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Veröffentlicht
am 25.06.2025
LebenTagebuch eines jungen Alkoholikers

Tagebuch eines Alkoholikers

Veröffentlicht
am 25.06.2025
Robin ist 30, aus Südtirol – und Alkoholiker. Offen, ungeschönt und berührend erzählt er in dieser monatlichen Kolumne von Rückfällen, Erkenntnissen und dem Alltag ohne Alkohol – und wie schwer es ist, ehrlich zu sich selbst zu sein.
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Hallo du,

mein Name ist Robin. Ich bin 30 Jahre alt, komme aus Südtirol – und ich bin Alkoholiker. Krasser Einstieg, oder?

Bei den Anonymen Alkoholiker:innen habe ich gelernt, wie wichtig es ist, sich diesen Satz selbst zu sagen – und vor allem: dazu zu stehen. Tatsächlich ist es bei den Treffen so, dass dieser Satz am Anfang gesagt wird. Man stellt sich vor und sagt: „Ich bin Alkoholiker:in.“ Muss man nicht, aber es hilft – sonst wäre man wohl kaum da. Und ich bin ja doch am Anfang, irgendwie.

Okay, warte, bevor es weitergeht, muss ich dir schon das erste Mal gestehen: Ich habe gelogen. Mein Name ist gar nicht Robin. Ich habe ihn mir beim Schreiben ausgedacht. Warum? Weil ich mich immer noch schäme. Ich schäme mich noch zu sagen, dass ich Alkoholiker bin. In der Gruppe fällt es mir leicht, aber hier leider noch nicht. Vielleicht überwinde ich mich irgendwann, dir meinen richtigen Namen zu nennen. Aber darum geht es jetzt auch nicht. Es geht darum, endlich mit dem Stigma Alkoholismus aufzuräumen.

Und deshalb schreibe ich dir.

Egal, ob du selbst betroffen bist, jemanden kennst oder dich einfach für das Thema interessierst – ich möchte dir meine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, die schon so lange existiert und doch erst gerade beginnt. Eine Geschichte über einen 30-Jährigen, der vom Alkohol schleichend eingenommen wurde.

Ich weiß, was du jetzt denkst: „Moment – der spricht von Sucht, aber trinkt unter der Woche nie?“

Es ist nämlich noch gar nicht so lange her, dass mir klar wurde: Alkohol ist ein Thema. Und sich das einzugestehen, passiert nicht von heute auf morgen – das ist ein Prozess.

Als ich diese Zeilen schreibe, sitze ich in einer Bar, irgendwo in Südtirol. Es ist ein regnerischer Montag, es ist voll. Um mich herum stehen auf jedem Tisch Gläser mit Alkohol. Gläser, die für lange Zeit meine besten Freunde waren.

Aber das stört mich nicht.

Denn montags hat es mich nie gereizt. Auch nicht dienstags, mittwochs oder donnerstags.

Wie bitte – gar nicht gereizt? Habe ich schon wieder gelogen?

Ich weiß, was du jetzt denkst: „Moment – der spricht von Sucht, aber trinkt unter der Woche nie?“

Genau diese Frage habe ich mir selbst oft gestellt. Sie war mein Anker. Mein Beweis dafür, dass es „nicht so schlimm“ sei.

Denn auch ich hatte nur ein Bild im Kopf: Alkoholiker:nnen, das sind doch die Menschen, die jeden Tag trinken, in Bars rumhängen, rote Nasen haben und von Weitem nach Schnaps riechen.

Tja, ich muss dich enttäuschen: Alkohol kennt keine Schicht und auch keine Form. Er trifft alle – Ärzt:innen, Künstler:innen, Geschäftsführer:innen, Straßenarbeiter:innen, Pfarrer (muss ich nicht gendern!). Menschen, die täglich trinken. Menschen, die nur alle drei Monate trinken, aber dann exzessiv. Und Menschen, die – wie ich – nur am Wochenende trinken.

Und mein Gott, wie ich da getrunken habe. So viel, dass ich jedes zweite Wochenende im Blackout war.

Ich habe an Wochenenden getrunken. Und mein Gott, wie ich da getrunken habe. So viel, dass ich jedes zweite Wochenende im Blackout war. Und es war immer dieselbe Routine.  Trinken, feiern, spät nach Hause, am nächsten Morgen aufwachen, aufs Handy schauen und irgendwelche Videos finden, an die ich mich gar nicht mehr erinnern konnte. Ich fand das lange Zeit sogar witzig. „Du hast den Pokal wieder mal nach Hause genommen!“ – war für mich ein Kompliment. Und warum sollte genau ich ein Problem haben? Ich trinke nur am Wochenende. Und einmal zu tief ins Glas geschaut, das kann ja passieren. Ich kenne so viele Leute, die jedes Wochenende trinken. Gehört halt dazu, dachte ich.

Mit den Jahren hat es sich gesteigert. Die Abende wurden länger, der Rausch wurde intensiver, die Blackouts wurden größer. Und jeden Sonntag habe ich mir geschworen: Ich trinke nicht mehr, aber jeden Freitag stand ich wieder in geselliger Runde und hatte mein geliebtes Bier in der Hand. Und es hat gedauert. Es hat gedauert, bis ich verstanden habe, um genau zu sein hat es 17 Jahre gedauert.

Ich habe ein Problem. Und dieses Problem ist größer als ich es mir je eingestehen wollte. Denn es geht nicht um die Menge, die man trinkt, vielleicht geht es auch nicht um die Häufigkeit, sondern es geht um den Gedanken, den man dabei hat. Und dieser Gedanke hat mich leider – oder vielleicht auch Gott sei Dank – eingenommen. Denn das war der Grund, warum ich alles ändern wollte.

Dieser Gedanke war nichts anderes als mich anzulügen. Und wie du weißt, bin ich ja gut im Lügen. Der Gedanke bestand nämlich nur darin, mir zu sagen: Ich schaffe es heute nicht zu trinken. Denn ich bin nicht süchtig.

Und jetzt sitze ich hier, schreibe diese Zeilen. Vielleicht weil es mir gut tut. Vielleicht weil ich jemandem da draußen helfen kann.

Vor einem Monat habe ich mich entschieden, den Alkohol hinter mir zu lassen. Und vor drei Tagen, als ich diesen Text schreibe, hatte ich einen Rückfall.

Ich bin Robin. Vor einem Jahr habe ich gemerkt, dass ich ein Problem habe. Vor einem Monat habe ich mich entschieden, den Alkohol hinter mir zu lassen. Und vor drei Tagen, als ich diesen Text schreibe, hatte ich einen Rückfall.

Aber ich gebe nicht auf. Rückfälle gehören dazu. Nicht immer. Aber sie helfen.

Dieser Rückfall macht mich nämlich stärker. Denn er war der beste Beweis dafür, dass ich es nicht schaffe. Ich schaffe es nicht drei Bier zu trinken und dann zufrieden nach Hause zu gehen. Kontrolliert trinken geht nicht, zumindest bei mir nicht.

Versteh mich nicht falsch, ich freue mich für Menschen, die das können und ich gönne es ihnen auch. Aber ich habe mich für ein Leben ohne Alkohol entschieden. Und wenn du magst, kannst du mich auf meinen Weg begleiten.

Aber für heute habe ich genug erzählt. Das nächste Mal erzähle ich dir, wie das alles angefangen hat. 

Danke für das offene Ohr bzw. fürs Durchlesen. Das bedeutet mir viel. Und wenn du gerade auch kämpfst – oder jemanden kennst, der kämpft: Man ist nie allein. Niemals.

Bis bald.

Dein Robin – oder welcher Name dir auch immer gefällt.

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