zu stellen. Sie liefern evidenzbasierte Therapieempfehlungen und helfen, Risiken frühzeitig zu erkennen. So können auch komplexe Krankheitsbilder besser eingeordnet werden. Gleichzeitig entlasten KI-Systeme im administrativen Bereich, was mehr Zeit für die direkte Patient:innenbetreuung schafft. Wichtig ist dabei eine transparente Gestaltung der Systeme, damit Ärzt:innen die Empfehlungen nachvollziehen und in ihre klinische Entscheidungsfindung einbeziehen können.

Welche spezifischen KI-Technologien setzen Chirurg:innen ein?
Chirurgen nutzen KI in Form von Robotik-Systemen wie dem da Vinci® Surgical System, das durch seine hohe Präzision, Stabilität und feinmotorische Steuerung komplexe Operationen sicherer macht. Künstliche Intelligenz kommt auch bei der präoperativen Analyse von CT- und MRT-Bildern zum Einsatz, um Tumore oder anatomische Besonderheiten exakter zu lokalisieren und die Operationsstrategie mittels 3D-Planung individuell auf die Patient:innen abzustimmen.

Echtzeit-Assistenzsysteme analysieren während der Operation Videobilder, um kritische Strukturen wie Nerven oder Blutgefäße zu erkennen. Diese Verfahren befinden sich bereits in spezialisierten Zentren im klinischen Einsatz, etwa in der laparoskopischen Chirurgie oder in der neurochirurgischen Navigation. Die Routineanwendung bleibt vorerst auf wenige spezialisierte Eingriffe begrenzt, ist jedoch in rascher Entwicklung. Zudem kommen KI-gestützte Simulationen und Trainingsprogramme zum Einsatz, um chirurgische Fähigkeiten praxisnah zu verbessern.

Die Kombination aus KI und ärztlicher Erfahrung bietet aktuell den besten Sicherheitsstandard.

Wie beurteilen Sie die Sicherheit und Genauigkeit von KI-gestützten chirurgischen Assistenzsystemen?
KI-Assistenzsysteme in der Chirurgie erreichen in Studien oft hohe Genauigkeiten von über 80 Prozent bei der Erkennung anatomischer Strukturen. Auch die automatische Identifikation von Operationsphasen – also den verschiedenen Schritten eines Eingriffs wie Schneiden, Nähen oder Entfernen von Gewebe – entwickelt sich stetig weiter. Dennoch müssen diese Systeme in unterschiedlichen klinischen Szenarien umfassender getestet werden, um ihre Zuverlässigkeit und Sicherheit flächendeckend zu bestätigen. Besonders wichtig bleibt die ständige Überwachung durch erfahrene Chirurg:innen, da komplexe Situationen und unerwartete Komplikationen menschliche Expertise erfordern. Die Kombination aus KI und ärztlicher Erfahrung bietet aktuell den besten Sicherheitsstandard.

Gibt es ethische Bedenken im Zusammenhang mit dem Einsatz von KI in der Chirurgie?
Ja, vor allem in den Bereichen Verantwortung und Transparenz. Wer haftet bei einem KI-bedingten Fehler: die Entwickler, die Klinik oder der Operateur/die Operateurin? Auch die Nachvollziehbarkeit von KI-Entscheidungen ist kritisch, da viele Systeme eine Art „Black Box“ bleiben. Zudem müssen Patient:innen umfassend über den Einsatz von KI informiert und ihre Zustimmung eingeholt werden. Die Datensicherheit und der Schutz sensibler Gesundheitsdaten sind weitere ethische Aspekte.

Welche Rolle spielt KI bei der postoperativen Überwachung von Patient:innen?
KI ermöglicht eine engmaschige Überwachung von Patient:innen nach Operationen durch die Analyse von Vitalparametern, Laborwerten und Bildern. So können Komplikationen wie Infektionen oder Blutungen frühzeitig erkannt werden. Wearables, also tragbare Sensoren wie smarte Uhren oder Pflaster, messen kontinuierlich Gesundheitsdaten wie Puls, Blutdruck oder Sauerstoffsättigung und übertragen sie automatisch an das medizinische Team. KI-gestützte Telemedizinplattformen erlauben zudem die Fernüberwachung, was die Nachsorge verbessert und Krankenhausaufenthalte verkürzt. Auch die Schmerzerkennung und personalisierte Rehabilitationsprogramme profitieren von KI.

KI kann Personalmangel abmildern, vor allem durch Automatisierung administrativer Prozesse wie Terminplanung oder Dokumentation.

Welche technologischen Trends sehen Sie in der Weiterentwicklung von KI im Gesundheitswesen?
Zentrale Trends sind die Entwicklung von „Explainable AI“, also erklärbaren KI-Systemen, die ihre Entscheidungswege offenlegen. So können Ärzt:innen und Patient:innen besser nachvollziehen, wie eine Diagnoseeinschätzung oder eine Therapieempfehlung zustande gekommen ist. Auch die Integration verschiedener Datenquellen wie Genetik, Bildgebung und Umweltfaktoren zur ganzheitlichen Diagnostik nimmt zu. Generative KI, wie ChatGPT, unterstützt in der Dokumentation und Patientenkommunikation. Zudem wächst die Bedeutung von Datenschutztechnologien wie „federated learning“. Dabei werden KI-Modelle direkt auf dezentral gespeicherten Patientendaten trainiert, ohne dass diese sensiblen Informationen das Krankenhaus oder die Praxis verlassen. So bleibt die Privatsphäre der Patient:innen geschützt, während die KI dennoch aus vielen Daten lernen kann.

Wie wichtig sind Schulungen für medizinisches Personal im Umgang mit KI-Technologien?
Schulungen sind essentiell. Ärzt:innen und Pflegekräfte müssen verstehen, wie KI-Systeme funktionieren, wo ihre Stärken und Grenzen liegen und wie man ihre Ergebnisse sinnvoll in die Behandlung integriert. Ohne diese Kompetenzen besteht das Risiko von Fehlinterpretationen oder blinder Abhängigkeit. Fortbildungen sollten technisches Verständnis, ethische Fragen und kommunikative Fähigkeiten gleichermaßen fördern.

Kann die KI dem Personalmangel in den Krankenhäusern entgegenwirken, und wenn ja, in welchen Bereichen sehen Sie die größten Chancen?
Ja, KI kann Personalmangel abmildern, vor allem durch Automatisierung administrativer Prozesse wie Terminplanung oder Dokumentation. Auch die Überwachung von Patient:innen über KI-gestützte Systeme reduziert den Pflegeaufwand. In der Pflege können Routineaufgaben teilautomatisiert werden, wodurch mehr Zeit für persönliche Betreuung bleibt. Zudem ermöglicht KI eine bessere Personalplanung durch vorausschauende Analysen des Patient:innenaufkommens.

Wichtig ist eine bewusste, reflektierte Nutzung von KI als Unterstützung, nicht als Ersatz für ärztliche Entscheidungen.

Wie können Südtirols Ärzt:innen KI verantwortungsvoll und patientenorientiert nutzen?
Wichtig ist eine bewusste, reflektierte Nutzung von KI als Unterstützung, nicht als Ersatz für ärztliche Entscheidungen. Südtirols Ärzt:innen sollten sich aktiv weiterbilden, um die Funktionsweise und Grenzen von KI-Systemen zu verstehen. Transparenz gegenüber Patient:innen, Datenschutz und eine enge Verzahnung mit bewährten medizinischen Standards sind entscheidend. Zudem sollten Ärzt:innen an der Entwicklung und Anpassung von KI-Lösungen mitwirken, um regionale Besonderheiten und Patientenbedürfnisse zu berücksichtigen. Ein Beispiel ist das vom Land Südtirol unterstützte Projekt SAMNET zur sektorenübergreifenden Versorgung, das digitale Lösungen in die Praxis integriert. SAMNET entwickelt ein digitales Netzwerk zur besseren Kommunikation zwischen Hausarztpraxen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.

Das Institut für Allgemeinmedizin hat zudem den Einsatz KI-basierter Symptom-Checker erforscht. Die Studie zeigte, dass Patient:innen diese Tools vor einem Arztbesuch überwiegend positiv bewerten, während Ärzt:innen skeptischer bleiben – insbesondere wegen der diagnostischen Genauigkeit. Dennoch wurden positive Effekte auf die Patient:innenreflexion und Vorbereitung auf das Arztgespräch festgestellt.Darüber hinaus evaluiert die ABCC-Studie in einer randomisierten kontrollierten Untersuchung die Wirkung von KI-basierten Chatbots auf die Patient:innenvorbereitung und Entscheidungsqualität in der Allgemeinmedizin. Ziel ist es, herauszufinden, ob solche Systeme die Patient:innenbeteiligung stärken und die Versorgungsqualität verbessern können.

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