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Karin Duregger
Veröffentlicht
am 08.08.2025
LebenVegan leben

Vegane Pressknödel

Veröffentlicht
am 08.08.2025
Vegan essen polarisiert, eckt an. Warum ist das so? Geraten Traditionen dadurch ins Wanken? Oder sollten eigene Entscheidungen und Handlungen mitunter doch hinterfragt werden? Der Arzt Lukas Gatterer lebt vegan, informiert sich laufend dazu und denkt das Essen und damit auch ein Stück weit das Leben neu. 
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Einmal im Internet das Wort „Veganismus“ eingegeben, werden Millionen Ergebnisse geliefert. Analog und online werden leidenschaftliche Debatten für und gegen diesen Lebensstil geführt. Dabei entscheiden sich immer mehr Menschen dafür, auf tierische Produkte zu verzichten. Vegan ist also in. Ein regelrechter Lifestyle-Trend. Aber ist es wirklich ein „Trend“ oder steckt mehr dahinter? 

Auch Lukas Gatterer hat sich bewusst für diese Lebensweise entschieden, vor rund acht Jahren. Er ist 29 Jahre alt, kommt ursprünglich aus St. Lorenzen bei Bruneck und lebt seit einigen Jahren in Wien, auch für seine Ausbildung zum Allgemeinmediziner im Umkreis von Wien. „Vegane Pressknödel hat die Mama heute gemacht“, sagt der Pusterer, der gerade für ein paar Tage bei den Eltern urlaubt und dessen Familie von Beginn an hinter seiner Entscheidung steht. Der Auslöser für sein Umdenken beim Essen war damals eine WG-Diskussion, bei der Lukas erfuhr, dass die Tierhaltung weltweit mehr CO2 als der gesamte Transportsektor verursacht. Das war für ihn der Startschuss, tierische Produkte zu reduzieren. „Richtig vegan geworden bin ich aber erst, als ich mich mit den Bedingungen der Tierhaltung auseinandergesetzt habe“, sagt er. 

Lukas Gatterer lebt seit acht Jahren vegan.

Was bedeutet Veganismus?
Der Begriff „vegan“ wurde schon 1944 in England geprägt. Donald Watson sah als Teenager, wie auf dem Bauernhof seines Onkels ein Schwein geschlachtet wurde und beschloss daraufhin, Vegetarier zu werden. Mit Anfang 30 entschied er sich, gar keine Produkte mehr von Tieren zu essen. Um seine Ernährungsform von der vegetarischen Ernährung abzugrenzen, zog Donald Watson die drei ersten und zwei letzten Buchstaben des englischen Wortes „vegetarian“ zusammen und erfand damit das Wort „vegan“. Mit der Gründung der Vegan Society am 01.01.1944 in Birmingham wurde der Begriff institutionalisiert. Nicht nur vegan essende, sondern vegan lebende Menschen gehen heute einen Schritt weiter und verzichten auf alles, was tierischen Ursprungs ist, wie etwa auf Taschen oder Schuhe aus Wolle, auf Seide und Leder, sowie auf Pflegeprodukte und Kosmetik mit tierischen Inhaltsstoffen.

Wissenschaftliche Studien
Lukas‘ Entscheidung fußt also vor allem auf ethischen Gründen, neben den Umweltgründen. Hinzu kommt für ihn noch der gesundheitliche Aspekt. Er sagt: „Die allermeisten Ernährungsgesellschaften finden heute einen wissenschaftlichen Konsens: Je pflanzenbasierter man isst, umso gesünder lebt man.“ Denn seit seinem Umstieg von der omnivoren, also der alles-essenden, auf die vegane Ernährung liest Lukas Studien, Bücher, prüft Argumente und hat sich sogar Statistikkenntnisse angeeignet, um wissenschaftliche Arbeiten besser zu verstehen. Er möchte gut informiert sein, um Argumente auch evidenzbasiert und für ihn stimmig weitergeben zu können. 

Für aussagekräftige Ergebnisse eignen sich am besten Studien durch Experimente am menschlichen Körper. So haben etwa Forschende aus den USA im Jahre 2023 an der Universität Stanford eine Ernährungsstudie mit 44 eineiigen Zwillingspaaren durchgeführt. Genetisch sich sehr ähnlich, pflegten alle Paare auch denselben Lebensstil. Ein objektiver Vergleich war also möglich. „Innerhalb der ersten vier Wochen konnte das Forschungsteam die größten Verbesserungen feststellen“, schreibt im Anschluss das Online-Wissenschaftsmagazin National Geographicund weiter: „Die veganen Studienteilnehmer:innen hatten deutlich niedrigere Cholesterinwerte, einen 20 Prozent niedrigeren Insulinspiegel und verloren circa zwei Kilogramm Körpergewicht mehr als ihre fleischessenden Geschwister.“

Mehr als die Hälfte der Österreicher:innen hat ihren Fleischkonsum seit 2021 reduziert.

Für Lukas ist es längst Routine, auf welche Nährstoffe es – nicht nur als Veganer – besonders zu achten gilt. „Vitamin B12 ist wirklich der einzige Mikronährstoff, den man als vegan essende Person unbedingt supplementieren muss“, sagt er. Dieses Vitamin kommt im Boden vor, wird von Tieren durch das Grasen aufgenommen und gespeichert. Kühe und andere Tiere produzieren es also nicht selbst. In der Massentierhaltung ohne Weidenkontakt erhalten sie es ohnehin nur durch Kraftfutter, ebenso wie Zink, Eisen, Selen. „Vegane Menschen ergänzen diese kritischen Stoffe bei Bedarf selbst und das noch durch Produkte ihrer Wahl“, sagt Lukas.

Dabei lebt er in einem veganen Vorzeigeland innerhalb Europas. Mehr als die Hälfte der Österreicher:innen hat ihren Fleischkonsum seit 2021 reduziert. Das zeigen Umfragen, durchgeführt in europäischen Ländern im Rahmen der Studie Smart Protein European Customer Survey, wie auch vegan.at schreibt. Österreich liegt innerhalb der befragten Länder im Europavergleich an erster Stelle mit fünf Prozent, dicht gefolgt von Deutschland mit vier Prozent, zwei Prozent sind es in Frankreich und nur ein Prozent in Spanien und Italien.

Kritik und Tradition
Zurück zur Ausgangsfrage: Warum ist Veganismus so oft ein Reizthema? „Wir sind hier aufgewachsen und auf Eier, Milch und Kühe verzichten, heiße für viele auch, auf Tradition zu verzichten“, nennt Lukas als ein mögliches Argument der Kritiker:innen. Und die Viehwirtschaft hat in Südtirol eine lange Tradition. Zu diesem gewachsenen Bild gehören urige Bergbauernhöfe, saftige Weiden und Almen – ein über Jahrhunderte gewachsenes Kulturgut. Wenn es keine Viehwirtschaft mehr gäbe, was würde dann mit den Almen passieren? Die Hochweiden würden nach und nach verholzen, und das Landschaftsbild würde sich grundlegend verändern. Lukas meint, er habe keine Bedenken, dass die Weiden so schnell verschwinden würden, da die gesamte Menschheit wohl niemals vollständig vegan leben werde.

Argumente innerhalb Diskussionen
Manche Fleischesser:innen kritisieren ein gewisses Missionierungsverhalten bei Veganer:innen. Es heißt dann häufig, jede:r könne sich doch so ernähren, wie er wolle. Dieses Argument ließe sich aber auch einfach umdrehen. Auch Veganer:innen sollten sich vegan ernähren können und dafür nicht kritisiert werden.

Lukas diskutiert heute kaum noch initiierend zum Thema. Wenn sich jemand nach seiner Motivation erkundigt, dann spricht er offen darüber. Und wenn er nach Fakten oder Argumenten gefragt wird, so hat er diese parat. Er hält auf Anfrage auch Vorträge an Schulen zum Thema Veganismus, vor allem in Südtirol. Auch beim Meran Vegan Festival war er bereits auf der Bühne. Wobei „Vortrag“ beinahe zu steif und belehrend klingt, denn eigentlich bietet er an, er drängt sich nicht auf. Er bringt Fakten, ohne zu missionieren. 

Der Wechsel zu einer veganen Ernährung ist der größte Schritt, den ein einzelner Mensch tun kann, um Umwelt und Klima zu schützen.

Er steckt als Mit-Initiator auch hinter der Instagram-Seite Südtirol.Vision, wo Studien geteilt, Mythen entlarvt und vegan lebende Promis zitiert werden – alles unaufdringlich und sachlich. „Vegan zu sein ist vor allem eine Lebensweise, eine Art zu sein, sich um Planeten zu kümmern und das Leiden der Tiere zu vermeiden“, wird hier etwa der vegan lebende spanische Ex-Fußballer Aarón Ñíguez Esclápez zitiert.

In Diskussionen begegnet Lukas häufig Vorurteilen: „Wegen Sojaanbau verschwinden Regenwälder“, hört er oft. Doch circa 75 Prozent des weltweit angebauten Sojas werden an Tiere verfüttert, nur circa 5–10 Prozent der Sojabohnen werden von vegan lebenden Menschen verzehrt, diese sind noch dazu in der EU angebaut worden. Oder: „Ich esse nur wenig Fleisch und wenn, dann vom heimischen Metzger.“ Lukas argumentiert ruhig, dass auch der lokale Metzger meist Fleisch von woanders dazu kaufe. Man denke nur an den Südtiroler Speck. Nur etwa ein bis drei Prozent des Schweinefleisches kommt aus Südtirol. In ethischer Argumentation weitergedacht, werden die Kälbchen auch beim Biobauern meist gleich nach der Geburt der Mutterkuh weggenommen, damit die Kuhmilch für den Menschen genutzt werden kann; die männlichen Kälbchen werden geschlachtet. Und letztendlich, so sagt Lukas ergänzend, habe der Fleischkonsum von heute mit dem hochgeschätzten Sonntagsbraten der Oma nur mehr wenig gemeinsam.

Veganismus und Umwelt
Einer der Initialgründe für Lukas‘ Umdenken war damals der hohe CO2-Ausstoß, den die Tierhaltung verursacht, also ein Umweltgedanke. 2018 veröffentlichte die Universität Oxford eine der umfassendsten Studien zu den Auswirkungen der Ernährung auf Klima und Umwelt. Das Ergebnis: Der Wechsel zu einer veganen Ernährung ist der größte Schritt, den ein einzelner Mensch tun kann, um Umwelt und Klima zu schützen. Das Thema schaffte es vor einigen Jahren auch auf Spiegel.online – „allerdings mit einem beliebten Irrtum“, wie das deutsche Online-Portal vegan.eudaraufhin auf seiner Webseite feststellte und zunächst Spiegel.online zitiert: „Langstreckenflüge oder Pendeln mit dem Auto über längere Strecken können auch eine vegane Ernährung nicht ausgleichen.“ „Klingt logisch, ist aber zu kurz gedacht“, kontert vegan.eu. Denn die Umweltauswirkungen veganer Ernährung gingen weit über die Reduktion von Treibhausgasen hinaus: Sie fördert die Artenvielfalt, reduziert den Landverbrauch, wirkt Entwaldung und Wüstenbildung entgegen, schont die Wasserqualität und vermindert den Einsatz von Pestiziden – in einem Ausmaß, das Veränderungen im Verkehrssektor nicht annähernd erreichen können. Die Berechnung des CO2-Ausstoßes ist also generell komplex, eben auch jene der Tierhaltung, da viele Faktoren eine Rolle spielen. Zu den wichtigsten hier werden die Art der Tierhaltung, die Fütterung, die Art des Tieres und die spezifischen Emissionen wie Methan und Lachgas gezählt.

Man muss nicht päpstlicher sein als der Papst.

Schmankerln als bewusste Entscheidung
Auch vegane Fertig- oder Ersatzprodukte, die meist in Hartplastik verpackt sind – wie viele andere Lebensmittel natürlich auch – landen bei Lukas eher selten im Einkaufswagen, ab und an ein veganer Käse für einen Ausflug in die Berge oder ein veganes Würstchen für den Grillabend. Tiefkühlpizza im Ofen kann er im Jahr an einer Hand abzählen. Er kocht gerne frisch. Aber: Auch Veganer:innen dürfen sich wohl ab und zu ein Schmankerl gönnen – oder wie war das mit: „Man muss nicht päpstlicher sein als der Papst …“

In diesem Sinne trifft Lukas auch Reiseentscheidungen sorgfältig. Er liebt es, neue Kulturen kennenzulernen, reist dafür innerhalb Europas meist mit dem Zug. In größeren zeitlichen Abständen locken ihn auch Fernreisen, für die er fliegen muss. In diesem Sommer reist er mit Freunden drei Wochen in Indien, wohnt dann am liebsten bei Familien im Dorf, taucht gerne in das kulturelle Leben vor Ort ein.
Was er sich für seine persönliche Zukunft wünscht? Nach seiner Allgemeinmedizin-Ausbildung möchte er auch die Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin absolvieren, um den menschlichen Körper noch besser zu verstehen. Und er möchte Menschen weiter zum Thema gesunde und vegane Ernährung informieren. um sie vielleicht ja zu einem Umdenken bewegen zu können, idealerweise dann aus eigener Motivation heraus.

Und wer weiß, vielleicht sitzen ja auch wir eines Tages im Wartezimmer seiner Praxis und lassen uns von ihm beraten. Bis dahin bleibt die Erkenntnis: Bewusst leben heißt nicht perfekt zu sein – vielmehr wohl, sich zu informieren, abzuwägen und Entscheidungen zu treffen. Und manchmal beginnt das schon beim Pressknödel essen.

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