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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 27.09.2016
LebenLibanesische Rockband in Bozen

Sex auf Arabisch

Veröffentlicht
am 27.09.2016
Die libanesische Band Mashrou’ Leila singt über Sex und Politik, ihr Sänger ist offen homosexuell. In Jordanien wurden ihre Auftritte verboten.
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Sänger Hamed Simma

Es war im August 2014, als in einem Beiruter Badehaus 27 Männer festgenommen und wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen Paragraph 534 des libanesischen Strafgesetzbuches verklagt wurden. Dieser verbietet „widernatürliche“ sexuelle Beziehungen. Obwohl solche Urteile offiziell nicht mehr erlaubt sind, passieren sie immer wieder im Libanon. Homosexualität ist dort ein heikles Thema. Verbote und Legalisierungen liegen nah beieinander. Die fünf Beiruter Mitglieder der Band Mashrou’ Leila interessiert das reichlich wenig. Vergangene Woche brachte sie ihre Tour nach Bozen, wo sie im Rahmen des Festivals Transart in der alten Bahnhofsremise performten.

„Sag mir, dass er dich befriedigt, so wie ich es einst tat, wenn seine Lippen dorthin gehen, wo meine waren. Hast du die meinen genossen?“ singt Sänger Hamed Sinno beim Konzert ins Mikrofon. Auf Arabisch. Dass er selbst schwul ist, versteht man spätestens dann, wenn er mit einer mädchenhaften Attitüde den nächsten Song ankündigt, dem Publikum kurz erklärt, worum es geht und verschmitzt kichert.

Kritiker nannten ihn schon den Freddy Mercury des Nahen Ostens. Wenn Sinno auf der Bühne steht, trägt er ein schwarzes Tanktop, das seine muskulösen Oberarme betont. Hinter ihm laufen auf einer überdimensionalen Leinwand Schwarz-Weiß-Bilder von nackten Körpern, Fakiren und Bauchtänzerinnen. Sinno singt von vergangenen Liebesgeschichten, heißen Küssen und gleichgeschlechtlicher Befriedigung, zieht die Schultern zu den Ohren und kneift die Augen zusammen, wenn seine Stimme die Tonleiter hochklettert. Dann tanzt er wild und animiert das Publikum dazu, mitzumachen. Es ist die Kombination aus Texten über Politik, Sex und das Schwulsein, aus homosexuellem Leadsänger und der arabischen Sprache, mit der Mashrou’ Leila polarisiert. Aus einem Studienprojekt geboren und in nächtlichen Jamsessions in den Beiruter Kneipen als Band zusammengewachsen, spielen die fünf Musiker seit 2008 zusammen arabischen Indie und bereisen damit die Welt. Weil sie keine Lust mehr hatten, nur über Liebe und Melancholie zu singen, beschlossen sie, kritische Musik zu machen.

In Lil Watan singen Mashrou’ Leila beispielsweise von Nationalismus und der Heimat: „Für die Herde bist du gleich, der Verräter der gibt preis – die Heimat (Al watan). Ohne Hoffnung bietest dann, zum Verkauf die Freiheit an – die Heimat (Al watan).“

Es riecht nach altem Eisen und kaltem Schweiß in der alten Bahnhofsremise. Die sporadische indirekte Beleuchtung lässt die Stimmung düster wirken. Immer wieder gleitet man beim Tanzen mit den Füßen über alte Zuggleise. Der Boden vibriert im Rhythmus arabischer Bauchtanzmusik.

Mashrou’ Leila kombiniert die Geige des Armeniers Haig Papazian, das Schlagzeug von Carl Gerges, die Gitarre von Feras Abou Fakher, den Bass von Ibrahim Badr und die Stimme von Hamed Sinno. Die Band spielt arabischen Indie-Rock. Dass dieser nicht nur in Kairo, Dubai, London und New York, sondern selbst in Bozen für volle Hallen sorgt, sollte man vorerst nicht meinen. Doch vor der Bühne in der alten Bahnhofsremise am Bozner Boden sammeln sich gut einige hundert Menschen.

Es ist ein bunt gemischtes Publikum, das zu den trashig-arabischen Tönen tanzt, die Hüften von rechts nach links schiebt und ab und an wild herumhüpft. Mittendrin wippen zwei Mädchen mit Kopftuch im Takt. Batul und Nura kommen aus Trient. Ihre Wurzeln liegen jedoch in Syrien. Mashrou’ Leila kennen sie seit Langem, extra für das Konzert sind sie nach Bozen gekommen. „Sono molto originali e diversi dalla solita musica araba“, meint die Ärztin Batul, „i contenuti riportano in memoria tematiche attuali e tristi.“ Genau deshalb mag sie die Band. Weil sie zum Nachdenken anregt. „È proprio un mezzo di comunicazione“, sagt Nura, „noi siriani siamo molto legati alla musica. Come ribellione al governo e anche come modo per darsi forza“. Ob auf Hochzeiten, Beerdigungen oder bei politischen Reden, die Musik sei in arabischen Ländern immer präsent. Herkömmlicher arabischer Pop habe inhaltlich nicht viel mehr als Liebesgeschichten zu bieten, Mashrou’ Leila hingegen behandle Themen, die das Leben manchmal erschweren können.

Das Konzert in Bozen soll „ein Fenster zur arabischen Welt öffnen“, beschreibt es Martina Kreuzer, Mitorganisatorin des Festivals Transart. Die arabische Welt hat dieses Fenster für die fünf Bandmitglieder schon seit geraumer Zeit geschlossen. Oft werden Mashrou’ Leila dort für ihre Texte kritisiert. Im Mai diesen Jahres erst haben sie in Jordanien sogar ein Auftrittsverbot kassiert. Doch die Fans bleiben ihnen treu. Mit dem Hashtag #WeWantLeilainAmman protestierten sie gegen das Verbot, lösten einen Shitstorm aus und lenkten dadurch noch mehr Aufmerksamkeit auf ihre Idole.

„Mashrou’ Leila sind eine lockerere Art, um an schwierigere Themen ranzugehen.“ – Martina Kreuzer

Um Mashrou’ Leila in Bozen zu hören, nimmt manch einer einen langen Weg auf sich. Kreuzer erzählt von einem Mädchen, das seit vier Uhr nachmittags vor der Bahnhofsremise wartete. „Sie ist Libanesin und heute extra aus St. Moritz angereist“, sagt sie, „außerdem haben wir Tickets zwischen Rom, Neapel und Zürich verkauft.“


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Lorenzo und Fabio, die schon eine Stunde vor dem Konzert vor der alten Halle warten, sind mit dem Zug aus Bergamo gekommen. Nur für das Konzert. Schließlich spiele Mashrou’ Leila nicht alle Tage in Italien, sagen sie. Bereits vor einiger Zeit haben sie in einer englischsprachigen Zeitung einen Artikel über die Band gelesen und sich nach kurzem Reinhören in den arabischen Indie verliebt. Jedoch nicht wegen des Inhalts. „Conosco i contenuti, ma mi interessa piuttosto la musica“, sagt Lorenzo. „Se non cerchi la traduzione dei testi, il messaggio non è mediato“, ergänzt Fabio. Trotzdem haben sie sich mit denen Themen auseinandergesetzt, die die Band in ihren Liedern besingen. „Mashrou’ Leila sind einfach eine etwas lockerere Art, um an schwierige Themen ranzugehen“, meint Martina Kreuzer und behält damit also Recht.

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