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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 24.05.2017
LebenKörbewickeln im Selbsttest

Traditionen weiter wickeln

Veröffentlicht
am 24.05.2017
Walter Friedl vermittelt ein Handwerk, das es bereits seit der Steinzeit gibt. Aus Lavendel, Binsen und Ruchgras hat er über 2.500 Körbe gewickelt.
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Stich für Stich ans Ziel

Wenn man einen Korb von Walter Friedl in die Hand nimmt, berührt man eine Zeitmaschine. Fest durch einen dicken Baumwollfaden vernäht, reihen sich die Grasbündel übereinander zu einem individuellen Gefäß. Das eine ist bauchiger, das andere länger und wieder ein anderes hat einen langen Henkel. Doch allesamt strömen sie diesen köstlichen Duft der Natur aus. Sie riechen nach frischer Sommerwiese, nach Lavendel und Cumarin. Nie hätte ich gedacht, dass man aus Gräsern solch stabile Körbe fertigen kann. „Die halten ewig“, meint Walter Friedl und holt mich mit seinem tiefen Steirer Dialekt schnell wieder zurück in die Realität – auf den Festplatz von Vöran. Hier wird er uns heute die alte Tradition des Körbewickelns vermitteln und den Schatz der Vergangenheit so in die Zukunft tragen.
Bereits in der Steinzeit wurden die ersten Gefäße mit dieser Technik hergestellt. Noch lange bevor man mit dem Töpfern begann. Heute werden solche Körbe traditionell nur noch von den Tutsi in Ruanda gewickelt. Und natürlich von Walter Friedl, der auf seinem Hof in der Ost-Steiermark lebt. Dort produziert der Korbwickler etwa ein Drittel des ganzen Materials, das er das Jahr über verarbeitet. „1.000 Bund habe ich im letzten Jahr selbst gepflanzt und großgezogen“, erzählt Walter stolz und teilt dabei je ein kleines Bündel der mitgebrachten Gräser an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des heutigen Kurses aus.

Walter erklärt etwas über das Material

Den Rest des Materials trägt der Bauer selbst zusammen, entweder in der Steiermark oder eben da, wo er sonst gerade unterwegs ist. „Im Frühjahr, wenn der erste Schnee taut, beginne ich zu sammeln und höre auf, wenn wieder der erste Schnee fällt“, erklärt der Steirer. In den Winterschlaf gehe er dann jedoch nicht, sondern fange an zu beten, dass er den ganzen Winter über mit seinem Material auskommt, scherzt er. Dann starten nämlich seine Kurse, die ihn nicht nur nach Vöran, sondern auch in die Schweiz und nach Deutschland bringen. Im letzten Winter hat Walter 3.000 Bund verschiedenster Gräser zusammengetragen und bis im Frühjahr alle aufgebraucht.

„In meinem Rekordjahr habe ich 560 Stück gewickelt.“

Was im heutigen Kurs verarbeitet wird, ist Binsengras. Die Flatter-Binse wächst am liebsten an feuchten bis nassen Standorten. Bevor sie hier in Südtirol verarbeitet wird, wurde sie zweieinhalb Wochen bei Walter auf dem Hof getrocknet. „Auf diese Weise entweicht so viel Feuchtigkeit aus der Zelle, das es nicht schimmelt, aber auch nicht zu spröde ist. Zu trocken dürfen die Gräser nicht sein, dann brechen sie“, erklärt der Profi. Sollte das doch der Fall sein, sprüht Walter das Material kurz vor dem Wickeln etwas mit Wasser ein. „Wenn die Gräser schließlich verarbeitet sind und der Korb ganz trocknet, ist er nicht nur stabil, sondern unveränderlich“, meint er und fordert uns dazu auf, einen dicken Knoten in das Grasbüschel zu knüpfen, das er ausgeteilt hat. Dann läuft er einmal an jedem Teilnehmer vorbei und zückt aus seiner Hemdtasche eine überdimensionale Nadel und gleich darauf aus seiner seitlichen Hosentasche etwa drei Meter dicken, weißen Baumwollfaden. Weil ihm dieser ab und an zu fad wird, färbt ihn Walter auch gerne mit Batikfarben. „Aber das sind nur Spielereien“, meint er und zuckt mit den Schultern.

Vom ersten bis zum letzten Stich

Walter Friedl hat in seinem Leben bereits 2.500 Körbe gewickelt. Jedes seiner Exemplare hat er fein säuberlich in einem Heft verzeichnet, damit er jederzeit Farbe, Größe, Form und Material nachschauen kann, um bei Bedarf denselben Korb noch einmal zu wickeln. „In meinem Rekordjahr habe ich 560 Stück gewickelt“, erzählt er, „damals habe ich um acht Uhr morgens angefangen und um ein Uhr nachts aufgehört.“ An guten Tagen schafft der Experte bis zu drei Körbe am Tag.
Heute soll für jeden nur ein Korb entstehen. „Arbeit genug“, meint Walter, „aber wir bleiben, bis der Letzte fertig hat.“ Deshalb fangen wir auch gleich an: Das Büschel locker nach links abgeknickt, hält man den Knoten mit den Fingern fest und sticht die Nadel einmal direkt durch die Mitte, dann zieht man den Faden durch und macht am Ende einen Doppelknoten. „Mit der Nadel arbeitet man immer von einem selbst weg. Und Umdrehen ist verboten, das bringt nur durcheinander“, meint Walter und kontrolliert mit einem schnellen Blick, ob alle Teilnehmer bisher die Schritte richtig befolgt haben.

Von Binsen zum Korb

Dann wird die Nadel erneut eingestochen. Diesmal legt man den Faden von hinten neben die Nadel und zieht diese durch, so dass eine feste Naht entsteht. Im Glauben, die Technik bereits verstanden zu haben, legen einige bereits mit dem Nähen los, doch Walter will die folgenden Schritte lieber jedem Teilnehmer einzeln langsam erklären. Den Unterschied zwischen normalem Stich und Zwischenstich zu verstehen, sei nämlich einer der wichtigsten Momente im gesamten Kurs. Ist der Abstand zwischen den Stichen zu groß, bessert man diesen mit einem Stich zwischen die Stiche aus. Ansonsten knickt man das Gras ganz normal weiter, sticht vor dem Faden ein und hinter dem Faden aus und zieht die Nadel ganz durch. Stich für Stich formt sich so eine Schnecke und langsam aber sicher kann man bereits den Boden des Korbes erahnen. Immer wieder kommt Walter vorbei und hilft nach. Ab und an muss er auch wieder Faden aus seiner Hosentasche nachgeben und die beiden Enden so verarbeiten, dass man sie nicht mehr sieht. Seine Hände arbeiten dabei so flink, dass das Auge fast nicht folgen kann. Walters Euphorie ist zu spüren und das motiviert, auch wenn meine Hände langsam bereits erste Warnzeichen von sich geben.

Wenn Materielles einen Wert bekommt

Während früher ganze Regionen von dieser Technik leben konnten, sind die Korbwickler heute fast ausgestorben. Wenn man erst einmal versteht, wie lange man für einen einzigen Korb braucht, scheint das verständlich. Heutzutage wären solche Exemplare nämlich unbezahlbar. Walter selbst kann von seinen Körben auch nicht leben. „So viel, wie ein Korb mit so viel Arbeit Wert ist, würde niemand zahlen“, meint er. Umso länger ich an meinem Korb sitze, desto mehr verstehe ich Walters Worte.

„So viel, wie ein Korb mit so viel Arbeit Wert ist, würde niemand zahlen.“

Obwohl seine Großväter Korbwickler waren, hat er sich das Handwerk selbst beigebracht. Eigentlich ist Walter aber gelernter Gärtner. „Ich habe einfach genau beobachtet, wie die damals gestochen haben“, meint er. Abgeschaut habe er sich die Stiche schließlich von den alten Körben, die er noch aus den 50er-Jahren zu Hause hat. In Walters Augen ein Beweis, dass diese Körbe ewig halten. „Umso fester man wickelt, desto länger hält das Exemplar“, erklärt er.

Gewickelt kann dabei mit jedem Material werden. Je nachdem, was in der eigenen Region gerade zur Verfügung steht. Von Bananenstauden über Minzen, Stroh und Gräser bis hin zum getrockneten Lavendel. „Wenn man es kann, kann man alles nehmen“, sagt Walter. Heute hat er sich für die Binsen entschieden, weil diese weich sind und deshalb für Anfänger leichter zum Wickeln. „Ich unterteile meine Gräser in drei Gruppen: Ganz weiche, wie die Binsen, steifere, wie das Pfeifengras und harte, wie der Lavendel“, erklärt Walter und fängt gleichzeitig an, den ersten Teilnehmerinnen zu erklären, wie man die Wände wickelt. Dabei hängt es vom Stich ab, den man mit der Nadel setzt. Umso steiler der Stich, desto steiler die Wand, die im Korb entsteht. „Die Wände mit steiferen Materialien zu machen, macht Sinn, so bringt man Struktur in den Korb“, weiß der Profi.

Umso steiler man sticht desto schiefer die Wand

Traditionell gab es in der Steiermark, wo Walter herkommt, fünf Arten von Körben: Brotkörbe zum Brotbacken, die aus Roggenstroh, das nach dem Dreschen des Getreides angefallen ist, und einem Weidenband vernäht wurden. Dann gab es einen Korb mit zwei Henkeln und einer kleinen Mulde in der Mitte, die man auf dem Kopf platzieren konnte, um damit Holz und schwerere Lasten zu tragen. Als dritten gab es den Saatkorb; länglich mit einem kleinen Griff oben drüber hat man diesen gekonnt auf den Unterarm gehängt und damit gesät. Der „große Sumper“ hingegen hat einen Durchmesser von einem Meter und ist eher bauchig. „Den hat man genommen, um das Getreide zu lagern“, erklärt Walter, „100-150 Kilogramm hatten darin Platz. Und dann gab es noch den Bainsumper“. Verwundert blicke ich Walter an. „Ja, für die Bienen“, erklärt er und löst damit ein helles „Ahh!“ im Hintergrund aus.

Während der Profi mich in sympathischem Dialekt weiter in die Welt der Körbe einweiht, werden im Hintergrund aus Gräsern richtige Körbe. Nach sechs Stunden wickeln – mit kurzer Mittagspause – ein gutes Ergebnis.
Obwohl Walter allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieselbe Basis beigebracht hat, sieht jedes Exemplar anders aus. Um den Korb noch einmal mehr zu individualisieren, stellt er am Ende noch die unterschiedlichen Henkelformen vor. Die meisten entscheiden sich entweder für zwei kleine, seitlich liegende Henkel oder für gar keinen. Als einzige der Gruppe möchte ich – immer noch voll motiviert, jedoch mit leichten Blasen an den Händen – einen hohen, typischen Korbhenkel wickeln. Dass Walter nach knapp acht Stunden noch die Nerven hat, mir dabei zur Seite zu stehen, verwundert mich. Den Korbwickler hingegen lässt es kalt. Beim Wickeln lerne man, Geduld zu haben, schmunzelt er und setzt den letzten Stich.

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