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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 30.10.2024
LebenSchließung Tierheim Naturns

„Wenn wir schließen, entsteht ein Dominoeffekt“

Veröffentlicht
am 30.10.2024
Das Tierheim Naturns schließt. Der Verein ist sich sicher: Wird kein neues Tierheim im Westen eröffnet, kann es zu neuen Problemen kommen, die nicht nur die Tiere, sondern die ganze Gesellschaft betreffen.
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Tierheimhund 3

Ugo hat graue Haare um die Schnauze, er ist dement und fast taub. Monatlich bekommt er eine Spritze gegen seine Schmerzen. Seine Tage sind gezählt. Acht Jahre lang lebte der Mischlingsrüde an der Kette, die sich in seinen Hals einschnitt und Narben auf Körper und Seele hinterließ. Seit 2018 sitzt er im Tierheim. Trotz seiner Vergangenheit ist er ein liebenswerter Hund. „Ein richtiges Schotzele“, sagt Nadja Tappeiner, eine der drei Festangestellten des Vereins EO Tierheim Naturns. Sie kümmert sich hauptsächlich um das Bürokratische und ist dreimal pro Woche im Ultental bei den Hunden. Geht spazieren, macht die Boxen sauber, beschäftigt die Vierbeiner. Aber nicht mehr lange.

Das Tierheim ist als erstes Südtirols in den 1980er Jahren gegründet worden, 2007 hat es der Verein Tierheim Naturns übernommen. Heute, 17 Jahre später, herrscht Aufnahmestopp. Der Mietvertrag ist gekündigt. Im März 2025 werden die Schlüssel zurückgegeben, die Tore unwiderruflich geschlossen. Der Verein zieht einen Schlussstrich nach einer langjährigen Odyssee zwischen Grundstückssuche, Versprechen seitens der Politik und komplettem Stillstand. 

Und täglich grüßt das …
Es ist ein regnerischer Oktobertag im Ultental. Der Winter naht und genau davor graut es den Mitarbeiterinnen des Tierheimes. Dann heißt es wieder Schnee schaufeln und bangen, ob sich genug Freiwillige melden, um den Verein mit Gassigehen zu unterstützen und die alltäglichen Arbeiten vor Ort zu bewältigen. Der Standort des Tierheimes im Ultental war von Anfang an nur als Übergang gedacht, eine endgültige Lösung wurde jedoch bis heute nicht gefunden. Silvia Piaia, seit 2017 Präsidentin des Vereins, sagt: „Die Politik hat die letzten Jahre verschlafen. Deswegen ziehen wir jetzt Konsequenzen.“

Rocky sucht noch ein Zuhause

Die Struktur ist zu klein und stellt logistisch ein großes Problem dar. Das Haus liegt etwas abseits am Waldrand, die Haltestelle des Linienbusses ist 20 Gehminuten entfernt, im Winter liegt meist viel Schnee. Da der Verein nicht nur mit Tieren, sondern auch mit Vereinen, Streetworkern, Werkstätten von Menschen mit Beeinträchtigung, mit Schulen und Kindergärten zusammenarbeitet, sei eine zentrale Lage unabdingbar. Zudem sei es immer schwieriger, geeignete Freiwillige zu finden. „Viele stellen sich das zu einfach vor“, sagt Tappeiner. Manche Hunde haben Traumata. Außerdem braucht jeder Hund, wie ein kleines Kind, Zeit eine Bindung zu den Freiwilligen aufzubauen und ihnen zu vertrauen. „Jemanden Kompetentes zu finden, der dafür Zeit hat und die lange Anfahrt ins Tal auf sich nimmt, ist schwierig.“ 

Es war emotional hart in den letzten Jahren. Heute wird seitens der Politik nicht mehr mit uns kommuniziert. Und wir warten nicht mehr.

Silvia Piaia nickt zustimmend und ergänzt: „Langfristig haben wir hier einfach keine Zukunft. Die Struktur ist zu abgelegen, sie frisst Geld und wir schaffen es nicht, die Anfrageliste an Hunden, aber auch Katzen abzuarbeiten. Wir packen es hier einfach nicht mehr.“ In ihrer Stimme schwingt Enttäuschung, aber auch Wut mit. Wut auf die Politik, auf die leeren Versprechungen und auf die immer wiederkehrende Suche nach einem geeigneten und finalen Standort. „Es war emotional hart in den letzten Jahren. Heute wird seitens der Politik nicht mehr mit uns kommuniziert. Und wir warten nicht mehr.“

Der Westen braucht ein Tierheim
Durch den neuen Landesrat für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Tourismus, Luis Walcher, der auf Anfragen des Vereins anfangs immer schnell reagiert hatte und durch den die Kommunikation zwischen wichtigen Ämtern gut funktionierte, waren die Vereinsmitglieder wieder zuversichtlich. Doch heute sind sie auf demselben Stand wie vor sechs Jahren, als klar war, dass der Mietvertrag in Naturns auslaufen wird. Immer wieder wurden der Politik konkrete Grundstücke vorgeschlagen – bei denen laut Verein nichts dagegengesprochen hätte – und immer wieder wurden die Vorhaben gestoppt.

Auf eine Interviewanfrage von BARFUSS an den Landesrat, kam folgende Antwort via E-Mail: „Leider ist es mir derzeit nicht möglich, Ihnen für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Wir befinden uns aktuell in intensiven internen Arbeitsprozessen, um Lösungen für die anstehenden Herausforderungen zu erarbeiten. Sobald diese Arbeit abgeschlossen ist und wir konkrete Ergebnisse vorliegen haben, werden wir gerne umfassend und transparent kommunizieren.“ Piaia ist darüber nicht verwundert. Nach dem ersten optimistischen Gespräch im Mai gab es keinen Austausch mehr. „Die öffentliche Hand ist uns keine Rechenschaft schuldig“, weiß sie. „Und wir wünschen uns nicht etwa eine Lösung für unseren Verein, aber der Westen braucht ein Tierheim. Punkt.“

Rio hat schon ein Zuhause gefunden

Jede Gemeinde mit mehr als 20.000 Einwohner ist dazu verpflichtet, ein Tierheim zu eröffnen. Dabei muss die Politik keinem Verein die Genehmigung erteilen, theoretisch könnte sie ein weiteres Landestierheim, wie das Tierheim Sill in Bozen, im Westen eröffnen – ein Gebiet, das nicht nur die Meraner Gegend, sondern auch das gesamte Vinschgau von Reschen bis Naturns, das Passeiertal und das Ultental umfasst. Laut Piaia wehre man sich auf Gemeindeebene und im Land jedoch mit Händen und Füßen gegen eine kostengünstige Lösung mit einem erfahrenen und seriösen Verein und nötige lieber auf eine kostspielige Lösung, um das Problem Sill zentral zu ändern.

Durch den Verein EO Tierheim Naturns war das Problem eines fehlenden Tierheimes bisher recht gut gelöst. Der Verein hat sich mit dem Tierschutzverein Vinschgau und U.G.D.A., dem Comitato Ufficio Garante Diritti Animali in Bozen, vernetzt sowie mit dem Tierheim Sill zusammengearbeitet, um alle Anfragen zu stemmen. Doch die meisten Vereine sind heute überfüllt, seriöse private Pflegestellen begrenzt. Auch die Sill stößt im Sommer an ihre Grenzen, weil die Kapazitäten häufig ausgeschöpft sind. Und das ist nur ein Teil des Problems. Piaia: „Wenn wir schließen und kein weiteres Tierheim eröffnet, entsteht ein Dominoeffekt.“

Nadja Tappeiner mit ihrem eigenen Hund

Ein gesellschaftliches Problem
Ein fehlendes Tierheim betrifft nicht nur Tiere und Tierfreunde. Das Problem greift tiefer. Gründe, sein Tier abzugeben, gibt es viele. Es sind nicht immer die, die ihre Tiere unüberlegt angeschafft haben, die plötzlich keine Zeit mehr haben oder denen ihre Tiere lästig werden, die sich beim Verein Tierheim Naturns melden. „Viele vergessen, dass hinter den Tieren auch Schicksale von Menschen stehen“, sagt Tappeiner. Es sind Menschen, die einen Entzug machen müssen, Menschen, die krank geworden sind, Frauen, die in Frauenhäuser gehen oder umziehen müssen und keine Wohnung finden, in der sie ihr Tier mitnehmen können.

Landen Tiere auf der Straße, weil es keinen Platz für sie gibt, gehe es um die Gesundheit und Sicherheit aller. Noch stellen streunende Hunde und Katzen hierzulande im Vergleich zu anderen Regionen Italiens kein großes Problem dar – fallen weitere Tierschutzvereine weg, die sich um herrenlose Tiere kümmern und Kastrationsprojekte sowie Sensibilisierungskampagnen voranbringen, könnte sich das jedoch schnell ändern.

Wir lassen uns nicht mehr auf den Arm nehmen und schon gar nicht als Wahlthema missbrauchen.

Gehen den Weg weiter
Wie es nun mit dem Verein und mit einem Tierheim für den Westen Südtirols weitergeht, steht in den Sternen. Fakt ist: Das Tierheim wird Ende März 2025 geschlossen, die vier verbliebenen Tiere werden vorübergehend privat unterkommen, bis sie ein endgültiges Zuhause finden.

Aktuell sind wieder einige Grundstücke im Gespräch, die technisch allerdings noch nicht bewertet worden sind. Und auch wenn die Beteiligten des Tierheimes skeptisch sind, dass plötzlich, nach sechs Jahren, eine Lösung gefunden wird, sind sie offen für Vorschläge seitens der Politik. „Wir fragen die Politik nicht, uns etwas zu schenken oder uns zu finanzieren“, sagt Piaia, „sondern nur, dass ein Grundstück kommt und sie für die Lizenz gerade steht.”

Viel zu oft habe sich die Politik in der Vergangenheit auf einzelne Grundstücke versteift, die noch nicht bewertet wurden und alle weiteren außer Acht gelassen. Jetzt erhofft sich der Verein, dass die Bezirksgemeinschaft eine weitläufige Liste aller potenziellen Grundstücke macht, dass die Politik zentral zusammenarbeitet und Synergien mit Nachbargemeinden geschaffen werden, damit für den Westen alles in Betracht gezogen wird, was möglich wäre.

Silvia Piaia, Präsidentin des Vereins EO Tierheim Naturns

Eine aktive Suche hat sich für den Verein erledigt. Zu oft hätten sie auf eigene Faust Grundstücke angesehen, sie technisch auf eigene Kosten bewerten lassen, um dann von der Politik ignoriert zu werden. „Wir lassen uns nicht mehr auf den Arm nehmen und schon gar nicht als Wahlthema missbrauchen“, sagt Piaia. „Und wir hoffen natürlich, dass jemand einem unserer Hunde eine Chance gibt.“ Einem Hund wie Ugo, der viele Jahre an der Kette leben musste und sich ein paar schöne letzte Tage verdient hätte.

Der Verein kann mit einer Unterschriftensammlung unterstützt werden: Unter https://chng.it/JTZRQxQQdx kann man die Unterschriftensammlung online ansehen und unterschreiben, mit der die Landesregierung dazu aufgefordert wird, die Voraussetzungen für ein Tierheim in Südtirols Westen zu schaffen. 

Meraner Bürger und Bürgerinnen können die Tiere des Vereins zusätzlich mit einer Unterschrift unter https://chng.it/n9F6KkpxkP unterstützen.

Um Unterschriften zu sammeln ist der Verein noch vom 07. bis 10.11 auf der Herbstmesse in Bozen, voraussichtlich am Samstag, 09.11.2024 in Naturns, am Samstag, 16.11.2024 in Schenna und vielleicht am 23.11.2024 in Meran, persönlich anzutreffen.

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