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Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 08.11.2023
Leben

Wenn das Wasser knapp wird

Veröffentlicht
am 08.11.2023
Dürre und Trockenperioden nehmen zu, die natürlichen Wasser-Reservoirs der Gletscher verschwinden. Wie gut ist Südtirol auf eine Zukunft ohne Wasser vorbereitet?
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Water tap. Free public domain CC0 photo. More: View public domain image source here

Wenn Roberta Bottarin das geliebte Rauschen eines Flusses vermisst, muss sie nur aus dem Gebäude treten, in dem sie arbeitet. Das Forschungszentrum Eurac befindet sich direkt neben der Talfer. Als Mädchen watete sie in Meran stundenlang durch die Passer und auch jetzt, als Vize-Direktorin der Eurac, ist es ihr wichtig, dass sie immer an Projekten arbeiten kann, die ihrer großen Leidenschaft gewidmet sind: den Flüssen.

„Flüsse sind nicht nur Wasseradern, sondern sie sind auch Lebensraum vieler Organismen“, sagt Bottarin, als sie im Mai dieses Jahres die Mittagspause für einen kleinen Ausflug zum Flussufer nutzt. Sie nimmt Steine aus dem Wasser, dreht sie unter ihrem inspizierenden Auge und lässt sie dann enttäuscht ins Wasser zurückfallen: „Nichts“.

Normalerweise heften an diesen Steinen im fließenden Wasser die Larven verschiedener Insekten, wie zum Beispiel der Eintagsfliegen – sie sind ein guter Indikator für sauerstoffreiches, sauberes Wasser. Doch schon seit Monaten sind sie schwerer zu finden. Erst nach längerem Suchen findet Bottarin eine Larve. Ein krebsartiges, zentimetergroßes Tierchen windet sich und klammert sich ans Gestein.

Zu diesem Zeitpunkt hielt eine Trockenzeit Südtirol schon seit 18 Monaten fest im Griff. Erst mit den Regenfällen im Mai fand sie ein Ende. Die Trockenheit hat dazu beigetragen, die Wasserführung der Talfer zu reduzieren und infolgedessen auch die Anzahl der Lebensräume. Der späte Regen war die Rettung – nicht nur für die Flusstierchen, sondern für ganz Südtirol. Die Grundwasserpegel waren mancherorts auf ein Minimum gesunken, viele Speicherbecken der Bauern standen kurz vor dem Versiegen.

Man muss sich noch einmal in Erinnerung rufen, was es bedeutet hätte, wenn die extreme Trockenheit auch im Sommer angehalten hätte: In der Landwirtschaft drohten gravierende Ernteausfälle. In manchen Gemeinden wäre zu bestimmten Tageszeiten kein Tropfen aus dem Wasserhahn gekommen. Autowaschen, Rasen sprengen, Blumen gießen, all das wäre im Rahmen eines umfassenden Wassernotstands vermutlich verboten gewesen. 

Knappe Ressource, neue Konflikte

Wann es das nächste Mal wieder knapp wird, weiß noch niemand. Sicher ist, dass die Trockenheit seit 2021 keine Ausnahme war. „Die letzten zwei Jahre haben uns ein Szenario gezeigt, das in Zukunft noch extremer werden kann“, sagt Thomas Senoner, Direktor des Amtes für nachhaltige Wassernutzung. Er kennt die lokalen Wasserkreisläufe und weiß, wie sie zu schützen sind.

Die gängigen Klimamodelle untermauern Senoners Feststellung. Zurzeit existieren verschiedene Szenarien, wobei die pessimistischeren unter ihnen – so die Klimaprojektion SPEI-12 – im Falle, dass die CO2-Emissionen nicht signifikant zurückgehen, für die letzten drei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts für Südtirol mehr als 50 Monate extremer Dürre vorhersehen. Das wäre mit dem trockenen Klima in Teilen Nordafrikas vergleichbar.

„Wenn das Wasser ausgeht, werden wir zwangsläufig eine Auswahl treffen müssen, wer das Wasser kriegt und wer es nicht kriegt.“

Thomas Senoner, Direktor des Amtes für nachhaltige Wassernutzung

Wie gut ist Südtirol auf eine solche Zukunft vorbereitet? Wo bestehen die größten Einsparungspotenziale? Und könnten die Konflikte rund um die knapp werdende Ressource eskalieren? „Wenn das Wasser ausgeht, werden wir zwangsläufig eine Auswahl treffen müssen, wer das Wasser kriegt und wer es nicht kriegt“, stellt Senoner klar. Im Ernstfall werden also manche den Hahn zudrehen müssen: sind das die Bauern, die Hoteliers, die Privaten?

Die schmelzenden Gletscher liefern uns heute noch kostbares Nass vor allem in Hitzeperioden, doch gehen diese Reserven zur Neige, was dazu beiträgt, dass wir in Zukunft Dürren stärker ausgesetzt sind. Immer weniger Wasser wird als Eis und Schnee gespeichert. Laut einer Eurac-Studie sind die Schneefälle in ganz Trentino-Südtirol von 1980 bis 2020 stark zurückgegangen, mit Spitzenwerten – etwa in Bozen – von bis zu minus 75 Prozent.

Den Perioden der Trockenheit stehen auf der anderen Seite extreme Niederschlagsereignisse gegenüber. Rein zahlenmäßig gleichen sie die Statistik zwar aus, doch um die Trockenheit effektiv zu lindern, sind sie wenig geeignet. Die Böden können in kurzer Zeit nicht so viel Wasser aufnehmen, das meiste fließt einfach davon.

Die Folge: Das Grundwasser, das vor allem für die Landwirtschaft eine wichtige Wasserquelle bildet (von den rund 11.100 Beregnungsanlagen werden 7.300 aus Tiefbrunnen gespeist), kann auch nach stärkeren Niederschlagsereignissen niedrig bleiben, wie bis vor kurzem noch im Burggrafenamt und im Vinschgau, wo die Grundwasserstände erst im Oktober das langjährige Mittel wieder erreichten. Laut der UN bilden leere Grundwasserstände zusammen mit dem Artensterben und dem Gletscherschwund einen der sechs „Kipppunkte“, die unsere Gesellschaften, wie wir sie kennen, in ihren Grundfesten gefährden.

Wenig Daten, viele Schuldzuweisungen

Negev, Israel

Das alles klingt erstmal düster. Doch in Wirklichkeit hätte Südtirol gute Voraussetzungen, um mit der steigenden Wasserknappheit umzugehen, meint Senoner. Er verweist auf Israel als Gegenbeispiel: „Dort hat man es geschafft, durch verschiedene technische Lösungen selbst die Wüste fruchtbar zu machen.“ Im Vergleich dazu hätten wir es einfacher, uns stünden von Natur aus ungleich größere Wasserressourcen zur Verfügung. 6 Prozent des gesamten Niederschlags, der durchschnittlich pro Jahr in Südtirol fällt, wird als Wasserressource durch den Menschen verwendet.


Das Problem sei also nicht so sehr die Wasserknappheit an sich, sondern dass das Problem völlig neu ist. Eine Gesellschaft, die Wasser im Überfluss gewohnt ist, so wie in Südtirol, treffen Dürren unvorbereitet. Das fängt bei der Frage an, wo die größten Einsparungspotenziale bestehen. Eine Frage, die zugleich das ganze Konfliktpotenzial des Problems zutage fördert.

Zwar hat die Trockenheit der letzten zwei Jahre dazu beigetragen, das Thema ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Doch ein Blick in die Medienberichte zeigt, dass die Debatte emotional aufgeladen ist, sie ist geprägt von gegenseitigen Vorwürfen, Beschuldigungen und Vermutungen. „Belastbare Daten und Best-Practice-Beispiele fehlen hingegen weitgehend“, sagt David Hofmann, Neurowissenschaftler und Klimaaktivist bei den „Scientists for Future“. Er vermisst eine wissenschaftlichere und sachlichere Herangehensweise zum Thema.

„Jede Interessensgruppe sieht die Notwendigkeit zu sparen nur bei den anderen.“

Thomas Senoner

Ein Beispiel dafür ist der mediale Schlagabtausch, der sich im März zwischen den Grünen und einem Hotelier-Vertreter ereignete. Erst prangerte der Grünen-Co-Sprecher Felix von Wohlgemuth die „verschwenderischen und teilweise absurden Wellnessanlagen und Poollandschaften“ bestimmter Luxusressorts als Mitverursacher des Wassernotstands an. Heinrich Dorfer, der Inhaber der Quellenhof-Ressorts, bezeichnete solche Vorwürfe wenige Tage darauf als „idiotisch und populistisch“. Wasserbecken würden, wenn sie einmal befüllt sind, kein Wasser mehr verbrauchen, da das abfließende Wasser gefiltert werde und daraufhin wieder in die Becken fließe – der Wasserverbrauch der Pools sei also in Wirklichkeit gering. Prompt spielte Dorfmann den Ball an die Landwirte weiter, die „mit der Oberkronenbewässerung das x-fache“ im Vergleich zum Tourismus verbrauchen würden.

„Jede Interessensgruppe sieht die Notwendigkeit zu sparen nur bei den anderen“, fasst Senoner den Ton solcher Debatten zusammen.

Doch wer hat recht? Und was sagen die Daten?

Landwirtschaft

Südtirols Landwirtschaft ist beim Wasserverbrauch das statistische Schwergewicht. Nach offiziellen Angaben beanspruchen die Landwirte im Jahr schätzungsweise 150 Millionen Kubikmeter Wasser, das entspricht in etwa der Hälfte des gesamten Wasserverbrauchs in Südtirol. Mit jeweils 50 Millionen Kubikmetern nehmen sich der Trinkwasserverbrauch und der Wasserverbrauch der Industrie dagegen geradezu mickrig aus. Die Schneeerzeugung benötigt 10 Millionen Kubikmeter Wasser, während das Gastgewerbe als Faktor im Trinkwasserverbrauch schon mit eingerechnet ist.

Aber nicht nur die Menge ist relevant. Trinkwasser wird fast zu 100 Prozent wieder an die Etsch zurückgegeben, während in der Landwirtschaft viel verdunstet. Das Wasser wird also aus dem lokalen Kreislauf entnommen. Die Frage, was die Landwirte tun, um sich auf wiederkehrende Dürren und Trockenheit vorzubereiten, ist deshalb für ganz Südtirol entscheidend.

 „Mehr Wasserspeicher“, lautet meistens die Antwort, wenn man mit Bauern darüber spricht. Auch Leo Tiefenthaler, Obmann des Südtiroler Bauernbunds, nennt die Wasserspeicher als wichtige Maßnahme. Die Becken sollen das Regenwasser auffangen und damit helfen, längere Perioden der Trockenheit zu überbrücken. Damit übernehmen sie, was früher Schnee und Gletscher leisteten: Wasser für heiße und trockene Zeiten zu speichern. Doch die Wasserspeicher sind teuer. Unterstützung erwarten Bauernvertreter wie Tiefenthaler deshalb von der Politik.

Leo Tiefenthaler

An der Darstellung der Speicherbecken als Heilmittel gibt es aber auch Zweifel. Aktivisten wie Hofmann weisen darauf hin, dass die Becken sehr oft auf Kosten des Waldes gebaut werden, wo sie Naturräume und Ruhezonen zerstören. „Becken, die mit Folie und Schotter ausgekleidet sind, werden für Rehe und anderen Tiere zur Todesfalle“, sagt Hofmann. Er und andere Umweltschützer fordern deshalb, die Becken in Zukunft als naturnahe Teiche zu bauen, die nicht nur als Regenrückhaltebecken, sondern auch als Biotop und Naherholungsraum dienen können.

Fraglich ist auch, wie lange die Becken beim Überbrücken einer Dürre hilfreich sind. Thomas Senoner geht von einigen Monaten aus: „Was tun wir aber, wenn es zwei Winter und zwei Sommer lang gar keine Niederschläge gibt?“ Bei langen Trockenperioden kommen wir nach Einschätzung des Experten ums Wassersparen nicht herum.

Wassersparen, das bedeutet in der Obst- und Weinwirtschaft vor allem: Tropfbewässerung statt Oberkronenbewässerung. Während bei der konventionellen Oberkronenberegnung viel Wasser einfach verdunstet und auf Flächen landet, wo es nicht benötigt wird, beispielsweise auf den Fahrbahnen zwischen den Baumreihen, geben die Schläuche der Tropfbewässerung nur geringe, exakte Wassermengen in Stammnähe ab. Dadurch wird bis zu 50 Prozent weniger Wasser verwendet. Für die Bauern hat die Tropfbewässerung noch weitere Vorteile, beispielsweise, dass durch die direkte Befeuchtung am Stamm weniger Pilzinfektionen auftreten. Tiefenthaler schätzt, dass deshalb schon mehr als die Hälfte der Obstbauern auf die wassersparende Tropfbewässerung umgestiegen sind.

Für viele Bauern bleibt der Umstieg aber zu teuer. 7.000 bis 10.000 Euro müssen sie pro Hektar auf den Tisch legen. Die finanziellen Anreize für die Umstellung, etwa eine Vergünstigung bei der Wasserkonzession, sind laut Tiefenthaler kaum nennenswert. Dabei könnte man allein durch diese Maßnahme enorm viel Wasser sparen.

Ein Rechenbeispiel: Die Obstwirtschaft ist in Südtirol für 60 Prozent des Wasserverbrauchs der Landwirtschaft verantwortlich, das macht in etwa 90 Millionen Kubikmeter Wasser. Wenn man realistischerweise davon ausgeht, dass man mit der Umstellung mindestens 30 Prozent weniger Wasser verbraucht und fast die Hälfte der Obstbauern noch auf Oberkronenberegnung setzt, dann besteht allein durch diese Maßnahme ein Einsparungspotenzial von bis zu 30 Millionen Kubikmetern Wasser – mehr als die Hälfte von dem, was die privaten Haushalte und der Tourismus zusammen verbrauchen. Doch laut Tiefenthaler sind zusätzliche Anreize für den Umstieg in der Politik aktuell kein Thema.

Zusätzliche Ressourcenschonung ist durch den Einsatz von sogenannten Tensiometern und Watermark-Sensoren möglich. Diese Geräte ermöglichen eine genauere Ermittlung des Wasserbedarfs im Boden, sodass die Bauern nicht nur nach dem Turnus, sondern nach Notwendigkeit bewässern. Das Bewässern nach Bedarf geht aber nur mit einer naheliegenden Wasserreserve – hier können die Speicherbecken wiederum einen wichtigen Beitrag leisten.

Tourismus

Im Passeiertal gibt es eine Stelle, wo der Talboden nicht grün, sondern blau ist. Pool reiht sich an Pool, und würden sich im Wasser nicht die Berge spiegeln, könnte man meinen, man sei nicht mehr in Südtirol, sondern auf den Malediven. Die ausufernde, 4500 Quadratmeter umfassende Wasserlandschaft der neuen „See Lodge“ des Quellenhof-Hotels ist eine eigenartige Welt, wo die Gäste nur selten aus ihren Wohlfühlblasen und miteinander ins Gespräch treten. Wenn es doch einmal dazu kommt, drehen sich die Gesprächsthemen meist um das Abendmenü oder Empfehlungen ähnlicher Luxus-Ressorts. Wer hier Urlaub macht, soll wenigstens für ein paar Tage so tun können, als würde eine Welt jenseits von Wellness-Kuren und Shiatsu-Verhätschelungen nicht existieren.

Doch die Welt draußen existiert weiter – und ist angesichts der tropischen Auswüchse im Südtiroler Tourismus empört. Selbst die Bürgermeisterin der Gemeinde St. Martin in Passeier zeigte sich entsetzt: “Wir müssen nicht auf ein Pseudo-Malediven-Flair, sondern einen anderen Tourismus setzen“, sagte sie letztes Jahr und gestand ein Versagen der Gemeinde. Die Quellenhof-Ressorts werden vom Inhaber Heinrich Dorfer geführt, jenem Hotelier, der bei den Pools keinen großen Wasserverbrauch verortet. Eine Stellungnahme gegenüber Barfuss hat Dorfer „aus terminlichen Gründen“ abgelehnt.

Tatsächlich ist der Faktor Tourismus beim Wasserverbrauch umstritten. Thomas Senoner vom Amt für nachhaltige Wassernutzung widerspricht Dorfer: „Auch beim Zirkulieren des Schwimmbadwassers braucht es immer einiges an Frischwasser, das dazu kommt, außerdem geht im Sommer viel Wasser durch Verdunstung verloren.“ Andererseits sei es richtig, dass das Gros des Wasserverbrauchs im Tourismus nicht durch die Pools, sondern durch Wäsche und Reinigung zustande kommt.

David Hofmann

Wo genau die größten Einsparungsmöglichkeiten, bleibt unklar – „was auch daran liegt, dass es zum Wasserverbrauch im Tourismus kaum Daten gibt“, beanstandet der Aktivist David Hofmann. Selbst bei den Zahlen des Lands wird der Verbrauch des Tourismus einfach beim allgemeinen Trinkwasserverbrauch mitgerechnet. Schätzungen zufolge verbrauchen Gäste mindestens zwei Mal so viel Trinkwasser wie Einheimische, aber das genaue Verhältnis kennt in Südtirol niemand. Geschweige denn, um wie viel höher der Verbrauch nach den verschiedenen Formen des Gastgewerbes ist, beispielsweise im Segment der Luxus-Ressorts. „Dieser Datenmangel liegt auch daran, dass hier handfeste Interessen im Spiel sind. Die Politik will niemandem auf die Füße treten“, sagt Hofmann.

Hoteliers wie Heinrich Dorfer verweisen gerne darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger den Wasserhahn nicht zudrehen müssen, während die Touristen heiter im Pool plantschen. Wenn es ernst wird, dann treffe es ohnehin alle, Einheimische wie Touristen.

Das eigentliche Problem liegt aber, wie das Beispiel der Gemeinde Kastelruth neulich zeigte, anderswo. Auch dort könnte das Wasser – unter anderem wegen des erhöhten Verbrauchs im Tourismus – bald knapp werden, einem Gutachten zufolge sollen der Gemeinde bis 2050 fast 40 Sekundenliter Fördermenge fehlen. Die Gemeinde verbraucht also mehr Trinkwasser, als aus den Quellen nachfließen kann – dabei befindet sich Kastelruth in einem relativ wasserreichen Gebiet. Für den Bürgermeister Andreas Colli liegt die Lösung in der Erschließung neuer Quellen – doch dafür braucht es erstmal 35 Millionen Euro, ein Betrag, der den Jahreshaushalt der Gemeinde von 2022 mit 23-Millionen bei weitem übersteigt.

Dass Kastelruth kein Einzelfall ist, darauf weist auch Senoner hin: „Im Tourismus gibt es während der Hochsaison hohe Spitzenwerte im Verbrauch, in einigen Fällen müssen die Netze dafür extra neudimensioniert werden. In der Zwischensaison, wenn der Verbrauch gering ist, ist das Netz dann überdimensioniert – mit hohen Kosten für die Allgemeinheit“.

Kosten sozialisieren, Gewinne privatisieren – so hat die ff in einem Bericht über den Fall Kastelruth das Muster beschrieben, das sich hinter dem erhöhten Ressourcenverbrauch im Tourismus verbirgt. Gemeinden können zwar Anreize setzen und für Fairness sorgen, indem sie die Wasser-Tarife staffeln und sie für die großen Gastbetriebe höher festsetzen. Über die Tarifstaffelung entscheidet jedoch jede Gemeinde selbst. Landesweite Vorgaben gibt es nicht – genauso wie die Pflicht für Hoteliers, die Gäste mit Aufstellern und Plakaten zum Wassersparen aufzufordern.

Kein Wasser, kein Strom

Systematische Forschung müsste der erste Schritt in Richtung einer dürrefesten Zukunft sein. „Wir brauchen verlässliche Daten, um effektive Maßnahmen setzen zu können“, sagt David Hofmann, der genau deshalb bei „Scientists for Future“ ist. Er will Wissenschaft und Klimaaktivismus vereinen.

„Angesichts der massiven klimatischen Veränderungen, die uns bevorstehen, gibt es für völlig abgehobene Luxusressorts keinen Platz mehr“

David Hofmann

Hofmann glaubt aber auch, dass es irgendwann ohnehin nicht mehr ausreicht, punktuelle Maßnahmen zu ergreifen. „Angesichts der massiven klimatischen Veränderungen, die uns bevorstehen, gibt es für völlig abgehobene Luxusressorts keinen Platz mehr“. Unter die Lupe nimmt er auch die Obstwirtschaft: „Der Apfelanbau ist besonders wasserintensiv, da wird es in Zukunft wahrscheinlich Sinn machen umzustellen – allein schon aus Gründen der Ernährungssicherheit. Sollten wir einmal aus bestimmten Gründen keine Lebensmittel mehr importieren können, können wir uns nicht nur von Äpfeln ernähren“.

Doch neben Tourismus und Landwirtschaft gibt es noch eine dritte Interessensgruppe, die ein Stück von der knappen Ressource Wasser beansprucht. Es sind die Betreiber der Wasserkraftwerke. Sie scheinen in den Statistiken zum Wasserverbrauch nicht auf, weil das Wasser, mit dem wir Strom produzieren, in die Flüsse zurückkehrt. Deshalb kommt dieser Player in den Debatten zum Wasserverbrauch so gut wie gar nicht vor. „Wenn die Wasserkraftwerke aber kein Wasser mehr bekommen, haben wir alle ein Problem“, sagt Hofmann, der sich bei seinen Aktionen und Vorträgen bemüht, das Thema stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken.

In Südtirol stammen rund 90 Prozent des erzeugten Stroms aus der Wasserkraft. Dabei entsteht sogar ein Überschuss. So verbrauchte Südtirol von den über 8000 Gigawattstunden (GWh), die es erzeugte, selbst nur knapp 3000 GWh. Ein Überschuss, der während einer Dürre jedoch schnell dahinschwinden kann.

Nach Angaben des Amtes für Hydrologie und Wasserkraft flossen im Vergleich zum Mittel im Jahr Dürrejahr 10 Prozent weniger Wasser durch die Kraftwerke und heuer bislang sogar 30 bis 35 Prozent weniger – ein Verlust, den Alperia auch für die Wasserkraft bestätigt, er schlägt sich also direkt auf die Menge des produzierten Stroms nieder. „Ohne den Beitrag der Schmelzen der Gletscher wären die Verluste sicherlich noch größer”, sagt Amtsdirektor Roberto Dinale. Die Folgen seien für die normalen Bürgerinnen und Bürger zwar noch nicht zu spüren, denn im Notfall wird der Strom importiert – in der Bilanz von Alperia und bei der Verfügbarkeit von grünem Strom sorgt die Trockenheit bereits für erhebliche Verluste.

„Südtirol ist schön, weil es wasserreich ist“

Durch die ergiebigen Niederschläge der letzten Wochen scheint das Szenario von Dürre und leeren Speicherbecken wieder in weite Ferne gerückt. David Hofmann hofft, dass wir uns davon nicht täuschen lassen. Für ihn steht Südtirol erst am Anfang eines Prozesses, der in traditionell wasserarmen Gebieten schon längst stattgefunden hat: die Formierung eines Bewusstseins darüber, dass die Ressource Wasser endlich ist. „Wenn wir das einsehen, dann können wir es auch schaffen, uns auf den Fall, dass Wasser für bestimmte Zeit nur noch begrenzt verfügbar ist, vorzubereiten. Möglichkeiten hätten wir genug.“

Roberta Bottarin

Eine Wohltat ist der Regen trotzdem. Nicht zuletzt für die Artenvielfalt. „Die Flüsse müssen gewisse Wassermengen führen, sonst verringert sich die Biodiversität“, sagt die Forscherin Roberta Bottarin und blickt vom Eurac-Cafè in Richtung Talfer. Die wälzt jetzt wieder gewaltige Wassermassen nach Süden. In Zeiten, wo Flüsse nur wenig Wasser führen, verringern sich die Lebensräume und ihr „Gesundheitszustand“.

Die Natur, der Tourismus, die Landwirtschaft. Das hängt für Bottarin alles zusammen. Gesunde Wälder, Wasserläufe, schneebedeckte Berge, das seien die Dinge, die wir Südtiroler lieben und die Menschen hierherziehen, stellt die Forscherin und Flussliebhaberin fest. „Südtirol ist schön, auch weil es wasserreich ist“.

Dieser Artikel wurde mit Unterstützung von Journalismfund Europe realisiert.

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