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Veröffentlicht
am 11.02.2019
LebenStraßenzeitung zebra.

Wie gemacht für die Bühne

Veröffentlicht
am 11.02.2019
Das professionelle Theaterensemble ​„Teatro La Ribalta“ erobert die Bühnen. Das Besondere: In der Theaterkompanie spielen Schauspieler mit und ohne Beeinträchtigung.
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Im Probelokal „T.RAUM“ in Haslach

„Mehr Gefühl! Spielt es für euch, nicht für die anderen!“ Antonio Viganòs tiefe Stimme dröhnt durch den Raum und die jungen Schauspieler*innen beginnen von vorne. Sechs Tage die Woche üben sie hier vier Stunden pro Tag ihre Stücke ein. Immer mittendrin der charismatische Mann, der zugleich Gründer und Regisseur des Theaters La Ribalta ist.

Als Antonio Viganò 2012 in Bozen damit begann, an seiner „konkreten Utopie“ einer Theatergruppe zu arbeiten, in der Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammenarbeiten sollten, wurde er belächelt. Doch mit seinen poetischen, gesellschaftskritischen Stücken, in denen er unter anderem die Misshandlung von Beeinträchtigten in der NS-Zeit thematisierte, aber auch Klassiker wie Hamlet neu interpretierte, machte er sich in kurzer Zeit einen Namen.

„La Ribalta“ bedeutet „die Bühne“ und diese erregte Aufsehen in der Theaterszene. Viganò konnte Persönlichkeiten wie Julie Anne Stanzak, Choreografin und ehemalige Tänzerin des Tanztheaters Pina Bausch sowie die Regisseure und Dramaturgen Michele Eynard und Alessandro ins Boot holen. Jede einzelne Probe, jede erneute Aufführung wurde so zu einem konstanten Prozess, Theater zu lebendiger Materie. „Die anderen werden dir immer sagen, was du bist und was du nicht bist. Wenn du dich davon bestimmen lässt, wirst du zum Gefangenen dieser Vorstellungen. Ribalta versucht genau diese Erwartungen und Vorstellungen zu brechen“, erklärt er. Im Dezember 2018 machte sich die harte Arbeit dann bezahlt: Das Ensemble wurde mit dem UBU-Preis ausgezeichnet, die höchste Anerkennung im Bereich Theater und Tanz, die in Italien verliehen wird. Die Plätze ihrer Aufführungen waren ausverkauft.

La Ribalta in Aktion: „Otello“

Einer der Schauspieler*innen, die bei der UBU-Preisverleihung in Mailand mit dabei waren, ist Rodrigo Scaggiante. Er spielt die Hauptrolle in der Neuinterpretation von Shakespeares Othello, mit dem Ribalta seit Juni 2018 durch Italien tourt. Dabei hätten sich weder er noch seine Eltern vor sechs Jahren vorstellen können, dass er eines Tages vor hunderten Leuten auf der Bühne stehen würde.

Rodrigos Leben war nie nach gewöhnlichen Maßstäben verlaufen. Geboren in der brasilianischen Millionenmetropole Salvador da Bahia, verbrachte er sein erstes Lebensjahr in einem Waisenhaus. Aufgrund seiner kognitiven Beeinträchtigung ist ihm ein unabhängiges Leben unmöglich. Das Ehepaar Scaggiante aus Brixen, das ihn adoptierte, sah darin keinen Grund, sich entmutigen zu lassen. Bis zu den INASWeltmeisterschaften in die Türkei begleitete Luigino Scaggiante seinen Sohn, der dort als bester Italiener im Riesenslalom durchs Ziel fuhr. Dann der Glücksgriff: Als die Lebenshilfe Südtirol vor etwa sechs Jahren im Rahmen eines ESF-Projekts einen Theaterkurs für Menschen mit Beeinträchtigung anbot, bewarb sich Rodrigo – und wurde genommen.

Nach einer sechsmonatigen Ausbildung erhielt er einen fixen Arbeitsvertrag beim neu gegründeten Theaterensemble Teatro La Ribalta. „Am Anfang haben wir uns gefragt, ob sich der organisatorische Aufwand lohnt, aber als Rodrigo das erste Mal vor uns auf der Bühne stand, haben wir geweint, so emotional war das Ganze für uns. Und seitdem sind unsere Emotionen nur gestiegen“, erklärt sein Vater. Rodrigos Lampenfieber ist hingegen weniger geworden: „Wenn ich vor Aufführungen sehr nervös bin, höre ich Musik oder telefoniere mit meinen Eltern“, sagt der Schauspieler.

Schauspielerin Melanie Goldner und Mutter Hildegard

Das Theater stellte jedoch nicht nur das Leben der Familie Scaggiante auf den Kopf. Neun weitere junge Frauen und Männer erhielten durch das Projekt die Chance auf eine Schauspielkarriere. Eine davon war Melanie Goldner. Sie ist aufgrund ihres Handicaps auf einen Rollstuhl angewiesen und kann sich nicht selbst versorgen. Bei jeder Probe und jeder einzelnen Aufführung ist deshalb ihre Mutter Hildegard mit vor Ort. Bei 60 bis 80 Aufführungen im Jahr, sei es in Apulien oder der Lombardei, in Südtirol, England oder Spanien, ist das eine Herausforderung für die ganze Familie. „Für uns war es immer wichtig, dass Melanie selbst entscheidet und tut, was ihr gefällt. Da sie schon als Kind gerne vor uns Texte rezitierte, wollten wir ihr diesen Traum ermöglichen“, so Hildegard Goldner. Sie präzisiert, dass das, was Ribalta so erfolgreich mache, auch einer einfachen Tatsache unterliegt: Alle Schauspieler*innen werden gleich und „normal“ behandelt. „Oft wird auch einfach übersehen, was nicht möglich ist und das ist wiederum eine Chance für die Schauspieler*innen, über das Empfinden, ‚anders‘ zu sein, hinwegzukommen.“

Diese Andersartigkeit ist ein Thema, das Antonio Viganò immer wieder in seinen Stücken aufnimmt. „Da vicino nessuno è normale“, titelt eines der Stücke, mit denen das Theaterensemble in den vergangenen Jahren durch Italien und Europa tourte. Er erklärt: „Es gibt noch immer einen Teil der Gesellschaft, der uns aus einem caritativen Blickwinkel heraus betrachtet. Solche Reaktionen versuchen wir zu vermeiden. Stattdessen versuchen wir mit der Qualität unserer Theaterleistungen zu überzeugen.“

Elsa Noflatscher, Vize-Präsidentin der Lebenshilfe, bestätigt: „Viganò hat mit dem Teatro La Ribalta etwas ganz Besonderes geschaffen. Er wollte kein Sozialprojekt gründen, sondern eine professionelle Theatergruppe mit allen Erfolgschancen. Dass sie schon auf Festivals in Argentinien, Polen und im Iran auf der Bühne standen, zeigt, dass es ihm gelungen ist.“

T.RAUM steht in fetten, roten Großbuchstaben über dem Probelokal von Ribalta in Haslach. Sie stehen für Viganòs ursprünglichen Traum, in Bozen einen offenen Raum zu schaffen, in dem sich seine Schauspieler*innen „di-versi“ entwickeln und mit anderen austauschen können. Schauspieler Rocco Ventura ist überzeugt, dass es ihm gelungen ist. „Hier fühle ich mich frei. Hier kann ich all das ausdrücken, was ich sonst immer zurückgehalten habe“, sagt er, „hier ist der Raum, wo Träume wahr werden.“

„Theater ist immer politisch“

Interview mit Regisseur Antonio Viganò

Regisseur und Gründer Antonio Viganò

Sie haben kürzlich den UBU, den wichtigsten Theaterpreis Italiens gewonnen. Warum ist das besonders für ribalta ein so wichtiger Moment?
Weil es uns bestätigt, dass wir in der Theaterwelt ernstgenommen und anerkannt werden. Ich würde sagen, dass die Qualität für uns wichtiger ist als für andere Theatergruppen. Wenn eine andere Kompanie eine mittelmäßige Aufführung macht, dann wird es als mittelmäßiges Theater angesehen. Wenn wir eine mittelmäßige Aufführung machen, dann werden wir wieder die Gruppe der „Behinderten“. Die Beeinträchtigung wird dann als Grund für unsere Mittelmäßigkeit angesehen.

Um inklusiv zu sein, müssen Sie also doppelt so viel Wert auf Qualität legen?
Ja genau, um ernst genommen zu werden, ist die Suche nach der Schönheit für uns unerlässlich.

Die Suche nach der Schönheit, aber vor allem auch Gesellschaftskritik ist oft Thema in Ihren Stücken. Ist ribalta ein politisches Theater?
Theater ist immer politisch. Wir wollen uns mit der Kultur auseinandersetzen und das ist schon ein politischer Akt. Wenn wir in einem Stück eine Geschichte erzählen, wollen wir zwar nicht grundsätzlich ein politisches Statement abgeben, aber wir erzählen sie, wie jedes Theater, aus einem bestimmten Blickwinkel heraus. Jeder Blickwinkel ist per se ein politischer Akt.

Betonen Sie deshalb so oft, dass Sie nicht als Sozialverein angesehen werden wollen? Ist es für Sie eine Art, Politik zu betreiben?
Das ist vielleicht zu viel gesagt. Aber es ist wahr, dass wir immer wieder betonen, dass wir ein kulturelles Theater sind. Wir wollen als Theater nicht sozial, sondern kulturell nützlich sein. Wir werden ja auch zu 92 Prozent vom Kulturministerium finanziert. Die Unterstützung, die wir als Sozialgenossenschaft erhalten, ist winzig im Vergleich: Sie beträgt nicht einmal 10 Prozent. Der Europäische Sozialfonds unterstützt natürlich auch einzelne unserer Projekte, besonders die interne Weiterbildung der Schauspieler*innen.

Auch mit der Mehrsprachigkeit der Stücke setzen Sie immer wieder Zeichen. Welcher Gedanke steckt dahinter?
Die Mehrsprachigkeit ist einer der wichtigsten Aspekte unserer Theatergruppe und im Grunde auch einer unserer politischen Akte. Es ist uns wichtig, dass wir die sprachliche Diversität nicht zu einem weiteren Trennungselement machen. Unsere Schauspieler*innen kommen aus unterschiedlichen Orten, sei es aus Klausen, Brixen, Lugano, Meran, Auer und Bozen und sie haben nicht alle dieselbe Muttersprache. Deshalb wollen wir weder eine deutsche noch eine italienische Theatergruppe sein, sondern gemischt. Ich sage immer, dass ich in dieser Hinsicht der einzige „Behinderte“ in der Gruppe bin – weil ich nur Italienisch spreche!

Ein eingespieltes Team: Schauspieler*innen und Regisseur

Ist Diskriminierung denn oft ein Thema?
Wir sind sehr streng. Bei uns gibt es keine „poverini“ und auch keine Betreuer*innen. Wir passen das eine oder andere Stück natürlich an die Fähigkeiten unserer Schauspieler*innen an, aber wir sind der Meinung, dass wir hier alle erwachsene Menschen sind, die Verantwortung für sich selbst übernehmen können. Oft herrscht das Vorurteil, dass man Menschen mit Beeinträchtigung eine gewisse Selbstständigkeit nicht zumuten kann. Wir ermutigen sie hingegen, autonom zu sein.

Ist der familiäre Charakter von Ribalta ein Vorteil?
Wir haben ein sehr starkes Gemeinschaftskonzept. Es hilft uns, gemeinsam aus den Schwierigkeiten herauszukommen, mit denen wir konfrontiert werden. Gleichzeitig besteht dadurch aber auch die Gefahr, dass wir uns als Gruppe zu sehr abgrenzen und nach außen hin verschließen; dass wir uns so, wie wir sind, gefallen und genügen: Das ist der Tod! Deshalb ist es für uns sehr wichtig, auch als kleine Gruppe höchst inklusiv zu sein und uns der Welt immer wieder zu öffnen.

Wann sind Sie mit einer Aufführung zufrieden?
Immer dann, wenn jemand sagt „Ich hätte mir nicht vorgestellt, dass ihr so gut seid!“ oder „Ich habe nicht geglaubt, dass ihr so eigenständig sein könnt!“ Immer dann, wenn wir überraschen und ein Vorurteil brechen, sind wir zufrieden. Das ist unser Ziel, unsere Funktion als Theater: Die Leute zum Überdenken ihrer Vorstellungen bewegen.

von Anna Mayr

Der Artikel ist erstmals in der 45. Ausgabe (Februar 2018) der Straßenzeitung zebra. erschienen.

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