Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Ich habe ein schwieriges Verhältnis mit meinem Vater und das eigentlich schon seit immer. Er ist sehr distanziert. Außer wenn er „wegen irgendeps sirig isch“, dann eskaliert es. Mein Vater war immer schon streng und kritisch und manchmal auch gewalttätig. Mit meiner Mutter habe ich ein besseres Verhältnis, auch wenn sie ihm gegenüber nie Widerstand zeigt. Als Kind war diese Art von Familienverhältnis alles, was ich kannte. Bis ich gesehen habe, dass sich die Väter in anderen Familien nicht so verhalten. Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Dort war ich sehr isoliert, nur meine Großeltern waren ab und an da. Es wurde viel geschrien und beleidigt. Das habe ich nicht ausgehalten. Ich habe zwei Brüder, mit einem der beiden kann ich mich gut austauschen darüber, wie es war, dort aufzuwachsen. Er kommuniziert recht offen, wenn ihm was nicht passt. Als Kinder mussten wir viel am Hof mithelfen. Ich war von Anfang an nicht so gut darin und auch nicht wirklich an der Arbeit interessiert. Es gab halt auch nie positives Feedback. Es wurde immer alles kritisch und negativ beäugt. Meine Mutter meint heute, dass ich mich bereits als Kind viel zurückgezogen habe. Insbesondere bei Familienaktivitäten, weil es einfach nie harmonisch war. Als ich gesehen habe, wie Familiendynamiken bei Schulfreund:innen sind, habe ich realisiert: So ist es nicht richtig.
Als Kind habe ich versucht, eine Beziehung aufzubauen, aber ich wurde immer wieder verletzt. Ich habe mich nie getraut, meine Eltern zu kritisieren. Mir wurde als Kind schon gesagt, dass ich bezüglich der Verhältnisse zuhause still sein solle. Und dass ich nicht so herumschreien soll, denn sonst kämen die Sozialarbeiter:innen und das wäre für uns dann ganz schlecht. Das hat mein Vater früher oft gesagt. Im Nachhinein bewerte ich das als sehr problematisch. Auch mit anderen Verwandten versteht sich mein Vater nicht so gut. Er selbst redet auch offen über seine Schwestern schlecht. Generell denke ich, dass er ein etwas schwieriges Verhältnis zu Frauen hat. Gerade dann, wenn diese ihr eigenes Ding machen.
Wir haben nur einmal offen über unser schwieriges Verhältnis gesprochen. Damals war ich 17 und meinte zu meinen Eltern, dass ich nicht mehr in die Kirche gehen will. Das hat das Weltbild meines Vaters komplett zerstört und auch meine Mutter ist ausgerastet. Ich habe nur Vorwürfe zu hören bekommen und mich manipuliert gefühlt. Es gab nie Entschuldigungen. Es ist generell schwer mit ihnen zu sprechen, weil man oft unterbrochen wird oder einem gar nicht erst zugehört wird. Gefühle wurden nur in Form von Beleidigungen kommuniziert. Wenn ich Probleme oder Ängste hatte, konnte ich nicht mit meinen Eltern darüber reden, da es sonst gegen mich verwendet wurde. Als Teenagerin hatte ich starke Depressionen. Als ich meine Eltern darum bat, in Therapie gehen zu können, weil ich das Gefühl hatte, Irgendwas sei falsch mit mir, wurde das nicht ernst genommen. Für meinen Vater selbst würde eine Therapie sowieso nicht in Frage kommen, laut ihm sei er ja nicht „psychisch krank“.
Mein Vater und Großvater haben ihren Selbstwert dadurch bekommen, andere zu unterdrücken und konnten ihre Emotionen nie richtig verarbeiten.
Ich glaube, wenn es das Patriarchat nicht geben würde, dann wäre ich nicht so aufgewachsen. Mein Vater und Großvater haben ihren Selbstwert dadurch bekommen, andere zu unterdrücken und konnten ihre Emotionen nie richtig verarbeiten. Sie sehen und sahen sich als Oberhäupter der Familien, die für ihr Verhalten nie Verantwortung übernehmen mussten.
Mit 19 Jahren bin ich dann nach Wien gezogen. Diese Entscheidung war für meinen Vater auch ein Drama. „Er sieht mich nie wieder“, meinte er damals. Und: „Oh mein Gott, ich bin so ein schlechtes Elternteil.“ Allerdings meldet er sich auch kaum bei mir. Ich telefoniere einmal im Monat mit meiner Mutter und bin zwei bis drei Mal im Jahr daheim. Bei den Telefonaten ist er manchmal dabei und wir wechseln ein paar Worte, aber mehr auch nicht. Immer wenn ich zu Hause bin und meinen Vater sehe, dann bekomme ich ein mulmiges Gefühl. Und ich fühle mich, als würde ich auf Eierschalen laufen. Generell versucht die gesamte Familie immer darauf zu achten, dass er nicht ausrastet. Beim Essen zum Beispiel redet nur er über seine Themen und sobald jemand etwas anderes ansprechen will, regt er sich auf. Ich verstehe ihn auf menschlicher Ebene einfach generell nicht.
Über Kontaktabbruch denke ich immer wieder nach.
Ich bin nun seit vier Jahren in Therapie, das hilft mir sehr, alles zu verarbeiten. Meine Eltern meide ich lieber, da ich da einfach nicht zu ihnen durchdringen kann. Außerdem habe ich immer noch tiefe Wunden und würde mir auch wünschen, dass sich meine Mama scheiden lässt. Wir kommen uns gegenseitig sehr schnell in die Haare. Aber ich sehe sie als Resultat einer Gesellschaft, die meinen Eltern nie gezeigt hat, wie man sich selbst emotional reguliert. Und als Menschen, die ihr ganzes Leben lang im Überlebensmodus waren, wussten sie nicht, wie sie sich selbst helfen können und dass sie unterbewusst oder bewusst ihre Einstellungen an ihre Kinder weitergeben. Es ist nicht in Ordnung, aber ich verstehe es. Über Kontaktabbruch denke ich immer wieder nach. Auch jetzt, wo ich mit meinem Bachelor fertig habe und von meiner Mama immer wieder gefragt werde, ob ich nicht in Südtirol arbeiten möchte. Das setzt mich sehr unter Druck.
Ein weiteres Thema, das mich beschäftigt? Ich bin jetzt noch jung, aber auch schon lange in einer Beziehung. Und mich triggert es sehr, wenn meine Eltern mir sagen, was sie von mir erwarten, wie ich mein Leben zu leben habe und was gut und was schlecht für mich wäre. Mein Freund hat mir viel Halt gegeben. Ich will auf keinen Fall Kinder haben und habe das Gefühl, dass das noch für sehr viel Spannung mit meinen Eltern sorgen wird. Ganz offen haben sie das nie gesagt, aber bei ihnen schwingen viele Erwartungen mit. Ich befürchte je nachdem, wie viel Druck sie mir diesbezüglich machen werden, kann ich mir einen Kontaktabbruch durchaus vorstellen.
Text: Marina (Name von der Redaktion geändert)
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support